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Berlin: George Grosz: Maul halten und weiterdienen!

Das Tragen einer Gasmaske behindert erwiesenermaßen die Kommunikation. Die Sätze eines derart Ausgerüsteten dürften "nur als dumpfes Gemurmel, nicht aber als artikulierte Wörter" an das Ohr der Außenwelt dringen, vermutete ganz richtig Ignaz Wrobel alias Kurt Tucholsky in der "Weltbühne".

Das Tragen einer Gasmaske behindert erwiesenermaßen die Kommunikation. Die Sätze eines derart Ausgerüsteten dürften "nur als dumpfes Gemurmel, nicht aber als artikulierte Wörter" an das Ohr der Außenwelt dringen, vermutete ganz richtig Ignaz Wrobel alias Kurt Tucholsky in der "Weltbühne". Eigentlich erübrigte sich das Rätselraten, wem auf der George-Grosz-Zeichnung eines Christus mit Gasmaske die Titelworte "Maul halten und weiterdienen" zuzurechnen seien: Der unsichtbaren Obrigkeit, die sogar den Friedensboten Christus zum Kriegsdienst pressen will? Oder dem Gekreuzigten selbst, der die leidende Menschheit zynisch verhöhnt? Juristisch freilich war das einmal eine zentrale Frage.

Keine Ausstellung über George Grosz, zumal wenn sie, wie jetzt im Nicolaihaus, seine "Zeichnungen für Buch und Bühne" in den Mittelpunkt stellt, kommt an dem von 1928 bis 1931 sich durch drei Instanzen hinziehenden Gotteslästerungsprozess vorbei, den Grosz und sein Verleger Wieland Herzfelde wegen des Christus mit der Gasmaske auszufechten hatten. Schon in der großen Grosz-Schau 1994/95 in der Neuen Nationalgalerie wurde daran erinnert, und auch das Stadtmuseum zeigt jetzt, als Leihgabe der Akademie der Künste, zehn Blätter der 1928 im Berliner Malik-Verlag herausgegebenen Mappe "Hintergrund", darunter "Maul halten und weiterdienen" und die ebenfalls der Blasphemie verdächtigte "Ausschüttung des heiligen Geistes". Sie zeigt einen Pfarrer auf der Kanzel, dessen Mund Gewehre, Kanonen und Granaten entströmen.

Anfang 1928 hatte der Regisseur Erwin Piscator im Theater am Nollendorfplatz, dem heutigen Metropol, die Bühnenfassung von Jaroslav Haseks "Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk" inszeniert. Grosz sollte dazu Entwürfe für Bühnenprospekte anfertigen: "Erwin rüstete mich mit einem riesigen Zeichenbrett aus (...) Dies stand im Bühnenhintergrund, und als sich die Ereignisse auf der Bühne abspielten, begleitete ich sie mit riesenhaften Symbolen (...) So konnte ich Bedeutungen unterstreichen oder vorschlagen. Welch ein Medium für den Künstler, der mit den Massen direkt kommunizieren will!" Etwa 100 Zeichnungen entstanden, aus 17 Blättern stellten Grosz und Herzfelde die Mappe "Hintergrund" zusammen. Die Reaktion der Justiz ließ nicht lange auf sich warten, Grosz war das gewohnt. 1921 war er für seine Mappe "Gott mit uns" wegen angeblicher Beleidigung der Reichswehr zu 300 Mark Strafe verurteilt worden, drei Jahre später für die (ebenfalls im Nicolaihaus gezeigte) Mappe "Ecce Homo" wegen des Vorwurfs der Pornografie zu 500 Goldmark. Diesmal nun wurde der Paragraf 166 des Strafgesetzbuches, der "Gotteslästerungsparagraf", herangezogen. Gleich bei drei der Zeichnungen schien den juristischen Kunstkritikern die Messlatte zu passen, neben dem Gasmasken-Christus und dem martialischen Pastor erregte das Blatt "Seid untertan der Obrigkeit" Anstoß, das einen preußischen und einen österreichischen Offizier zeigt, assistiert von einem die Paragrafenknute schwingenden Juristen und einen das Kreuz auf der Nase balancierenden Prediger.

Im Mittelpunkt der Verhandlung vor dem Schöffengericht Charlottenburg am 10. Dezember 1928 wie auch der späteren Pro-zesstage stand aber Christus. Nie habe er die Möglichkeit erwogen, jemanden zu beleidigen oder ein Gesetz zu brechen, verteidigte sich Grosz. Er habe nur den Satz "Maul halten und weiterdienen" im "Schwejk" gehört, und sofort sei ihm die Vision gekommen, was wohl Christus in den Gräben des großen Krieges geschehen wäre. Das Gericht unter seinem Vorsitzenden, dem Landgerichtsdirektor Tölke, beeindruckte das wenig. Die Zeichnung sei nicht nur, wie die Anklage meine, ein "Angriff auf eine Einrichtung der christlichen Kirchen, nämlich die Christusverehrung", vielmehr sei das Angriffsobjekt "unverkennbar Christus selbst", die Worte der Unterschrift müssten "als von ihm gesprochen aufgefasst werden". Jeweils 2000 Mark Geldstrafe, ersatzweise zwei Monate Gefängnis, seien angemessen.

Das Urteil löste besonders unter linken Intelektuellen Entrüstung aus, doch auch die Staatsanwaltschaft war unzufrieden, legte, wie Verteidiger Alfred Apfel, Revision ein. Am 10. April 1929 kam es erneut zur Verhandlung, diesmal vor der 2. Großen Strafkammer des Landgerichts III Berlin, mit dem Landgerichtsdirektor Julius Siegert als Vorsitzendem. Wieder argumentierte Grosz, er habe besonders die Kirche kritisieren wollen, soweit sie durch kriegshetzende Vertreter, entgegen ihrer Lehre, den Kriegsgeist unterstützt habe. "Eine Verletzung religiöser Gefühle oder eine Herabwürdigung kirchlicher Einrichtungen habe weder in seiner Absicht gelegen, noch sei er sich dessen bewusst gewesen", wurde in den Akten festgehalten.

Hoffnungen machte Grosz sich wohl kaum, Siegert galt als streng konservativ. Um so überraschender der Freispruch: Paragraf 166 gelte nur für mündliche oder schriftliche Äußerungen. Auch habe Grosz nicht die Gesamteinrichtungen der Kirche, sondern nur deren Auswüchse treffen wollen, die ihm bei der Propagierung des Gedankens der Kriegsverneinung hinderlich erschienen. Mit ihr erhebe er "eine ethische Forderung größten Ausmaßes". Gewiss würden viele die Bilder als geschmacklos bezeichnen, mit einer Verletzung religiöser Gefühle habe dies nichts zu tun.

Das juristische Tauziehen war damit noch lange nicht beendet. Am 27. Februar 1930 hob das Reichsgericht in Leipzig den Frei-spruch auf und verwies den Fall zurück: Paragraf 166 sei doch anzuwenden. Siegert aber blieb bei seiner Entscheidung und sprach Grosz und Herzfelde Anfang Dezember 1930 erneut frei. Die Berufung durch die Staatsanwaltschaft führte 1931 immerhin noch zur Anordnung des Reichsgerichts, die Zeichnungen und die Druckstöcke seien wegen möglicher Missdeutung unbrauchbar zu machen. Zwei Jahre später hat man sich um solche juristische Feinheiten ohnehin nicht mehr geschert, und Julius Siegert, der korrekte Konservative, war nicht zuletzt wegen seines liberalen Urteils im Fall Grosz einer der ersten Richter, die 1933 ihr Amt verloren.

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