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Geht ein Licht auf? Wer zu Hause am PC arbeitet, lernt die Vorzüge eines gut eingestellten Routers schätzen – hier einer „Fritzbox“ des Berliner Herstellers AVM.

© Kevin P. Hoffmann

Heimarbeit in Corona-Zeiten: Falsche Technik, löchriges Netzwerk - Gewinner und Verlierer im Umstieg auf Telearbeit

Sogar Digital-Verbände wundern sich, wie der Sofortumstieg von Berlins Wirtschaft aufs Homeoffice gelang. Dabei begann es mit Lieferengpässen in China.

So viel Familie war nie. Und so viel Arbeit auch nicht. Alles zusammen jedenfalls, unter einem Dach: Büro und Schule, dazu noch Kantine, Wäscherei, Freizeitpark. Die ganze berufliche Existenz, sie wurde im Taschenformat wohnungsgerecht verpackt, „to go“, zu Hause installiert. Und seit so viele Berliner erstmals im Homeoffice arbeiten, stellen sich ungeahnte Herausforderungen an die „IT- und Netzwerkspezialisten“ der Haushalte. Deshalb waren wohl auch nie die Chancen besser für die Digitalisierung des Landes und einen Boom der IT-Branche.

Aber lässt sich schon heute Genaueres über die Pandemie-getriebene [alle aktuellen Entwicklungen lesen Sie in unserem Newsblog] Digitalisierung Berlins erfahren? Vielleicht beim Branchenverband Bitkom. Dessen Experte für Digitale Geschäftsprozesse, Nils Britze, erreicht man auf seiner privaten Veranda an diesem sonnigen Tag: „Handy mit Rufumleitung aus dem Büro, Laptop mit VPN-Tunnel für den Zugriff auf meine Ordner im Büronetzwerk – das ist alles, was ich brauche.“ Deutschland habe sich „in kürzester Zeit Homeoffice-fähig gemacht“. Und das sei schon so etwas wie ein „kleines Wunder“.

Jeder Zweite arbeitet von zu Hause

Noch vor wenigen Wochen wurde allenthalben beklagt, wie rückständig dieses Land bei der Digitalisierung sei. Jetzt arbeitet laut Bitkom-Recherchen jeder Zweite von zu Hause aus. Darunter auch jene, die vor der Coronakrise keine Erfahrungen mit Videokonferenzen hatten: Jeder Fünfte erprobte die Technik seit Ausbruch der Pandemie. „Zusätzliche technische Infrastruktur brauchen die meisten Firmen nicht“, sagt Britze. „Ganz viel läuft über Abodienste im Internet, die Cloud-Services“. Vor allem: Video- oder Web-Meetings. Diese habe es zwar schon vor der Pandemie gegeben, meistens aber ohne Bild. Das ist jetzt anders: „Mal die Mimik des Kollegen zu sehen oder seine Gestik, das ist das soziale Element dabei“.

Hotline von Fritbox-Hersteller AVM glüht

Vorausgesetzt, die Technik reicht für ein ruckelfreies Bild. Zumal das Ausweichen im Homeoffice die wichtigste Tugend überhaupt ist: Die Flucht vom Küchentisch antreten mit dem Notebook unterm Arm beim Anmarsch der Kinder. Von der Veranda zurück ins Arbeitszimmer. Dazu braucht es ein W-Lan ohne allzu großen Lücken. Das Kürzel steht für „Wireless Local Area Network“, also „drahtloses lokales Netzwerk“. Technische Laien stellen sich einen Internetanschluss per Funk vor.

Hersteller entsprechender Technik erleben eine Sonderkonjunktur. Darunter das Berliner Unternehmen AVM, dessen Internetrouter „Fritzbox“ in vielen Haushalten funkt. „Was bei uns durch die Decke geht, sind Anfragen an den Support oder auch Zugriffszahlen auf unsere Selbsthilfe-Datenbank“, sagt Sprecher Urban Bastert. Und das ist eine Herausforderung für eine Firma, die jede Mail binnen 24 Stunden beantworten will.

Dass in bestimmten Räumen das W-Lan zu schwach für die ruckelfreie Videokonferenz ist oder ein Signalverstärker (Repeater) nicht recht mit einem älteren Router des Herstellers zusammenarbeiten will – so etwas bekümmere die Kunden. Notfalls wird investiert: „Was den Produktverkauf betrifft, so stellen wir schon eine verstärkte Nachfrage nach W-Lan-Repeatern, aber auch nach USB-Sticks für den W-Lan-Empfang fest“, sagt Bastert von AVM.

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Dass mit dem Smartphone auch telefoniert werden kann, gehört zu den Entdeckungen in der Krise. Aber viele Gespräche erinnern daran, warum man es nicht gerne tut: Sprachfetzen und Unterbrechungen, weil die Mauern des Altbaus zu dick sind oder der Arbeitsraum im Keller liegt. Erlebt nun das Festnetz ein Comeback? An diese Ära kann sich Emilio Paolini von der Firma „D-Hosting“ noch erinnern, aber er sagt: „Ich telefoniere äußerst ungern“ – und wenn überhaupt, dann vom Notebook aus mit Headset und übers Netz. Da stimme dann auch die Klangqualität – das hört man auch tatsächlich. Der Vorteil dieser Lösung ist: Er hat immer und überall sowie von jedem Endgerät dieselbe Nummer. Und das ist seine Festnetznummer in der Firma, weil der digitale „Sip-Client“ sich in die Telekommunikationsanlage seiner Firma einbucht und über dieselbe das Gespräch führt. Dadurch behält er zudem den Überblick über eingehende Anrufe.

Einen Schub verursacht die Coronakrise bei Paolinis Firma im „Customer-Relationship-Management“ (CRM). Dabei geht es um „Kundenpflege“, also Betreuung und Ansprache der Kunden von Firmen. Zuletzt entwickelte Paolini das Projekt „Alltagsmasken“, eine von Berlin Partner und dem Senat betreute Plattform für Händler und Käufer größerer Mengen Schutzmasken. Grundlage dafür ist eine Software, mit deren Hilfe „ich vom Internetcafé oder jedem beliebigen Gerät jederzeit auf alle Kundendaten meiner Firma zurückgreifen kann“. Das sei eine unkomplizierte Alternative, weil es für den Zugriff auf die Firmenprogramme keinen VPN-Tunnel mit spezieller Software und Zertifikaten brauche, die auf jedem Endgerät extra installiert werden müssen. Der Zugriff erfolgt einfach über den bestehenden Internetbrowser und Passwörter. Gleichwohl benötigen viele „Heimarbeiter“ einen solchen Tunnel für viele andere Anwendungen, damit die Daten bei der Übertragung nicht von Dritten abgeschöpft werden können.

Zoom - Teams - Jitsi Meet: Videokonferenzen boomen

So weiß inzwischen fast jeder, dass „Zoom“ ein Tool für Videokonferenzen ist und wegen eines Datenlecks in die Kritik geriet. Viele Homeworker nutzen auch „Teams“ von Microsoft. Zu deren Verbreitung trägt bei, dass die Software im Office-Paket enthalten ist und nicht extra bezahlt werden muss. Kostenlose Alternativen hat die Fachzeitschrift „C’t“ geprüft und festgestellt: „Für die meisten Anwendungen reichen diese vollkommen aus.“ Die Tester geben dem Programm „Jitsi Meet“ Bestnoten, weil die Software ohne Registrierung im Browser läuft und einfach zu bedienen ist. Für das Teilen bewegter Bilder empfehlen sie „Discord“, weil damit „die Bild- und Tonübertragung von Bildschirminhalten zuverlässig geschmeidig klappt“.

Aber kann und darf man auf dem Bildschirm, aus der Ferne, juristisch verbindliche Geschäftsabschlüsse tätigen? Durchaus, es gebe einen „gewissen Wandel der Mentalität“ sagt René Ebert. Er ist Geschäftsführer vom Verband der Digitalwirtschaft Berlin-Brandenburg SIBB, der über 270 Firmen vertritt: „Früher gab es große Präsentationen unter Beteiligung ganzer Abteilungen, um zu Geschäftsabschlüssen zu kommen, jetzt geschieht das auch schon mal bei Videokonferenzen.“

Die virtuelle Abbildung realer Geschäftsvorgänge reicht inzwischen bis zur Unterzeichnung von Verträgen: „Qualifizierte elektronische Signaturen sind rechtssicher“, bestätigt Britze vom Branchenverband Bitkom. Dass aber auch vom Küchentisch aus „rechtskonform auf Datenschutz und -sicherheit“ zu achten ist, liegt auf der Hand: „Kundendaten von privaten E-Mail-Accounts verschicken und auf dem eigenen PC speichern geht natürlich gar nicht“.

Notebooks ausverkauft

Und die Hochrüstung der Homeoffices? René Ebert vom SIBB sagt, vor allem in den ersten Wochen des Shutdowns sei der Druck bei den Firmen und der öffentlichen Verwaltung gewaltig hoch gewesen. Die Folgen bekam sogar der Verband selbst zu spüren: Die Bestellung von Notebooks zum turnusmäßigen Ersatz von Altgeräten, lange vor Corona auf den Weg gebracht, kam erst mal nicht an. Der Container aus China blieb aus, Engpass infolge des Shutdowns dort.

Dieselbe Erfahrung machte auch Stephan Klasen von der IT des Tagesspiegel-Verlages: „Überhaupt Geräte zu bekommen und das zu einem vernünftigen Preis, war eine Herausforderung“. Denn auch dieser Verlag musste in kürzester Zeit einen großen Teil der Angestellten ins Homeoffice schicken und bei vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dazu überhaupt erst die Arbeitsfähigkeit herstellen. „Dafür fehlten uns auch Lizenzen für die Software für den sicheren Zugriff auf die Server des Verlags“, sagt Klasen. Wegen der hohen Nachfrage dauerten Erstellung von Angeboten und Bearbeitung länger. Der Hersteller reagierte kulant und stellte Testlizenzen bereit, bis alle Details des Auftrags geklärt waren. „Diese Hilfsbereitschaft gab es in allen Firmen der IT-Branche während der Krise“, erklärt Klasen.

Um Engpässen vorzubeugen, musste auch der Zugriff auf die Server des Verlags erweitert werden, gleichsam ein sicherer Tunnel gegraben und der Zugang zum System durch eine mehrstufige Passwortabfrage abgesichert werden: Google bietet hierfür einen „Authentifikator“ an. „Damit kann von jedem belieben Gerät aus der persönlichen Account geöffnet werden“ – und der Mitarbeiter hat auf seinem Bildschirm zu Hause dieselbe Nutzeroberfläche wie am Arbeitsplatz im Büro.

Notfalls kapert die IT das Notebook per Fernzugriff

Und wenn es doch mal Probleme gibt? „Dann gibt es viele Tools zur Lösung derselben aus der Ferne“, sagt Klasen. Mithilfe von Programmen wie „Anydesk“ oder „Teamviewer“ kann ein Mitarbeiter der IT Maus und Tastatur des PCs beim Redakteur im Homeoffice übernehmen und das Problem beheben.

In vielen der neuen Berliner Büros, die nebenbei auch als Wohnung und Schlafraum dienen, ist mittlerweile ein Stück Routine eingekehrt. Die Ausnahme, mal einen Tag in der Woche von zu Hause zu arbeiten, ist zur Regel geworden. Für einen Schub bei der Digitalisierung der Gesellschaft sorgt das, sagen die Befragten übereinstimmend. Insofern empfinden manche die aktuelle Entwicklung als Fortschritt. Ob der aber Bestand hat, sobald die Berliner in ihre eigentlichen Büros zurückkehren dürfen, bleibt abzuwarten.

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