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Alte und Kinder sind oft besonders von Armut betroffen.

© dpa/Silas Stein

Höchste Quoten in Bremen und Berlin: Armut in Deutschland noch verbreiteter als angenommen

Frauen und Kinder sind besonders oft betroffen: Der Paritätische Gesamtverband hat einen Armutsbericht vorgelegt. Die Bundesländer unterscheiden sich stark.

In Deutschland sind nach Angaben des Paritätischen Gesamtverbands noch mehr Menschen von Armut betroffen als zuvor angenommen. Die Quote habe im Jahr 2021 bei 16,9 Prozent gelegen, teilte der Verband am Freitag mit. Er korrigierte seine Daten damit nach oben. Auch die zuvor berechnete Armutsquote von 16,6 Prozent war bereits ein Rekord. Statt 13,8 Millionen waren 2021 demnach 14,1 Millionen Menschen armutsbetroffen.

Die höchsten Armutsquoten unter den Bundesländern weisen dem Bericht zufolge Bremen (28,2 Prozent), Berlin (20,1 Prozent) sowie Sachsen-Anhalt und Nordrhein-Westfalen (jeweils 19,2 Prozent) auf. Die niedrigsten Werte gibt es in Bayern (12,8 Prozent), Baden-Württemberg (14,1 Prozent) und Brandenburg (14,8 Prozent).

Kritisierte die Regierung Merkel genauso wie die Ampel-Koalition: Der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen, Ulrich Schneider.

© Foto: Imago/epd/Christian Ditsch

„In unseren schlechtesten Träumen hätten wir nicht daran gedacht, dass es nun noch einmal nach oben geht“, erklärte der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, Ulrich Schneider, zu den neuen Berechnungen. Das Ergebnis sei „ein bitteres Armutszeugnis für die Politik der großen Koalition. Sie hat die Armut einfach billigend in Kauf genommen.“

Auffällig ist die deutliche Zunahme der Armut unter Erwerbstätigen, die als eine direkte Folge der Auswirkungen der Pandemie auf den Arbeitsmarkt angesehen werden kann.

Paritätischer Gesamtverband zu den sozialen Corona-Folgen

Um die Verbreitung von Armut zu messen, nutzt der Paritätische die sogenannte relative Einkommensarmut als Indikator. Dieser in einer EU-Konvention festgelegten Größe zufolge ist ein Mensch arm, wenn sein Einkommen weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens in Deutschland ausmacht. Mitgezählt werden dabei alle Nettoeinkünfte, also etwa Lohn, Rente, Wohngeld, Kindergeld oder Hartz IV. Um Haushalte unterschiedlicher Größe vergleichbar zu machen, wird ein Pro-Kopf-Wert ermittelt. Grundlage aller Berechnungen sind Daten des Statistischen Bundesamts.

In verschiedenen Bevölkerungsgruppen ist die Armut unterschiedlich weit verbreitet. Dem Bericht des Paritätischen zufolge sind 17,8 Prozent der Frauen in Deutschland arm, bei den Männern sind es lediglich 16 Prozent. „Besonders gravierend ist die Diskrepanz zwischen den Geschlechtern bei älteren Personen ab 65 Jahren.“

Kinder überdurchschnittlich von Armut betroffen

Deutlich überdurchschnittlich von Armut betroffen seien Kinder und Jugendliche, erklärte der Verband weiter. „Mit 21,3 Prozent steigt ihre Armutsquote auf einen noch nie gemessenen traurigen Rekordwert.“ Zugleich sei die Altersarmutsquote von 2020 auf 2021 „geradezu sprunghaft“ angestiegen von 16,3 auf 17,6 Prozent - ebenfalls ein Rekord.

„Auffällig ist die deutliche Zunahme der Armut unter Erwerbstätigen, die als eine direkte Folge der Auswirkungen der Pandemie auf den Arbeitsmarkt angesehen werden kann“, führte der Paritätische aus. Diese Quote habe 2021 bei 8,9 Prozent gelegen.

Der Paritätische warf der früheren Bundesregierung vor, in der Reaktion auf die Verwerfungen der Corona-Pandemie zwar viel gegen neu entstehende Armut getan zu haben, etwa mit den Regelungen zum Kurzarbeitergeld. „So gut wie keinerlei Anstrengungen wurden jedoch unternommen, auch jenen unter die Arme zu greifen, die bereits in Armut waren.“ Beispielsweise seien die Hartz-IV-Sätze nicht erhöht worden. Auch im vergangenen Jahr habe die Entlastungspolitik der Ampel-Koalition „eine bemerkenswerte soziale Schieflage und armutspolitische Enthaltsamkeit“ gezeigt.

Schneider erklärte, es sei nun „keine Zeit zu verlieren, um die wachsende Not zu lindern. Die Armut wird nicht nur immer größer, sondern mit den explodierenden Preisen auch immer tiefer.“ Schneider forderte insbesondere eine „spürbare Anhebung“ der Regelsätze beim Bürgergeld und der Altersgrundsicherung, „eine existenzsichernde Anhebung des Bafög und die zügige Einführung der Kindergrundsicherung“. (AFP)

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