zum Hauptinhalt
Garten für alle. Bildhauer Blonay Fuchs, seine fünfjährige Tochter Annabelle sowie Mieter und Freund des Hauses Albrecht Broemme sind gerne am Goldfischteich.

© Kitty Kleist Heinrich

Berliner Pflanzen - Die Gartenserie (6): Gezähmte Wildnis

Hügel und Schattenwald, wuchernder Farn und sittsame Rosen. Der Steglitzer Garten des Bildhauers Blonay Fuchs ist ein Erlebnis. Eine Männerfreundschaft hat die Anlage neu zum Leben erweckt.

Weiße Wolken treiben über den Steglitzer Fichtenberg. Es ist ein gediegenes Viertel, alte Villen, große Gärten. Gut 15 Minuten läuft man von der Schlossstraße hinauf zum Carl-Heinrich-Becker-Weg. Nummer 19, ein Mädchen steht am offenen Gartentor. Annabelle, braunes Haar, rotes Blümchenkleid, hat eben schwarze Johannisbeeren gepflückt und streckt einem eine Handvoll entgegen. Mal probieren? Dann spielt sie Lotse, hüpft den von Büschen gesäumten Pflasterweg hinunter, pflückt mal links, mal rechts ein paar Beeren und erzählt schon mal ein bisschen von dem Garten, in dem eine Fünfjährige so viel erleben kann, weil es so vieles zu entdecken gibt. Also hat ihr Papa, der Maler und Bildhauer Blonay Fuchs, ihn eigens so angelegt – für kleine und große Abenteurer.

Der 55-Jährige deckt die Kaffeetafel an einem Tisch auf der großen Wiese, dem Herzstück des Gartens. Es dauert ein Weilchen, ehe man dort ankommt, auf dem Weg gibt es schon so viel zu gucken. Ein kleines Toskana-Gefühl stellt sich ein. Der Pfad führt über kleine sonnenwarme Höfe und Treppen abwärts, um ein rot geklinkertes Haus herum, das Bauhausarchitekt Ludwig Hilberseimer 1935 für den Vater von Blonay Fuchs entworfen hat.

Unterwegs muss man Geranien bewundern und dickblättrige Sukkulenten in Tontöpfen auf jedem freien Mäuerchen. Annabelle streicht gern über Hortensienblüten und Lilien. Es duftet nach Sommer, die Nase erschnuppert Lavendel. In den Kletterrosen summen die Bienen.

Der Garten bietet nicht nur Blüten-Kunst. Aus Blumen und Ranken taucht schimmernd eine kniehohe Sandsteinfigur auf, ein sich umschlingendes Paar. Stein in weichen Formen, die Linie aufs Wesentliche reduziert. Liebe und Lust, Wandel und Wachstum, Vitalität und Ruhe, Chaos und Formgebung – um diese Kontraste kreist die Kunst von Blonay Fuchs. Sein Anspruch findet sich im Garten wieder.

Von der Küche kommt er barfuß und in Jeans und T-Shirt mit der Kaffeekanne über den ordentlich gepflegten Rasen. Am Tisch hat Albrecht Broemme Platz genommen. Ihn kennt man: 14 Jahre lang Berlins Feuerwehrchef, nun Präsident des Technischen Hilfswerks. Broemme, 61, ist seit acht Jahren Mieter im Bauhausgebäude, das Fuchs geerbt hat. Für sich selbst hat der Künstler aus Holz und Glas einen lichten Anbau darangesetzt. Seit die beiden Männer sich trafen, begeistern sie sich für die 2200 Quadratmeter Garten und kümmern sich um die Gestaltung.

Die Kiefern leuchten rot in der Sonne

Am Rande der Wiese recken sich riesige Kiefern, die Rinde rot in der Sonne, so feurig wie die Kiefern vom Grunewaldsee, die Impressionist Lesser Ury einst malte. Rose und Glyzinie winden sich einen Stamm hinauf. Fuchs sagt: „Wenn beide blühen, ist das ein Fest.“ Für ihn sind die Kiefern der märkische Akzent auf seinem Stück Land, das er den „Erlebnisgarten“ nennt.

Der Kaffee auf freier Wiese war gut, es ist Zeit für einen Rundgang. Hügel begrenzen die Wiese im Südosten, Blonay und Broemme haben sie eigenhändig angehäuft. Das Gelände soll modelliert wirken, „wie in Bewegung“. Fuchs steigt einen Pfad zwischen gelben „Mädchenaugen“ hinauf. Dichter Rasen auf dem Weg wirkt wie ein grünes Band, das den Blick zur Skulptur auf der Kuppe lenkt. Die Figuren sind sparsam im Garten verteilt, aber jede hat ihre Inszenierung. Sie scheinen hier draußen gewachsen zu sein, im Erdreich, auf Baumstümpfen.

Blick von der Terrasse auf die große Wiese, das Herzstück des Erlebnisgartens. Im Hintergrund der Urwald.
Blick von der Terrasse auf die große Wiese, das Herzstück des Erlebnisgartens. Im Hintergrund der Urwald.

© Kitty Kleist-Heinrich

Von den Hügeln überblicken Fuchs und Broemme ihren Garten, dort trinken sie miteinander gern ein Glas Rotwein. Eine gefällte Eibe quer gelegt, schon hat man einen urwüchsigen Sitz. Hinter dem Goldfischteich geht es rauf zum „Alpinarium“. Sanddorn und Fingerhut wachsen am Hang zwischen Juragestein. Dahinter führt eine Stiege hinunter zur Wildblumenwiese und zum Gewächshaus. Nebenan die Bildhauerwerkstatt im Freien. Halb fertige Figuren liegen im Gras neben Rohlingen aus Muschelkalk.

Annabelle liebt ihre Dschungelschaukel

nnabelle rennt voraus, verschwindet unter alten Kiefern und Eiben, die hier dicht wachsen. Zwischen Funkien und Zaubernuss wuchern im Halbdunkel Farne, armdicke Efeuwurzeln baumeln am Baum wie Lianen. Es ist ihr Urwald. Zwischen Stämmen hat Albrecht Broemme einen Balken mit Knoten befestigt – fachmännisch wie beim THW. Daran hängt Annabelles Dschungelschaukel. Im Urwald darf die Natur wuchern, wie sie will, auch auf manchen Beeten, wo sie buntes Chaos anrichtet. Aber daneben wächst eine streng in Form gebrachte Stockrose. Das ist Blonay Fuchs’ Gartenkunst.

Als Junge wich er dem Gärtner seines Vaters am Fichtenberg nicht von der Seite. Vor 18 Jahren übernahm er das Anwesen, doch erst als Albrecht Broemme hinzukam, entdeckte Blonay die Lust am Gärtnern neu. „Damals war der Garten düster zugewachsen.“ Sie wollten ihn rekonstruieren. Broemme, kräftig und mit der Motorsäge vertraut, fällte Bäume und zog Efeu, „dick wie grüne Strumpfhosen“ von den Stämmen. Der Garten erhielt Sichtachsen. Seither ist an jedem Freitag „Gartentag“. Die Männer nehmen sich einige Arbeiten vor, Annabelle hilft und Luis, Broemmes 18-jähriger Sohn, ist dabei. Beide verbringen viel Zeit mit ihren getrennt von der Familie lebenden Vätern.

Annabelle pflückt reife Maulbeeren und freut sich über die Rotkehlchen. Die hüpfen ihr hinterher und picken jedes Würmchen auf, wenn sie die Erde harkt.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false