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Der Musiker und Schauspieler Friedrich Liechtenstein hält in seiner Wohnung in Mitte eine Schallplatte in den Händen. Sein neues Album "Good Gastein" mit Songs und Spoken Words erscheint am 19.08.2022.

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Album-Neuerscheinung: Friedrich Liechtensteins dezente Rache an Westberlin

Manche kennen ihn aus Werbespots. Dabei macht Friedrich Liechtenstein seit Jahrzehnten Kunst.

Friedrich Liechtenstein gehört zu den Berliner Künstlertypen, die einem manchmal Rätsel aufgeben. Manche kennen ihn aus Werbespots - millionenfach klickte sich etwa der „Supergeil“-Song für eine Supermarktkette. Dabei macht Liechtenstein viel interessantere Dinge, zum Beispiel Musik. Am Freitag veröffentlicht er sein neues Album „Good Gastein“. Eine Mischung aus eingesprochenen Texten, gecoverten Songs und anderen Stücken.

Wenn er versucht, die Idee dahinter zu erklären, greift er - sehr bescheiden - zurück auf die Kunstgeschichte. „Es ist ja ein Konzeptalbum. Und es ist eigentlich eine ziemliche Frechheit, es den Leuten zu geben, ohne das Konzept genau zu beschreiben“, sagt Liechtenstein. „Ohne Konzept ist ja auch das berühmte Pissoir, das Ready-made von Duchamp, nur eine Frechheit.“

Er wisse, dass er den Leuten ein Konzept schuldig sei, aber es sei halt so komplex. Hören wir also rein. Anfangs klingt die Platte mit „We Have All The Time In The World“ nach Spätsommerabend, dann erzählt er von „Tomatenliebe“. Tomaten lässt der 66-Jährige auch in seinem Dachgarten wachsen, die besten seien aber die transsilvanischen Tomaten, die ein Freund in Rumänien angebaut habe.

Mit Bart und Sonnenbrille, Anzug und (manchmal) goldenen Fingernägeln hat sich Liechtenstein eine Figur mit Wiedererkennungswert gebaut. Er hat für den Fernsehsender Arte mal eine Reihe über Tankstellen als Sehnsuchtsorte gedreht. Und das Wort „Schmuckeremit“ zurückgebracht, ein Einsiedlerkonzept aus einem früheren Jahrhundert.

Warum ein Kind des Ostens West-Berlin besingt

Sein neues Album habe eine „Knäckebrothafte“ Traurigkeit - es sei ein Stimmungsbild der vergangenen zwei Jahre, sagt Liechtenstein. Er lag im ersten Pandemiejahr selbst mit einer Corona-Infektion auf der Intensivstation. Das mache etwas mit einem.

Auf dem Album geht es um Schokoladenpudding und Märchen, um Itsy Bitsy Spider und den österreichischen Kurort Bad Gastein (so hieß ein früheres Album). Es geht um blutdampfende Leiber und immer wieder um Berlin. („Ach Berlin, du bist wirklich nichts Großes, nichts zum Niederknien. Meistens irgendein Quatsch und sehr viel Kokain.“)

Liechtenstein stammt aus der DDR, ist gelernter Puppenspieler und seit Langem im Osten Berlins verhaftet. Auf dem neuen Album besingt er nun ausgerechnet „Westberlin“. Fast zehn Minuten lang nimmt er einen mit auf Zeitreise zu Orten und Personen im alten Westen. Für Liechtenstein auch ein Stück Vergangenheitsbewältigung.

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„Ich habe immer empfunden, dass es da so ein Mitleid gibt, wenn Menschen sagen: „Och Mensch, den ganzen Osten haben sie euch weggenommen. Ihr Armen!“ Das hört man ja nicht gerne“, sagte Liechtenstein. „Dann war ich mal in Tegel bei einer kleinen Busfahrt, da saßen viele Westberliner im Bus. Wir sind über den Flughafen Tegel gefahren - da sind auch die Tränen gekullert. Die haben sich auch beschwert, was ihnen alles genommen wurde.“

„Manche sagen: „Ihr jammert immer - aber glaubst du, unser Westberlin ist noch da? Das wurde uns auch genommen.“ Das fand ich irgendwie rührend“, erzählt Liechtenstein. „Und ich dachte mir: Okay, das kann man ja mal zurückgeben und sagen: „Westberlin, das war schön. Lass' uns doch mal rübergehen und gucken, ob die alten Häuser noch stehen“. Das ist auch ein bisschen frech und das finde ich ganz schön.“

Der Musiker und Schauspieler Friedrich Liechtenstein gießt auf der Terrasse seiner Wohnung die Blumen.

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Gleichzeitig sei es eine Auseinandersetzung mit seinem Sehnsuchtsort in den 1980ern. „Man hat immer von Westberlin geträumt, von den Orten gehört und den Konzerten, dem Hochglanz, dem Ku'damm, den geilen Leuten. Bei genauerem Betrachten ist es auch ein bisschen spießig“, sagt Liechtenstein. Er schaffe es nach wie vor nicht, sich im Westen zu verwurzeln. Er gehe dort zwar öfter ins Restaurant. Am Ende eines solchen Abends sage die Truppe aber oft: „Komm', lass uns rüber gehen.“ Und dann gingen sie im Osten feiern.

Das Lied klingt etwas nostalgisch, etwas ironisch. „Der Text stammt von einem Gastronomen und ich habe mich totgelacht“, sagt Liechtenstein. Aber bei aller Ironie und Distanz sei es schon ein großes Liebeslied auf Berlin. „Manchmal verwechseln die Leute das, wenn ich rumschimpfe und ironisch bin. Aber ich bin ja nicht umsonst so lange in Berlin. Ich will auch hier nicht weg. Ich liebe Berlin.“

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Das Merkwürdigste an diesem merkwürdigen Album: beim Hören macht es fast schon Sinn. Als Teenager sei er gerne zu Jazzkonzerten gegangen. „Die Jazzszene war für mich die eloquenteste: Da waren die tollsten Frauen und die smartesten Boys.“ Außerdem sei sie im Osten schwer politisch kontrollierbar gewesen. „Eine Person - Manfred Krug - habe ich sehr verehrt. Er war involviert in das Konzept „Jazz - Lyrik Prosa“.“ Vor diesem Konzept verneige er sich ein bisschen. Vielleicht hätte Liechtenstein trotzdem seine Telefonnummer zur Platte dazu schreiben sollen, damit man anrufen kann, wenn man Fragen zum Konzept hat? „Vielleicht lieber nicht.“ (dpa)

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