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Allein. Ein Obdachloser am menschenleeren Alexanderplatz.

© imago images/Emmanuele Contini

Hilfe im Ausnahmezustand: Coronavirus schränkt medizinische Behandlung von Obdachlosen ein

Behandlungsräume sind verwaist, Ultraschall und Blutabnahme sind nicht mehr möglich. In der Stadtmission betreut nur noch eine Notbesetzung Berlins Obdachlose.

Der Kaffee fehlt, das ist für einige Patienten jetzt das Schlimmste. Sie haben Schmerzen in den Beinen, Bluthochdruck oder Herzprobleme, deshalb kommen sie ja zur Ambulanz der Stadtmission in der Lehrter Straße. Aber das alles ist offenbar nicht so schlimm wie der fehlende Kaffee.

„Viele drehen vor der Tür wieder um“, sagt Swetlana Krasovski-Nikiforovs, die leitende Krankenschwester der Ambulanz. „Sie wollen nicht bleiben, weil man jetzt nicht mehr gemütlich im Wartezimmer Kaffee trinken kann.“

Das Wartezimmer ist jetzt gesperrt. Wegen Corona natürlich. Diagnostik und andere Betreuung finden unverändert im Behandlungszimmer statt.

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Die Ambulanz der Stadtmission versorgt Obdachlose, Menschen aus allen Ländern, Menschen ohne Krankenversicherung. Sie ist eine der wenigen medizinischen Anlaufstellen für Wohnungslose ohne Versicherungsschutz.

Ärzte werden jetzt woanders gebraucht

Es gibt ein Behandlungszimmer, einen Wartebereich, ein Badezimmer mit Duschmöglichkeit, auch für Rollstuhlfahrer. Normalerweise arbeiten hier, direkt neben der Zentrale der Stadtmission, ein Arzt, eine Krankenschwester und drei Helfer, die hier ihr Freiwilliges Soziales Jahr absolvieren. Alle sind ehrenamtlich im Einsatz.

Aber jetzt ist Ausnahmesituation, weil Ärzte fehlen. „Die gehören selber zur Risikogruppe“, sagt Swetlana Krasovski-Nikiforovs. Oder sie werden aus anderen Gründen woanders gebraucht. Eine Notbesetzung regelt jetzt den Betrieb, eine Pflegekraft und ein Pflegehelfer. Deshalb ist jetzt das Wartezimmer der Behandlungsraum. Nur die üblichen Sprechzeiten gelten immer noch, jeden Dienstag und Freitag ist von elf bis 15 Uhr geöffnet.

Normalerweise werden in jeder Schicht rund 20 Patienten behandelt und versorgt. Zwischenzetlich waren es nur noch zwölf, jetzt kommen wieder täglich 20. Auch klassische Behandlungen finden gerade nicht statt. „Ultraschall, EKG, Blutabnahme, das alles können wir jetzt nicht mehr leisten“, sagt Swetlana Krasovski-Nikiforovs. Diagnostiken sollen erst wieder nach dem Ende des Coronavirus-Ausnahmezustands stattfinden.

Medikamente werden weiter ausgegeben

Immerhin: Medikamente geben die Ehrenamtlichen weiterhin aus, durchs Fenster allerdings nur. Ein Verbandswechsel ist auch noch möglich, allerdings unter den üblichen Sicherungsmaßnahmen. Das bedeutet: Mundschutz, penible Reinigung, Kleiderwechsel.

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Mit dem Personalabbau fehlen vor Ort allerdings auch Dolmetscher. Einige der Mitarbeiter beherrschen diverse osteuropäische Sprachen, sie übersetzen üblicherweise für die anderen Pfleger und die Ärzte. Das Problem wird jetzt mit einer Hotline gelöst. Unter einer bestimmten Telefonnummer haben die Pfleger sofort jemanden am Apparat, der die gewünschte Sprache spricht und mit dem Patienten direkt reden können. Zumindest die sechs gängigsten Sprachen, meist osteuropäische, sind damit abgedeckt. Der Dolmetscher instruiert dann am Telefon das Pflegepersonal.

Wer weitergeschickt wird, der wird nicht geduscht

Wenn nicht bloß ein Verbandswechsel nötig ist oder die Weitergabe von Pillen, wenn die Patienten also schwerer verletzt sind, „dann werden sie sofort an eine Rettungsstelle weitervermittelt“, sagt Swetlana Krasovski-Nikiforovs. Mit entsprechendem Begleitschreiben für den Arzt und natürlich nur, „wenn wir so gut wie ausgeschlossen haben, dass der jeweilige Patient infiziert ist“.

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Das wird mit einer Art Schnelldiagnostik festgestellt. „Wir fragen, ob er zuletzt in einem Risikogebiet war, das ist meist nicht der Fall, oder ob er die typischen Symptome einer Infektion zeigt“, sagt die Leitende Krankenschwester. Allerdings, das räumt sie ein, „hundertprozentig sicher können wir nicht sein“.

In der Ambulanz der Stadtmission werden viele verwahrloste Patienten erst mal geduscht und zum Teil sogar entlaust, bevor sie behandelt werden. Das fällt jetzt, in Zeiten der Coronavirus-Ausnahmesituation, weg, wenn die Betroffenen direkt in die Rettungsstellen kommen.

Für das zuständige Behandlungspersonal in der Ambulanz ist das nicht gerade angenehm. Andererseits, sagt Swetlana Krasovski-Nikiforovs, stellt das auch kein besonders neues Problem dar. „Wenn die Menschen sonst von unseren Helfern auf der Straße aufgenommen werden, werden sie ja auch in diesem hygienischen Zustand in die Rettungsstellen eingeliefert“, sagt sie.

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