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Berlin: Heraus aus dem Schatten - zum 200. Geburtstag des Architekten

West-Berliner, die in poetischem Ambiente heiraten wollten, gingen gern in seine Kirchen. Nach Stolpe in Wannsee, oder nach Peter und Paul in Nikolskoe, hoch über der Havel.

West-Berliner, die in poetischem Ambiente heiraten wollten, gingen gern in seine Kirchen. Nach Stolpe in Wannsee, oder nach Peter und Paul in Nikolskoe, hoch über der Havel. Friedrich August Stülers elegante Komposition der Baukörper, die schönen Fernblicke und klug organisierten Grundrisse sorgten für festliche Stimmung. Seit der Wende werden die von ihm geplanten Kolonnaden auf der Museumsinsel gerne für Modeaufnahmen aufgesucht, und der Wiederaufbau seines Hauptwerkes, des Neuen Museums, sorgt für internationalen Trubel.

Mit anderen Worten: Friedrich August Stüler ist einer der bedeutensten Architekten, die je hier gearbeitet haben: Alleine das Handbuch der Kunstdenkmäler Berlins nennt ihn dreissig Mal. Und doch ist Stüler, der heute vor zweihundert Jahren geboren wurde, immer noch einer der großen Unbekannten. Die Kunstgeschichte sah in ihm meist nur den talentierten Epigonen und Nachfolger Schinkels, und die Kritik an ihm fiel im ganz auf das Künstlergenie und die Vereinfachung konzentrierten 20. Jahrhundert oft übermäßig hart aus; "modern" eingestellte Museumsleute verfluchten bis vor kurzem seine prachtvollen Dekors. Andererseits lernte die frühe Landhausbewegung von seinen freien Grundrissen; Ingenieure verehren Stülers gewagte Konstruktionen als Vorläufer ihrer jungen Kunst.

Romantik im Statik-Korsett

Geboren wurde Stüler in Mühlhausen. Er studierte ab 1818 in Berlin erst an der Bauakademie, dann auch an der Universität und der Akademie der Künste. Ein universal gebildeter Mann also, fest verankert in den intellektuellen Eliten der preußischen Hauptstadt, in diesen Jahren Vorort der deutschen Romantik und des Idealismus. Nach dem Examen 1827 arbeitete Stüler unter Schinkels Leitung an Palaisbauten. Architektur war zu dieser Zeit wesentlich eine Frage des Staates und des Hofes, freie Architektenstellen waren rar. In der Oberbaudeputation für Schloßbauten zeichnete Schinkel verantwortlich; das Verhältnis zwischen beiden war also weniger eines zwischen Lehrer und Schüler als vielmehr das von hierarchisch verorteten Kollegen. Zwei Jahre später stieg Stüler zum Hofbauinspekteur auf, 1831 zum Chef der Schloßbaukomission. 1842 ist er Mitglied der Oberbaudeputation, der mächtigsten Baubehörde Preußens; 1850 wechselt er ins Bauministerium.

Stüler prägt von hier aus das staatliche und seit 1853 auch das kirchliche Bauen der Zeit. Mehr als vierhundert Kirchenentwürfe stammen aus seinem Büro, wie der Werkkatalog von Eva Börsch-Supan berichtet. Kaum eine brandenburgische Dorfkirche, die nicht wenigstens einen Turm hat, dessen Entwurf auf Stüler zurückgeht. Darüberhinaus muss er ein exzellenter Organisator gewesen sein: Mit 24 Jahren gründete er mit Eduart Knobloch den Berliner Architektenverein, eine bis heute einflussreiche Pressure-Group. Doch vor allem war er ein Entwerfer von Gnaden, gefordert durch immer neue utopische Projekte Friedrich Wilhelm IV.. Stüler drängte die Träume des "Romantikers auf dem Thron" zurück in das Korsett der Statik, der akademischen Traditionen und des Staatshaushaltes. Dabei blieben die vielen Domprojekte und die Planungen für die Museumsinsel im Anfangsstadium stecken; sie scheiterten an der Revolution 1848 und an der Wirtschaftskrise.

Keine Spur von Sturm und Drang

Stüler erwies sich immer dann als besonders gut, wenn er starke Kollegen an der Seite hatte. Das mußten nicht Architekten wie Persius, Knobloch, von Armin oder Strack sein. Das Neue Museum etwa verdankt einen wesentlichen Teil seiner Ausstrahlung August Borsig, der für die hochdiffizile Eisenkonstruktion sorgte, welche das ganze Haus zusammenhält. Die Museumsdirektoren hingegen entwickelten mit Stüler die prachtvolle Ausstattung der Säle mit Wandgemälden und kostbaren Fußböden. Aber der Schatten Schinkels schwebte immer über allem, und so verpasste Berlin den Anschluß an die Entwicklung der Neurenaissance, die von Dresden und Wien ausging. Die Stadt und der Staat blieben beim noblen Putzbau, bei sauberen Proportionen und schlichtem Dekor. Typisch für diesen Stil ist der Bau der prachtvollen, aber letzlich nüchtern gestalteten Schloßkuppel. Sie sicherte der Hohenzollernresidenz die städtebauliche Dominanz gegenüber den Bürgerhäusern, und das Schloss erhielt endlich eine ordentliche Kapelle - doch keine Spur von himmelwärtsstürmender Dramatik.

Zwei Bauten allerdings zeigen, was Stüler konnte, wenn er nicht von den konservativen Schinkel-Verehrern gehemmt wurde. In Budapest errichtete er die neue Akademie der Wissenschaften in hinreißenden Renaissanceformen. Ähnlich, wenn auch trockener, das neue Nationalmuseum in Stockholm - nach Vorgaben Frederik Scholanders. Während dieser Arbeiten starb er 1865, hoch geehrt, wenn man den Nachrufen glauben darf. Mit der Schinkelrenaissance verblassten seine Leistungen. Erst die Wiederentdeckung des Historismus in den Siebziger Jahren und vor allem der lange Streit um die Zukunft des Neuen Museums haben die Qualität dieses Architekten wieder ins Bewußtsein gebracht.Symposium zum Werk F.A. Stülers morgen im Architektengebäude der TU Berlin, Ernst-Reuter-Platz, ab 9.00 Uhr. Am 12. Februar werden am gleichen Ort in einem Symposium zum Neuen Museum die Pläne für dessen Wiederaufbau durch den Architekten David Chipperfield vorgestellt.

Nikolaus Bernau

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