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Reichsbürger lehnen das System der Bundesrepublik ab.

© Patrick Seeger/dpa

„Geeinte deutsche Völker und Stämme“: Razzia bei Reichsbürgern

Mitglieder einer obskuren Gruppierung werden als kriminelle Vereinigung eingestuft – unter anderem wollten sie einen Holocaust-Leugner freipressen.

Von Frank Jansen

Der Name der Gruppierung klingt etwas irre, doch harmlos sind die Leute nicht. Die Polizei hat am Donnerstag Wohnungen mutmaßlicher Mitglieder des Reichsbürgertrupps „Geeinte deutsche Völker und Stämme“ durchsucht. Die Razzia erstreckte sich auf Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Durchsucht wurde in Spandau und Mitte, in Brandenburg rückte die Polizei in Groß Lindow an, einem Dorf südlich von Frankfurt (Oder), in Mecklenburg in der Gemeinde Jabel. Staatsanwaltschaft und Generalstaatsanwaltschaft Berlin ermitteln gegen mehr als zehn Beschuldigte, der Hauptvorwurf lautet Bildung einer kriminellen Vereinigung. Zu den Straftaten zählt auch der bizarre Versuch, den inhaftierten Holocaust-Leugner Horst Mahler freizupressen.

Die Gruppierung soll im Jahr 2017 in einem Brief Brandenburgs Justizminister Stefan Ludwig (Linke) Gewalt angedroht haben, falls Mahler nicht aus der JVA Brandenburg/Havel entlassen wird. Das Schreiben ging auch an mehrere Gerichte in Brandenburg. Der Rechtsextremist Mahler, einst Linksterrorist, verbüßt eine mehr als elfjährige Haftstrafe wegen einer Vielzahl von Straftaten. Meist ging es um seine Dauerhetze gegen Juden. Mahler gilt vielen Rechtsextremisten und Reichsbürgern als Held, weil er mit seinen strafbaren Provokationen unablässig den verhassten Staat attackiert.

Gegen die „Geeinten deutschen Völker und Stämme“ liegt allerdings noch weit mehr vor als die Drohung gegen Justizminister Ludwig. Generalstaatsanwaltschaft und Polizei in Berlin listeten am Donnerstag die Taten der mutmaßlichen Mitglieder der kriminellen Vereinigung auf: eine Vielzahl von Sachbeschädigungen, versuchten Nötigungen, versuchten Erpressungen und Freiheitsberaubungen. Das Motiv ist, wie bei Reichsbürgern üblich, der Wahn, die Bundesrepublik sei kein rechtmäßiger Staat. Die Mitglieder der Gruppierung strebten „nach der Errichtung einer eigenen Ordnung“, heißt es lapidar in der Mitteilung von Generalstaatsanwaltschaft und Polizei.

Das bekam beispielsweise die Verwaltung des Bezirks Steglitz-Zehlendorf zu spüren, wie sich im Jahresbericht 2017 des Berliner Verfassungsschutzes nachlesen lässt. Im Oktober des Jahres verlangten die „Geeinten deutschen Völker und Stämme“ von Bürgermeisterin Cerstin Richter-Kotowski (CDU), das Rathaus Zehlendorf zu räumen und die Schlüssel zu übergeben. Am 19. Oktober kreuzten dann drei Reichsbürger bei Richter-Kotowski auf, um die vermeintliche Räumungsverfügung der „Geeinten deutschen Völker und Stämme“ durchzusetzen. Die Polizei beendete den Spuk.

Reichsbürger geben nicht auf

Die Reichsbürger gaben allerdings nicht auf. Ende Dezember 2017 forderte die Gruppierung als selbsternannter „Stellvertretender Magistrat von Berlin“ von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, er solle eine „Konferenz zur Übergabe deutscher Hoheitsgebiete“ an die „Geeinten deutschen Völker und Stämme“ vorbereiten. Die Reichsbürger hatten auch schon einen Termin parat. Die Konferenz hätte am 20. Januar 2018 im Berliner Abgeordnetenhaus stattfinden sollen. Die Polizei rückte an, die Reichsbürger blieben jedoch weg.

Im vergangenen Jahr meldete sich der „Stellvertretende Magistrat“ mit einem Brief beim Amtsgericht Mitte. Die Reichsbürger wollten die Übertragung von Liegenschaften und Immobilien. Auch weitere staatliche Stellen wurden mit aggressiven Schreiben eingedeckt.

Gegründet wurde die Gruppierung 2017 im Landkreis Oberhavel. Treibende Kraft ist eine Berlinerin. Die Ideologie klingt wirr. Für die „Geeinten deutschen Stämme und Völker“ ist ein „Naturstaat“ die „Staatsform im höchsten Recht“. Die Gruppierung meint, sie könne Gebiete der Bundesrepublik beanspruchen.

Welche Gefahr von Reichsbürgern ausgeht, zeigte sich exemplarisch 2016. In Sachsen-Anhalt feuerte ein Mann, der sein überschuldetes Grundstück zum Staat erklärte hatte, auf Polizisten. Ein Beamter wurde verletzt. Zwei Monate später erschoss ein Reichsbürger in Bayern einen Polizisten. Bundesweit stellt der Verfassungsschutz 19.000 Reichsbürger fest. In Berlin und Brandenburg sind es jeweils mehr als 650.

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