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Tief unten in der Kanalisation lässt sich, wenn die Voraussetzungen stimmen, aus Abwasser Wärmeenergie gewinnen.

© eon

Heißer Scheiß: Berliner Büros von Zalando werden mit Abwasser beheizt

Am Ostbahnhof wird mit einem riesigen Wärmetauscher Energie aus dem Abwasser gewonnen. 586 Kilometer der Kanalisation ließen sich dafür nutzen.

Wer zu Abwasser bisher ein unterkühltes Verhältnis hatte, sollte das noch einmal überdenken. Denn es kann einen im Winter warmhalten. Das wollen die Signa Immobiliengruppe, der Energiekonzern E.on und die Berliner Wasserbetriebe in der Nähe des Ostbahnhofs zeigen.

Im alten Kaufhof in der Koppenstraße ist inzwischen der Moderiese Zalando zu Hause. Inklusive einiger Läden wollen 50.000 Quadratmeter in dem Bürokomplex beheizt werden. Und die Energie dafür kommt aus der Tiefe: dem Abwasserkanal unter dem Gebäude. Eigentümer Signa, E.on und die Wasserbetriebe haben sich für das nach eigenen Angaben größte Kanalwärmetauscher-Projekt der Stadt zusammengetan. Ihr Ziel: die „Energiewende von unten“.

Aus energietechnischer Sicht ist der Kanal eine Goldmine. 20 Grad Celsius misst das Abwasser normalerweise – und zwar das ganze Jahr über. Statt die Energie einfach ans Erdreich zu verschwenden, wird sie dem Haus zum Heizen zugeführt. Dafür haben die Projektpartner unter dem Bürokomplex einen 250 Meter langen Wärmetauscher aus Edelstahl in den Abwasserkanal eingebaut.

Über ein Rohrsystem wird die Wärme des Abwassers auf einen zweiten Wasserkreislauf übertragen, der an eine Wärmepumpe angeschlossen ist. Im Sommer funktioniert das System andersherum: Überschüssige Wärme aus dem Gebäude wird in den Kanal geleitet. An heißen Tagen wie derzeit hilft das Abwasser also, die Büros zu kühlen.

Heizkosten sinken um 15 Prozent, CO2-Ausstoß um 30 Prozent

Für die Mieter zahlt sich das System auch bei der Nebenkostenabrechnung aus, wie die Projektpartner bei einer Pressekonferenz am Montag versicherten. Um 15 Prozent sollen die Heizkosten im Vergleich zu konventionellen Lösungen sinken. Dafür habe man zwei Millionen Euro investiert. Öffentliche Gelder seien jedoch nicht in das Projekt geflossen: Die Berliner Wasserwerke stellten die Infrastruktur zur Verfügung, hieß es, dafür erhielten sie von E.on ein Nutzungsentgelt.

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So schön das alles klingt: Ganz allein mit dem Wärmetauscher geht es noch nicht. Er decke bisher 50 Prozent des Wärmeenergiebedarfs des Gebäudes ab, erklärte E.on-Manager Nikolaus Meyer. Der Rest stamme aus fossilen Brennstoffen: Zum Einsatz kommen ein Gasbrennwertkessel, eine Kälteanlage und ein Blockheizkraftwerk zur Stromerzeugung. Für die Umwelt zahle sich das Projekt dennoch aus, weil bis zu 30 Prozent weniger Kohlendioxid ausgestoßen würden als bei herkömmlichen Lösungen. 400 Tonnen Kohlendioxid könnten auf diese Weise pro Jahr eingespart werden.

Wasserbetriebe haben 10.000 Kilometer Kanalisation untersucht

Meyer sieht in dem Kanalwärmetauscher ein innovatives Beispiel für die Nutzung nachhaltiger Energiequellen. In Deutschland werde ein Großteil der Energie für Wärme verbraucht, aber nur 15 Prozent dieser Energie stamme aus erneuerbaren Quellen. Eine Studie im Auftrag des Bundesumweltministeriums aus dem Jahr 2018 beurteilte die Nutzung von Abwasserwärme bereits als hilfreich, um sich von fossilen Energieträgern zu lösen. Zudem ist es eine platzsparende Option, was gerade in der Stadt wichtig ist. In Deutschland, erklärten die Projektpartner, ließen sich dadurch rechnerisch 14 Prozent des Wärmebedarfs im Gebäudesektor abdecken.

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Könnte das Projekt also ein Vorbild für ganz Berlin sein? Da verweisen die Wasserbetriebe auf ihren Abwasserwärmeatlas. Die Landesfirma hat bereits das 10.000 Kilometer lange System der Abwasserkanäle unter der Stadt untersucht, um das Potenzial für weitere solcher Anlagen zu bestimmen.

Bestimmte Voraussetzungen müssten schon erfüllt sein, um Wärmetausch-Projekte in anderen Teilen der Kanalisation zu realisieren, hieß es. Die Messungen hätten ergeben, dass die Technologie in 586 Kilometern der Berliner Kanalisation eingesetzt werden könnte. Das entspricht etwa der Entfernung zwischen Berlin und München. „Diesen Schatz wollen wir heben und gemeinsam mit Partnern wie E.on und Signa entwickeln“, erklärte Alexander Schitkowsky, der Projektleiter der Wasserbetriebe.

Einen Charme hat das Projekt allemal: Während Klimaschutz sonst oft mit Anstrengungen oder Verzicht verbunden ist, lässt sich in diesem Fall mit jedem Toilettengang ein kleiner Beitrag für die Umwelt leisten.

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