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Sag hierzu in Berlins Mitte niemals Pfannkuchen! Sonst geht's nämlich sofort los: "Kommst du etwa wirklich aus Berlin? Echt? Gibt's das noch?" Das kann Ur-Berliner auf die Dauer mehr als nur nerven.

© dpa

Wutrede einer Nicht-Zugezogenen: Ich bin Berlinerin, na und?

„Echt jetzt? Gebürtig?“ Wer in Berlins Mitte aufwuchs und dort heute noch lebt, muss ständig die gleichen Fragen erdulden. Und auch wenn bei der Zuzügler-Mehrheit oft Bewunderung mitschwingt: Es nervt, in der Heimat ein Fremder zu sein!

Neulich war es mal wieder so weit, ganz ohne Vorwarnung und aus dem Hinterhalt. Eine trinkselige Runde in einer Bar auf der Torstraße in Mitte, vom Nebentisch gesellten sich ein paar Leute dazu, und plötzlich ploppte aus der Gruppe der Dazugestoßenen eine Frage mitten in das ungezwungene Gespräch: „Und wo kommst du her?“ Es folgte ein bereits hundertfach durchgespieltes Pingpong, bei dem zuvor lediglich das Setting und die Gegenspieler variierten. „Aus Berlin.“ – „Aber nicht gebürtig?“ – „Doch.“ – „Ost oder West?“ – „Ost.“ – „Dann bist du ja eine echte Rarität hier im Kiez!“ – „Keine Ahnung.“ – „Und deine Eltern leben auch hier?“ – „Ja.“ Der Fragesteller, das sei an dieser Stelle der Vollständigkeit halber erwähnt, war ein seit einigen Jahren in der Stadt lebender Münchener. Er blickte mich an, als habe er soeben Bekanntschaft mit dem letzten Mohikaner gemacht. In seinen Augen funkelte eine Mischung aus Faszination und Ehrfurcht. Ach, es passiert leider zu oft: Dass man als Berliner in Berlin als ein Exot gilt, ein seltenes Tier, das man begaffen kann. Kann man das auch anfassen? Beißt das? Dem nach Berlin Zugezogenen bleibt der Berliner ein Fremder, etwas, das er nicht versteht, nicht begreift, vielleicht weil er in Berlin unter Seinesgleichen bleibt, weil er so selten Berliner trifft. Passiert es doch, dann ist er verwirrt.

An jenem Abend saßen wir also in dieser Bar in Mitte. Er, der Zugezogene; ich, die Berlinerin. Meine Rolle war klar definiert: Ich war die Fremde. Das Kammerspiel konnte beginnen. Erster Akt: Der Fragesteller erklärt weder sich, noch die Umstände, die ihn hierher verschlagen haben, sondern fordert vielmehr von mir eine Rechtfertigung für meine Herkunft. Zweiter Akt: Der Fragesteller konfrontiert mich mit Statistiken, nach denen es Alteingesessene wie mich in dieser Gegend ja gar nicht mehr geben dürfte. Dritter Akt: Der Fragesteller ist verwundert über meinen Unwillen, in das allgegenwärtige Klagelied von Verdrängung und Gentrifizierung einzustimmen. Vierter Akt: Akute Langeweile meinerseits gepaart mit absoluter Vorhersehbarkeit der Gesprächsdramaturgie und fehlendem Erkenntnisgewinn zwingen mich zur Beendigung des Gesprächs. Und Abgang.

Außenseiter im eigenen Kiez

Sag hierzu in Berlins Mitte niemals Pfannkuchen! Sonst geht's nämlich sofort los: "Kommst du etwa wirklich aus Berlin? Echt? Gibt's das noch?" Das kann Ur-Berliner auf die Dauer mehr als nur nerven.

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Es ist doch immer wieder bemerkenswert, welche Reaktionen es bei Zugezogenen auslöst, sich zu seiner Herkunft zu bekennen. Erstaunen. Freude. Mitgefühl. Irritation. In Berlin leben tatsächlich Berliner: Wer hätte das gedacht? Man könnte das ignorieren. Oder drüber lachen. Doch es fühlt sich einfach nicht richtig an, dass ein Zufall, nämlich der elterliche Aufenthaltsort zum Zeitpunkt der eigenen Geburt, einen ausgerechnet an diesem Ort heute zum Außenseiter macht. Ich erlaube mir, aus gegebenem Anlass ein letztes Mal aus dem Nähkästchen zu plaudern. Und zu verraten, dass die meisten meiner hier geborenen Freunde und Bekannten nach wie vor hier zu Hause sind. Etliche haben nicht mal den Bezirk verlassen, in dem sie aufgewachsen sind. Wirklich! Für sie gab es einfach keinen zwingenden Grund zu gehen. Und wenn doch, gab es irgendwann zwingendere Gründe, wieder zurückzukehren. An den Ort, der für sie Heimat ist und mit dem sie sich verbunden fühlen. Auch wenn sie sich hier bisweilen mit Strömen von Zuzüglern arrangieren müssen, die ihnen das Gefühl geben, in der Minderheit zu sein. Außer vielleicht in der Weihnachtszeit, zum traditionellen Jahresendexodus.

Liebe Zugezogene, jetzt bitte nicht böse sein, vielleicht ist es ja nur das schlechte Gewissen, das aus Euch spricht, weil Ihr Euch hier mit Ignoranz in selbstgeschaffenen Parallelwelten bewegt, stets unter Euresgleichen, und dann erschrocken zusammenzuckt, sobald Ihr einem von uns begegnet. Deshalb sei Euch an dieser Stelle Folgendes mit auf den Weg gegeben: Bitte hört auf damit, uns zu bestaunen wie vom Aussterben bedrohte Tiere. Es gibt uns seit 776 Jahren, und es wird uns auch weiterhin geben. Vielleicht seid Ihr ja sogar diejenigen, die zum Erhalt unserer Art beitragen, in dem Ihr hier Eure Kinder zur Welt bringt. Kinder, die sich eines Tages hoffentlich nicht vor Zuzüglern dafür rechtfertigen müssen, dass sie gebürtige Berliner sind.

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