zum Hauptinhalt
Franziska Giffey

© imago images/Political-Moments

Franziska Giffey regiert Berlin: Die Angriffsfläche für den Bildungsbürger

Das Parlament hat am Dienstag eine neue Regierende Bürgermeisterin gewählt. Giffey provoziert Widerspruch. Dabei nimmt ihre Art viele mit.

Manch einer ist schon vor dem Start ihrer Amtszeit genervt von Franziska Giffey. Die einen sprechen von „Micky Mouse“-Politik. Beim Koalitionspartner wird gewitzelt über die „Fünf Bs für Berlin“ – Bauen, Bildung, Beste Wirtschaft, Bürgernähe und Berlin in Sicherheit –, die Giffey aus dem SPD-Wahlkampf mit in die Regierungszeit nimmt.

Andere unken, dass sie, wenn sie an diesem Dienstag vom Parlament zur neuen Regierenden Bürgermeisterin gewählt ist, wohl zuallererst ein „Bärenstarkes-Berlin-Gesetz“ erlassen werde. Ganz nach dem Motto: Erst mal Fassade malern, dann wird kernsaniert.

Giffey, erste gewählte Frau im obersten Berliner Regierungsamt, polarisiert wie lange keine Berliner Politikerin mehr. Das Bemerkenswerte an der Kritik ist aber, dass sie oft mit derselben Oberflächlichkeit daherkommt, die sie der neuen Regierungschefin zum Vorwurf macht: Kleidung, Frisur, Stimmlage, Ausdruck – und dass sie den politischen Kern von Giffeys Politikansatz völlig verkennt.

Den zeigt Giffey bei der Auswahl der Senatsmitglieder: Das wichtige Bildungsressort gibt sie in die Hände der Neuköllner Grundschulleiterin Astrid-Sabine Busse, eine Anpackerin, die bekannt für klare Worte ist. Die beiden kennen sich seit der Zeit, als Giffey Bildungsstadträtin im Bezirk war.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Giffey entschied sich für eine Frau, die das Bildungssystem aus der harten Praxis kennt. Ähnlich motiviert dürfte ihre Entscheidung für den Posten des Wirtschaftssenators sein: Stephan Schwarz, Familienunternehmer und ehemaliger Präsident der Berliner Handwerkskammer. Die Berliner Wirtschaft reagierte bereits euphorisch.

[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Als „Chief Digital Officer“ installiert Giffey den alten Staatssekretär im Familienministerium, Ralf Kleindiek, als Staatssekretärinnen holt sie etwa Nicola Böcker-Giannini, die sie gut aus Neukölln kennt, und die erst 27 Jahre alte Ana-Maria Trasnea, die sie schon länger bei ihrem rasanten Aufstieg unterstützt. Loyalität und Bodenständigkeit – dafür steht ihr Team. Und das ist mehr als Fassade.

Es sind Eigenschaften, die im politischen Geschäft von heute selten als Begründungen für Karrieren reichen. Man kann sagen: Arbeitermilieueigenschaften in einer Welt, die in übergroßer Mehrheit aus Bildungsbürgern besteht, die – das nebenbei – etwa Giffeys Freundlichkeit und ihren Berliner Dialekt häufig als „aufgesetzt“ empfinden.

Einfache Sprache wird von einigen als intellektuelle Beleidigung verstanden

Für die studierte Tochter eines Kfz-Meisters ist beides wohl einfach: normal. Genau wie Gesetze so zu benennen, dass sie nicht nur Juristen verstehen. Diese empfinden das offenbar als intellektuelle Beleidigung. Als Giffey 2018 in das Amt der Familienministerin wechselte, standen die Mitarbeiter im Neuköllner Bezirksamt Spalier und applaudierten: Sachbearbeiter, Hausmeisterin, Ordnungsamtsmitarbeiter.

Auf Bevölkerungsgruppen wie diese wird sich auch die Berliner Regierungschefin Giffey konzentrieren. Das eint sie mit Bundeskanzler Olaf Scholz: Politik „für ganz normale Leute“ soll es sein – verstanden eher als Klassenstandpunkt, nicht als: weiß und heterosexuell.

[Lesen Sie weiter bei Tagesspiegel Plus: Die Gesichter von Rot-Grün-Rot - Diese Politiker regieren künftig Berlin]

Den Regierungsanspruch nimmt Giffey wörtlich: In der Senatskanzlei werden mehr Steuerungskompetenzen gebündelt. So steht es im Koalitionsvertrag. Sie wird stärker in Sachthemen eingreifen als ihr blasser Vorgänger Michael Müller, selbst Initiativen starten – so hat sie es als Neuköllner Bürgermeisterin und als Familienministerin schon gehandhabt.

Wichtig wird es sein, die richtige Balance zu finden

Giffey wird, das ist zumindest zu erwarten, keine allzu große Rücksicht auf Ressortzuständigkeiten nehmen, wenn ihr ein Thema am Herzen liegt. Und damit das auch alle verstehen, wird sie zur Not eins ihrer fünf Bs draufpappen. Im besten Fall werden wichtige Themen so schneller umgesetzt, im schlimmsten Fall wird ihr Handeln in der Koalition als Alleingängerei gewertet und Vertrauen zerdeppert.

[Lokale Politik, Stadtentwicklung, Kultur, Wirtschaft und mehr in unseren Leute-Newslettern aus den zwölf Berliner Bezirken, hier kostenlos zu haben.]

Ob Giffeys Politikansatz gelingt, wird deshalb elementar davon abhängen, die richtige Balance zu finden. Herrsche, aber teile – auch die Erfolge. Berlins bisherige Wirtschaftssenatorin Ramons Pop (Grüne) gab dem Senat zum Abschied einen Rat: „Wenn man sich selbst nicht gut findet, wer soll es dann tun?“

Alles entscheidend wird, ob das „Sichgutfinden“ ein Gemeinschaftswerk wird oder SPD, Grüne und Linke sich je nur selbst feiern. Giffeys muss das „gemeinsame Gutfinden“ koordinieren. Ihr 2G-Auftrag für Berlin.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false