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Unsichtbare Gefahr. Die Hand auf diesem Bild wird im Institut für Hygiene und Gesundheit in Hamburg auf Krankheitserreger untersucht.

© Daniel Reinhardt/p-a/dpa

Hygiene und Höflichkeit: Hände weg!

Warum steht man eigentlich als Freak da, wenn man in der Grippezeit den Handschlag verweigert? Das ist doch das einzig Vernünftige! Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Elisabeth Binder

Kürzlich beim Hausarzt. Routiniert streckt er mir die Hand entgegen. Ich schlage nicht ein und erkläre das: „In Grippezeiten vermeide ich es, Hände zu schütteln, weil man sich auf diese Weise leicht ansteckt.“ Verblüfft schaut er mich an und lobt mich dann: „Ach, wenn doch alle so vernünftig wären.“ Und dass ich mir nicht vorstellen könne, wie beleidigt Patienten sein könnten, die schniefen und röcheln, wenn man ihnen die Hand nicht gibt. Doch! Leider konnte ich mir das nur zu gut vorstellen. Weil man Dinge nur ändert, indem man sie selber praktiziert, verhalte ich mich öfter so und kenne die Reaktionen. Längst nicht immer, denn immer habe ich die psychische Kraft nicht, die es kostet, in Sekundenschnelle in der Defensive zu sein. Außerdem gibt es auch immer wieder Situationen, in denen man sich schlicht nicht dem Verdacht aussetzen möchte, unhöflich zu sein. Der ploppt in solchen Situationen fast automatisch auf.

Ein Lächeln tut’s doch auch!

Der Eifer, mit dem in diesem Land Hände erbeutet und gedrückt und geschüttelt werden, ist schon erschreckend. Jeder weiß, dass es nicht gut für die Gesundheit ist, weil die Hände zu den wichtigsten Übertragungsquellen für Infekte gehören, aber es ist wie mit dem Rauchen oder dem Saufen, viele können oder wollen es sich einfach nicht abgewöhnen. Als sei der Handschlag ein alles überstrahlendes Symbol dafür, dass man guten Willens ist, dass man dem Gegenüber freundlich gesonnen ist. Muss das wirklich sein? Ein Lächeln tut’s doch auch! Könnt ihr das Patschhändchen nicht bitte einfach mal stecken lassen? Wenn man etwa in den USA unterwegs ist, kommt man nur selten in die Lage, sich rechtfertigen zu müssen. Da ist es einfach nicht üblich, sich die Hand zu geben. Hier dagegen gerät man nonstop in die Situation, sich entschuldigen zu müssen. Bei einem Galaabend im Theater streckt mir der Herr neben mir die Hand entgegen. Als ich nicht reagiere, zieht er sie zurück, wirkt aber verschnupft. Nicht durch Viren, sondern durch vermeintlich schlechtes Benehmen. Meine Erklärung nimmt er kühl auf: „Danke, dass Sie das wenigstens gesagt haben.“

Vor einiger Zeit war ich in einer Kirche, wo der Pfarrer kurz vor dem Händeschüttel-Ritual sagte, man könne sich auch kontaktlos grüßen, da gerade die Grippe grassiere in seiner Gemeinde. Wer Angst vor Erkältungen habe, sollte vielleicht lieber aufs Händeschütteln verzichten. Gerade dachte ich, dass der doch für seine Vernunft jetzt bestimmt eine stehende Ovation verdient hat, als die Leute wie verrückt loslegten mit dem Händeschütteln. Zweimal bin ich ausgewichen, habe mich anschließend vorsichtshalber entschuldigt.

Warum steht der Vernünftige sogar in ganz offensichtlichen Situationen als Freak da? Zu einem Dinner kommt eine Frau mit roter Schnupfennase dazu, die vor Heiserkeit kaum sprechen kann und schon Angst hatte, sie sei zu krank, um mitzuessen. Und was macht sie als Erstes, nachdem sie das mitgeteilt hat? Klar, sie geht reihum und schüttelt jedem die Hand. Und guckt ganz gekränkt, als ich mein Sprüchlein sage. Hätte ich ihr einen Spiegel vorhalten sollen?

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