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Die Sumpfkrebse aus Nordamerika haben sich im Sommer 2017 massenhaft vermehrt im Berliner Tiergarten. Ihr Geschmack setzt sich in den besten Küchen durch.

© dpa/Gregor Fische

Future Food Conference in Berlin: Gutes Geschäft mit Algen und der Sumpfkrebs-Plage

Lebensmittelfirmen aus Berlin können mehr als Pizza und Pralinen. Sie bringen sogar Krebse und Algen auf die Teller.

Innovative Unternehmen aus der Lebensmittelbranche treffen sich am Dienstag (17. September 2019) im Kindl – Zentrum für zeitgenössische Kunst in Neukölln auf der „Future Food Conference“. Aus diesem Anlass stellen wir drei junge Food-Firmen und ein Netzwerk vor.

Holycrab! krebst nicht nur herum

Die knallroten Amerikanischen Sumpfkrebse fressen beinahe alles: Insekten, Würmer, Fische. Die eingewanderte Art vermehrt sich rasant, weil sie kaum natürliche Feinde hat. Vor zwei Jahren spazierten die Eindringlinge plötzlich massenhaft durch den Tiergarten. Das Problem: Solche invasiven Arten fressen anderen Tieren die Nahrung weg und bringen das Ökosystem durcheinander. Doch der Unternehmer Lukas Bosch behauptet, eine Lösung zu haben. Er fragt: „Warum essen wir sie nicht einfach auf?“

Lukas Bosch, Juliane Bublitz und Andreas Michelus von Holycrab! verarbeiten unter anderem den Amerikanischen Sumpfkrebs, der in Berlin als Plage galt.
Lukas Bosch, Juliane Bublitz und Andreas Michelus von Holycrab! verarbeiten unter anderem den Amerikanischen Sumpfkrebs, der in Berlin als Plage galt.

© Holycrab!

„Bei uns mag der Amerikanische Sumpfkrebs ein Schädling sein, doch in seinem natürlichen Verbreitungsgebiet in Louisiana gilt er als Delikatesse“, sagt Bosch. Der Unternehmensberater ist einer der Gründer des Start-ups „Holycrab!“, das den Sumpfkrebs zu Delikatessen verarbeitet. Gemeinsam mit der Zukunftsforscherin Juliane Bublitz und dem Koch Andreas Michelus hat er die kleine Firma Anfang 2019 mit Eigenkapital gegründet. In ihrem Food-Truck bieten sie seither Kreationen wie die Sumpfkrebs-Rolle im Sauerteig an, verfeinert mit regionalem Biogemüse. Im Sommer waren sie damit zu Gast auf vielen Berliner Food-Festivals.

In Zukunft möchte „Holycrab!“ weitere problematische Tierarten auf den Teller bringen, zum Beispiel die Chinesische Wollhandkrabbe oder die Nilgans. Die Firma arbeite bereits mit Fischern aus der Region zusammen und zunehmend auch Jägern, sagt Bosch. Das ganze Projekt habe „experimentellen Charakter“. Es ginge darum, auf das Thema Nachhaltigkeit hinzuweisen und auf die Rolle des Menschen. Schließlich beförderten der globale Handel und der Klimawandel die Verbreitung invasiver Arten, sagt Bosch.

Algen: Eine Delikatesse in Gläsern von Nordic Oceanfruit

Auch der industrielle Fischfang gefährdet die Artenvielfalt. Weltweit gelten der Umweltschutzorganisation WWF zufolge bereits 33 Prozent der kommerziell genutzten Fischbestände als überfischt. Das Startup Nordic Oceanfruit mit Sitz in Gesundbrunnen möchte eine Alternative anbieten: Meeresalgen. Die Gründer Deniz Ficicioglu und Jakob von Manteuffel machen daraus vegane Salate.

Jakob von Manteuffel und Deniz Ficicioglu von Nordic Oceanfruit verarbeiten Algen, die sie an den Küsten von Irland und Norwegen ernten.
Jakob von Manteuffel und Deniz Ficicioglu von Nordic Oceanfruit verarbeiten Algen, die sie an den Küsten von Irland und Norwegen ernten.

© Nordic Oceanfruit (Promo)

Während seines Ressourcenanalyse-Studiums hat Jakob von Manteuffel einen Dokumentarfilm über die größten Algenfarmen de Welt gedreht. In Japan, China und Korea werden Meeresalgen industriell produziert. „Auch in Norwegen habe ich Algenzüchter besucht“, sagt Manteuffel. Beim Anblick der Aquakulturen in den Fjorden sei ihm die Idee gekommen: Es müsste doch möglich sein, auch den deutschen Verbraucher auf den Geschmack zu bringen. Gemeinsam mit der Food-Bloggerin und Kochbuch-Autorin Deniz Ficicioglu entwickelte er einen Algensalat in vier Geschmacksrichtungen. Die Rezepte orientierten sie an bekannten Feinkostsalaten. Das Rohprodukt wird aus Norwegen und Irland importiert. Die ersten Gläser haben Ficicioglu und Manteuffel noch selbst abgefüllt und von Hand etikettiert. Inzwischen erfolgt die Serienproduktion in einer Hamburger Großküche. Die Etiketten klebt eine Behindertenwerkstatt auf.

Meeresalgen, die das Start-up Nordic Oceanfruit vor der Küste von Norwegen gesammelt hat.
Meeresalgen, die das Start-up Nordic Oceanfruit vor der Küste von Norwegen gesammelt hat.

© Nordic Oceanfruit (Promo)

„Meeresalgen sind gesund, sie enthalten wichtige Proteine, Minerale und Ballaststoffe“, erklärt Ficicioglu. Außerdem sei die Produktion nachhaltig: „Algen wachsen im offenen Meer. Sie brauchen kein Süßwasser, keinen Dünger und keine Pestizide.“ Die Aquakulturen vor der norwegischen Küste würden sogar die Artenvielfalt erhöhen, weil sie die Wasserqualität verbessern und Fischen Rückzugsgebiete geben würden, so Ficicioglu.

„Algen sind aber nicht nur eine Alternative für den Konsumenten, sondern auch für Fischer“, weiß Manteuffel. Viele Menschen in Küstenregionen seien von der Fischereiindustrie abhängig: „Weltweit leben 600 Millionen Menschen direkt oder indirekt vom Fischfang. Diese Leute haben das Know-how und die Infrastruktur, um auf Meeresalgenanbau umzurüsten.“ Dadurch würde die Überfischung langfristig verringert, glaubt er.

Das Interesse des Einzelhandels haben die beiden Jungunternehmer bereits geweckt. Im Mai erhielten sie beim Food Innovation Camp in Hamburg einen Sonderpreis für ihr Business-Konzept, gestiftet von der Rewe Group. Die Unternehmensgruppe unterstützt die Gründer seither mit Coachings und wird die Algensalate in den kommenden Wochen ins Sortiment aufnehmen. Dann werden sie in über 650 Geschäften von Rewe Nord erhältlich sein.

Wein ohne Alkohol von Kolonne Null

Auch Kolonne Null mit Sitz in der Neuköllner Hobrechtstraße hat kürzlich den Sprung in den Einzelhandel geschafft. Das Produkt: Wein ohne Alkohol. Die Idee sei zwar nicht ganz neu, gibt Gründer Philipp Rößle zu, aber bisher habe es im Handel nur „süße Plörre“ gegeben. Die mangelnde Qualität habe den Kunstmaler so sehr gestört, dass er im vergangenen Jahr gemeinsam mit dem Unternehmer Moritz Zyrewitz ins Weingeschäft einstieg. Inzwischen bietet „Kolonne Null“ insgesamt zwölf Produkte an: Weiß- und Roséweine sowie Sekt.

Philipp Rößle und Jeremias Loock im Berliner Büro von Kolonne Null - einem Produzenten von alkoholfreiem Wein.
Philipp Rößle und Jeremias Loock im Berliner Büro von Kolonne Null - einem Produzenten von alkoholfreiem Wein.

© Christoph M. Kluge

Die Weine beziehen die Berliner von Winzern, die vom Verband Deutscher Prädikats- und Qualitätsweingüter (VDP) zertifiziert sind, vorrangig aus dem Rheingau. Der VDP garantiert verbindliche Qualitätsstandards. „Das ist die Champions League der Winzer“, sagt Verkaufsleiter Jeremias Loock. Die edlen Tropfen werden dann im Vakuumdestillationsverfahren entalkoholisiert. Bei niedrigem Druck wird der Wein auf etwa 28 Grad erhitzt, der Alkohol verdampft.

Anfangs seien die Berliner Quereinsteiger bei den Winzern auf Skepsis gestoßen, sagt Loock: „Wir wurden vom Hof gejagt.“ Das liege auch daran, dass in der Weinwirtschaft sehr traditionell gedacht werde. Doch inzwischen gäbe es immer mehr Weintrinker, die auf gesunde Ernährung achteten. Die ersten Versuche hätten gezeigt, dass es tatsächlich möglich sei, erlesene Weine zu entalkoholisieren, ohne den Geschmack zu verderben. Das habe die skeptischen Weinprofis überzeugt, sagt Loock.

Die alkoholfreien Weine sind mittlerweile in vielen Berliner Weinläden zu haben, außerdem in ausgewählten Edeka-Filialen und im KaDeWe. Und ab Anfang Oktober werde Getränke Hoffmann sie deutschlandweit anbieten, sagt Gründer Rößle. Doch ein Ziel habe er bisher noch nicht erreicht: „Mein persönlicher Wunsch ist es, einen alkoholfreien Rotwein zu kreieren, der vollmundig, schwer und lecker ist.“

Nutrition Hub: Ein Netzwerk für Ernährungsexperten

Auch die Ernährungswissenschaftlerin Simone Frey wird auf der „Future of Food Conference“ sprechen. Sie hat „Nutrition Hub“ gegründet, ein Netzwerk für Ernährungsexperten mit mehr als 8000 Mitgliedern. Unternehmen in der Lebensmittelbranche würden heute händeringend nach Fachleuten suchen. „Wir bringen die Experten mit Start-ups und der Industrie zusammen“, erklärt die Ökothrophologin Frey ihr Konzept.

„Unser Ziel ist eine gesündere, aber auch nachhaltigere Ernährung“, fügt sie hinzu. Die Zeit der Massenprodukte, die mit großen Kampagnen beworben wurden, sei vorbei. „Der Konsument lässt sich nicht mehr für dumm verkaufen“, glaubt die Expertin. „Heute müssen die Produkte personalisiert sein, um auf dem Markt zu bestehen.“ Start-ups verstünden das oft besser als die großen Lebensmittelkonzerne.

In Zukunft würden Software-Lösungen eine immer größere Rolle spielen, meint die Expertin. Zum Beispiel in Form von Apps, die den User bei der gesunden Ernährung unterstützen. Smarte Programme würden berechnen, was dem Körper fehlt und dann gezielt bestimmte Lebensmittel empfehlen. Mithilfe von QR-Codes auf der Packung könne die Herkunft des Produkts nachvollziehbar gemacht werden. Und Online-Plattformen könnten die Verteilung von regionalen Produkten so organisieren, dass Lieferwege kurz bleiben. „Ernährung ist viel mehr als bloß Lebensmittel“, sagt Frey.

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