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Der kleine Patient

© Martin-Luther-Krankenhaus

Hilfe für Kinder aus Krisenländern: Fuß fassen mit Berliner Hilfe

Ein afghanischer Junge verbrennt sich schwer, sein Sprunggelenk ist stark verrenkt. Jetzt ist er am Martin-Luther-Krankenhaus operiert worden. Möglich machte das der Verein Placet, der von einem Berliner Chirurgen gegründet wurde.

Ein süßer kleiner Junge mit sanften braunen Augen, deren dunkles Leuchten von dem türkisfarbenen Kettchen noch betont wird, das er um den Hals trägt. Fünf Jahre ist er alt, und sein Name tut hier nichts zur Sache. Es geht um seinen rechten Fuß. Der ist furchtbar entstellt: Das Sprunggelenk nach oben gekippt, sodass der Fuß im spitzen Winkel zum Bein festgehalten ist, die Strecke bis zu den Zehen ist extrem kurz, der Fußrücken eine einzige große Narbe. Er kann den Fuß nicht mehr aufsetzen, stehen kann er nur auf seinem Fersenbein.

Als Kleinkind hat der Junge sich an einem heißen Ofen schwere Verbrennungen an beiden Füßen zugezogen. Zu Hause in Afghanistan. „Die Wunde ist zu langsam abgeheilt, dabei haben sich die Narben zusammen- und den Fuß nach oben gezogen und die Sehnen verkürzt“, erklärt Ole Goertz, seit Beginn dieses Jahres Chefarzt der Plastischen Chirurgie im Berliner Martin-Luther-Krankenhaus.

Am letzten Donnerstag hat er den Jungen aus Afghanistan operiert. Beim Eingriff wurde der Fuß nach unten gekippt, die Narben und Kapseln durchtrennt, die Zehen mit Drähten gespickt, um sie zu strecken und Raum zu schaffen. Anschließend wurde die Wunde behutsam mit einem künstlichen Gewebe aus Collagen und Elastin gedeckt, das nach dem Vorbild der von Bindegewebe durchzogenen Hautschicht unter der Oberhaut strukturiert ist und eine gute Grundlage für die Besiedlung mit Hautzellen bildet. Zuletzt wurde Haut vom linken Oberschenkel auf den Fußrücken transplantiert und alles mit einem Vakuumverband verschlossen. „In fünf Tagen kommt der Verband runter“, sagt Goertz.

Schwere Verbrennungen werden heute meist mit Haut aus anderen Körperregionen abgedeckt

Er und sein Team haben die Operation in dem Bewusstsein ausgeführt, dass ihrem kleinen Patienten das alles erspart geblieben wäre, wenn er sofort nach seinem schlimmen Unfall in einem Krankenhaus wie dem ihren behandelt worden wäre. Verbrennungen, die so tief reichen, verheilen spontan nämlich nur sehr schlecht. Die Zellen, die für die Erneuerung der Haut zuständig sind, sind meist zerstört. Nachschub kommt nur ganz von außen, vom Rand der Wunde. Das dauert aber Monate und führt zu Narben, die nicht elastisch sind und sich zusammenziehen. Damit es nicht so weit kommt, wird heute nach schweren Verbrennungen wenn irgend möglich das abgestorbene Gewebe sofort entfernt und die Wunde mit einer dünnen Schicht der Haut des Patienten von anderen Körperregion gedeckt. „Vernarbungen des Ausmaßes, das wir hier sehen, wären bei diesem Vorgehen nicht entstanden“, erläutert Goertz.

Die Menschen, die mit so schweren Deformationen in deutsche Kliniken kommen, stammen meist aus Schwellen- und Entwicklungsländern. Dass sie hier operiert werden können, macht der Verein Placet möglich, zu dessen Mitgliedern auch Goertz gehört. Das Kürzel steht für „Plastisch-chirurgisches Centrum für Terroropfer e.V.“, und bezeichnet einen Zusammenschluss von Ärzten und anderen ehrenamtlich Tätigen. Der von dem Berliner plastischen Chirurgen Frank Peter gegründete Verein will Menschen helfen, die durch Terrorakte, Krieg und Folter verletzt und verstümmelt wurden. Inzwischen wurden durch diese Initiative rund 500 Eingriffe bei 40 Patienten in kooperierenden Krankenhäusern ermöglicht. Das Zahlenverhältnis zeigt schon an, wie viele der Betroffenen eine ganze Reihe von Operationen benötigen.

Im Friedensdorf leben Kinder aus krisengeschüttelten Ländern

Wie das junge Mädchen aus Afghanistan, das als Baby bei einem Raketenangriff schwere Verbrennungen erlitt. „Alles ist irgendwie zusammengewachsen“, heißt es auf der Homepage von Placet. Erst zehn Jahre später wurde das schwer entstellte Mädchen, dessen Nase fehlte und das kaum essen konnte, erstmals operiert, elf weitere Eingriffe folgten. Oder die junge Mutter, die im Jahr 2010 von einem Brandanschlag eines religiösen Fanatikers in Bagdad schwerste Verbrennungen im Gesicht und am gesamten Oberkörper davontrug und zeitweilig blind war. Oder der kleine Junge aus Tschetschenien, der sich schwer verletzte, als im Garten seines Elternhauses im Jahr 2013 eine Mine explodierte.

Kinder wie er finden unter Umständen im „Friedensdorf“ im nordrhein-westfälischen Oberhausen Unterschlupf. Es wurde 1967 unter dem Eindruck des Sechs-Tage-Krieges in Nahost und des Vietnam-Krieges gegründet und will kranken Jungen und Mädchen, die in ihren von Krisen geschüttelten Heimatländern nicht adäquat behandelt werden können, eine Überlebenschance geben. Auch der kleine Junge mit dem schlimmen Fuß wurde von den Friedensdorf-Mitarbeitern aus seinem Heimatland geholt, um mithilfe von Placet behandelt zu werden. Noch ist offen, wann er wieder zu seiner Familie zurückkehren kann. Die große Hoffnung ist aber, dass er dann mit beiden Beinen fest auf der Erde steht.

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