zum Hauptinhalt
Einer für alle. Den Gottesdienst für Zwei- und Vierbeiner leitete Pfarrerin Claudia Wüstenhagen (am Mikrofon) vor der Kirchentür.

© Sven Darmer / DAVIDS

Freiluft-Andacht mit Flauschfaktor: So wurde der erste Tiergottesdienst in Berlin-Wilmersdorf gefeiert

Trinken, Leckerli und Predigt inklusive: Der „heitere Gottesdienst für Menschen und Tiere“ lockte Besucher mit Hunden und Plüschtieren an den Hohenzollerndamm.

Sogar ein Schaf und ein Schwein sind anwesend. Das Schwein heißt Hannelore, und das Schaf ist namenlos. Doch es sind nur Plüschtiere, die demonstrativ auf dem Schoß gehalten werden und erst Lachen, dann Frohsinn verursachen. Sehr lebendig dagegen sind Yolli, ein griechischer Straßenhund, zweieinhalb Jahre, Cherie, ein Zwergpudel, elf Jahre und Grace, ein irischer Setter, acht Jahre.

Insgesamt sechs Hunde sind dabei, als am Sonntagabend vor der Kirche Am Hohenzollernplatz ein Open-Air-Gottesdienst für Mensch und Tier gefeiert wird. Beim nächsten Mal, hofft Pfarrerin Claudia Wüstenhagen, sollen es mehr werden. „So etwas spricht sich ja herum.“

„Gehet hin in alle Welt und predigt das Evangelium aller Kreatur“, soll Jesus nach der Auferstehung seinen Jüngern gesagt haben – so steht es jedenfalls im Markus-Evangelium. Theologen sind sich nicht ganz einig, ob damit wirklich auch Tiere oder doch nur alle Menschen gemeint waren.

So oder so haben Gottesdienste mit Hunden und Katzen – und sogar Hamstern, Pferden und Schlangen – besonders in den USA Tradition. Und Berlin macht es nach: In Spandau gibt es schon regelmäßig Tiergottesdienste.

[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Nun startet auch Wilmersdorf damit. „Alle sind Gottes Geschöpfe“ lautete das Motto bei dem „heiteren Gottesdienst für Menschen und Tiere“, einer etwa halbstündigen Freiluft-Andacht.

Alle 60 Stühle, die vor dem Kircheingang stehen, sind besetzt. Passanten halten an, stellen sich im Halbkreis dazu, lauschen einem ungewöhnlichen Instrument und ungewöhnlichen Worten. Die ruhigen, meditativen Klänge erzeugt Felix Renell virtuos mit seiner „Handpan“, einem mit Händen gespielten Blechklanginstrument. Der Musiker sagt, wegen seiner Schwingungen sei es „ideal für Tiere“.

Wie würden Tiere beten, wenn sie es könnten?

Die Lesung, vorgetragen von Vikarin Laura Wizisla und Pfarrerin Claudia Wüstenhagen, orientiert sich an der Geschichte von Noah und der Arche. Mehr Poesie als Prosa.

Eingebettet in die Erzählung sind fiktive Gebete von Tieren – von Hund, Steinbock, Giraffe, Ameise, Lerche, Taube. Wie stehen Menschen zu Menschen, Menschen zu Tieren, Tiere zu Menschen? Diese Fragen bilden das Leitmotiv.

Alle sechs mitgebrachten Hunde blieben ruhig, vielleicht auch, weil die Andacht mit meditativer Musik umrahmt wurde.
Alle sechs mitgebrachten Hunde blieben ruhig, vielleicht auch, weil die Andacht mit meditativer Musik umrahmt wurde.

© Sven Darmer / DAVIDS

Währenddessen zwitschern ganz reale Vögel in den schattenspendenden Bäumen, drei Trinknäpfe sind aufgestellt, und Leckerlis wurden gleich am Anfang des Gottesdienstes verteilt.

Nach 35 Minuten, dem Vaterunser und gemeinsam mit Gesichtsmaske gesungenem „Weißt du, wie viel Sternlein stehen“ ist die Wilmersdorfer Premiere vorbei. Die Idee stammt aus dem Gemeindekirchenrat.

„Sehr locker, sehr entspannt“, sagt anschließend Eva Neugebauer, die Besitzerin von Cherie und Grace. Sie ist keine regelmäßige Kirchgängerin, doch der große Platz vor der Kirche, die im Volksmund aufgrund ihrer imposanten Architektur das „Kraftwerk Gottes“ genannt wird, biete sich perfekt für einen solchen Gottesdienst an. Sie würde auf jeden Fall wiederkommen.

[In unseren Leute-Newslettern berichten wir wöchentlich aus den zwölf Berliner Bezirken. Die Newsletter können Sie hier kostenlos bestellen: leute.tagesspiegel.de]

Das könnte sich auch Familie Bentert vorstellen, die mit Yolli gekommen war. Der Name des Hundes stamme aus dem Hawaiianischen und bedeute so viel wie „Glück“ und „Lebensfreude“. Nur schade, sagt der Vater, dass „Yolli“ die biblische Erzählung nicht habe verstehen können.

Die einen gehen, die anderen kommen. Seit Beginn der Corona-Pandemie treffen sich Gemeindemitglieder der Kirche am Hohenzollernplatz jeden Abend um 19 Uhr, um auf dem Platz alle Strophen von „Der Mond ist aufgegangen“ zu singen.

Weil Gottesdienste lange Zeit nur digital gefeiert werden konnten, hat sich aus dieser Tradition eine Art kleiner Ersatzgottesdienst entwickelt. Aus „Mensch und Tier“ wird „Mensch und Lied“: Beide Formen gingen an diesem Abend ineinander über.

Gottesdienste im Freien soll es weiterhin geben

Kurze Open-Air-Gottesdienste vor der Kirche Am Hohenzollernplatz hat es auch schon zuvor gegeben, zum Osterfest etwa, als Reaktion auf die Pandemie.

Das niedrigschwellige Angebot, sagt Pfarrerin Claudia Wüstenhagen, habe auch manche Menschen angelockt, die sonst nicht zur herkömmlichen Liturgie im Saal kämen. Also will sie damit gelegentlich draußen weitermachen. Auch mit den Tiergottesdiensten.

Tagesspiegel-Autor Malte Lehming gehört dem Kirchenrat der Gemeinde an. Im Gottesdienst trug er auch „Gebete aus der Perspektive von Tieren“ vor. Als US-Korrespondent hatte er vor Jahren bereits über die Segnung von Tieren mit Buchsbaumzweigen berichtet. Amerikaner erinnern so an den den Heiligen Franz von Assisi, den Schutzpatron der Tiere.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false