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Berlin: „Hi, I’m Bill“

Von Kennedy bis Clinton: Nicht bei jedem Präsidenten stand die Sicherheit so im Vordergrund wie diesmal. Der 11. September 2001 bedeutete auch einen grundsätzlichen Wandel bei den Besuchsritualen.

Im Lauf der Geschichte gibt es die kuriosesten Zufälle, ernsthafte wie banale. Nehmen wir nur die Dominicusstraße in Schöneberg. Vor genau 50 Jahren war dort eine Baustelle, die den unmittelbar bevorstehenden Besuch des US-Präsidenten und besonders seinen Auftritt vor dem nahen Rathaus in ihrer Würde zu beeinträchtigen drohte. Die Baustelle muss weg, da war man sich in der Senatskanzlei einig – und tatsächlich: Die Bauarbeiter haben es rechtzeitig geschafft.

Ein halbes Jahrhundert ist seitdem vergangen, zudem gibt es genau jetzt wieder einen Präsidentenbesuch. Und siehe da: Die Dominicusstraße ist erneut Baustelle, nur stört sich daran niemand. Längst ist das Rathaus aus dem Focus der Geschichte, in dem es sich lange wähnte, an den Rand gerückt. Auf der Route des aktuellen Präsidenten liegt es ohnehin nicht mehr. Auch sonst hat sich seither manches verändert: Im Cabrio durch Berlin, auf einer zuvor in der Zeitung genau beschriebenen Strecke? Ein Bad in der Menge? Nicht, wenn man Obama heißt. Der letzte Besuch des mächtigsten Mannes der Welt unter halbwegs entspannten Bedingungen liegt 13 Jahre zurück. Bill Clinton hieß der Mann, hatte sich zwar privat als ziemlicher Hallodri erwiesen, aber die Herzen vieler Berliner flogen ihm dennoch zu bei seinem Berlin-Besuch im Frühjahr 2000. Zwar gab es nichts, was Kennedys Auftritt vor dem Rathaus Schöneberg auch nur annähernd gleichgekommen wäre. Doch als Clinton am 1. Juni abends plötzlich am Kollwitzplatz in Prenzlauer Berg auftauchte und samt Bundeskanzler Schröder und Außenminister Fischer das Restaurant Gugelhof betrat, gab es ein großes Hallo unter den Besuchern eines nahen Volksfestes, den Anwohnern und den Lokalgästen, die sogar per Handschlag („Hi, I’m Bill“) begrüßt wurden und nicht mal ihre Plätze im Umkreis der Politikertische räumen mussten.

Es war Clintons zweiter Besuch in Berlin. Schon 1994 war er samt Hillary in der Stadt gewesen, zum Ende der alliierten Militärpräsenz an der Spree. Rund 50 000 Menschen hatten damals seiner Rede am Brandenburger Tor gelauscht, und im nahen Tiergarten hatte der hohe Gast sogar gejoggt, zwar von seinen Bodyguards umgeben, aber bei weitem nicht so abgeschottet wie jetzt Obama.

Sein zweiter Besuch lag eben ein gutes Jahr vor dem 9. November, und Clinton polarisierte auch nie, zumindest nicht in Deutschland, wie später George W. Bush, der 2002, zwei Jahre nach dem flotten Bill, Berlin beehrte. Mit Protesten war wohl gerechnet worden, „Das ist Demokratie“, hatte der Präsident im Vorfeld noch verständnisvoll verlauten lassen. Aber was mit seiner Ankunft über die Stadt hereinbrach, überraschte dann doch. Rund 20 000 Bush-Gegner hatten sich am Abend der Ankunft um die Schloßbrücke in Mitte versammelt, unter die sich eine gewaltbereite und diese Bereitschaft umgehend in die Tat umsetzende Gruppe von Autonomen gemischt hatte.

Vom volkstümlichen Essen à la Clinton ließ sich der US-Präsident dennoch nicht abhalten. Diesmal hatte das Tucher am Pariser Platz das große Los gezogen, verbürgt ist unter anderem der Genuss eines Apfelstrudels durch Bush. Aber als touristisches Nebenprogramm war ihm das doch zu wenig, wie er gegen Ende seiner Stippvisite verriet: „Ich lebe in einer Blase. Es frustriert mich, dass ich diese aufblühende Stadt nicht sehen kann.“ Was soll da erst Obama sagen.

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