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Der 57-jährige Angeklagte sitzt hinter Eckart Wähner (r), Verteidiger, vor dem Prozessauftakt um die tödliche Messerattacke gegen Fritz von Weizsäcker, Sohn des früheren Bundespräsidenten R. von Weizsäcker.

© Carsten Koall / picture alliance/dpa

„Ich habe wohl Glück gehabt“: Hausverwalter von Gregor S. spricht im Weizsäcker-Prozess

Im Prozess um den gewaltsamen Tod von Fritz von Weizsäcker äußert sich der Hausverwalter des Angeklagten – und Gregor S. macht von seinem Fragerecht Gebrauch.

Die Papiertüte, die sich der Täter übers Gesicht gezogen hatte, konnte den Hausbesitzer Herbert D. nicht täuschen. Auf dem Video erkannte er seinen Mieter Gregor S. sofort, sah, wie dieser nachts gegen 3.30 Uhr auf seinem Grundstück herumschlich, seine Hauswand mit Öl beschmierte und sein Auto zerkratzte.

Am Morgen, auch diesen Besuch hielten die Kameras fest, erschien Gregor S. erneut, klingelte und stellte die 23-jährige Tochter zur Rede.

„Es ging mir um die Maus“, sagt Gregor S. – und ja, es könne schon sein, dass er dabei laut geworden sei. Damals im August 2019, als sein Leben aus den Fugen geriet.

Glaubt man Gregor S., sitzt er heute nur hier, des Mordes und des Mordversuchs angeklagt, im Saal 500 des im Moabiter Kriminalgerichts, weil ihn sein Hausbesitzer und Hausverwalter im vergangenen Jahr zum Äußersten getrieben haben.

An diesem Dienstag hat das Gericht die beiden Männer aus Andernach in Rheinland-Pfalz als Zeugen geladen. „Ich habe wohl Glück gehabt“, sagt Hausverwalter Friedhelm S., „dass ich nicht derjenige war, der das Messer in den Hals bekommen hat.“

„Ich habe wohl Glück gehabt“, sagt der Hausverwalter

Die Staatsanwältin legt Gregor S. zur Last, den jüngsten Sohn des früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker am 19. November 2019 mit einem Messerstich in den Hals nach einem Vortrag in der Schlosspark-Klinik in Berlin getötet zu haben.

Ein heute 34 Jahre alter Polizist hatte den Vortrag privat besucht und versucht, den Angreifer aufzuhalten. Ferrid B. wurde bei dem Kampf schwer verletzt und ist erst seit kurzem wieder im Dienst.

Eingang des Kriminalgerichts Moabit.
Eingang des Kriminalgerichts Moabit.

© Jordan Raza/dpa

Als Mordmotiv hat Gregor S. angegeben, dass er die Familie des getöteten Fritz von Weizsäcker hasse, insbesondere den früheren Bundespräsidenten. Laut Anklage wollte er als „Kollektivschuld“ Tote im Vietnam-Krieg an dem 59-jährigen Sohn des früheren Bundespräsidenten rächen.

Gregor S. hatte knapp 18 Jahre lang in einer spärlich möblierten Einzimmerwohnung in Andernach gewohnt. Seit zwei Jahren lag er mit Friedhelm F. in ständigem Streit über den Zustand der Wohnung.

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Ein Loch, sagt der Hausverwalter, „unaufgeräumt, muffig, die Toilette in ekelhaften Zustand“. Doch Mahnungen und Mieterhöhungen habe Gregor S. ignoriert.

Gregor S. fühlte sich von seinem Hausverwalter verfolgt und bloßgestellt

Der 57-jährige, der bei Amazon als Packer beschäftigt war, fühlte sich von seinem Hausverwalter verfolgt und bloßgestellt. Friedhelm F. habe ihn raushaben wollen, sich Zutritt zu seiner Wohnung verschafft und ihm zwei Mal heimlich Mäuse ins Zimmer gesetzt.

„Eine war in einer Brötchentüte“, sagt Gregor S. Ein Horror sei das gewesen für ihn, den Zwangsneurotiker.

In seiner Verzweiflung habe er die Hauswand des Vermieters mit Öl bestrichen, sei durchgedreht und danach in eine schlimme Phase gerutscht. Er habe sich Antidepressiva verschreiben lassen, nichts mehr gegessen, nur noch im Bett gelegen.

In seinem Geständnis hatte der Angeklagte so seinen Tatentschluss zum Attentat erklärt. „Aus dieser Ausweglosigkeit ist die Notwendigkeit zum Handeln gekommen.“

Dem völlig arglosen Fritz von Weizsäcker ließ Gregor S. keine Chance: 14 Zentimeter tief rammte er dem Chefarzt das Messer in den Hals. In 25 Jahren Berufserfahrung habe er es höchstens drei Mal erlebt, dass ein „einzelner Stich so heftig geführt wird“, sagt Gerichtsmediziner Michael Tsokos im Zeugenstand.

Drei der so verursachten Verletzungen seien tödlich gewesen. Das Opfer sei an seinem eigenen Blut ertrunken.

„Es ist nicht erforderlich, hier den Zustand des Klodeckels zu erörtern“

Nach seiner Festnahme hat Gregor S. der Polizei erzählt, dass er während des Attentats seinen verhassten Hausverwalter vor Augen hatte. Im Prozess macht er am Dienstag von seinem Fragerecht als Angeklagter ausgiebig Gebrauch: „Ist es richtig, dass...“, leitet er mit erhobenem Zeigefinger jede seiner rund zwei Dutzend Fragen ein, bevor er vom Vorsitzenden Richter gestoppt wird.

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Man habe ja nun einen Einblick in das zerrüttete Verhältnis bekommen, sagt Matthias Schertz. „Es ist nicht erforderlich, hier den Zustand des Klodeckels zu erörtern.“

Im Prozess muss geprüft werden, ob Gregor S. schuldfähig war. Den Schlagabtausch zwischen Gregor S. und seinem Hausverwalter verfolgt der Sachverständiger Alexander Böhle am Dienstag mit besonderem Interesse. Für die Frage der Steuerungsfähigkeit sei vor allem „die szenische Gestaltung“ außerordentlich relevant gewesen.

Das psychiatrische Gutachten soll voraussichtlich am kommenden Freitag in der Verhandlung verlesen werden. Das Urteil könnte das Gericht am 8. Juli sprechen.

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