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Wer darf die Lehrer schulen? In Mahlsdorf gab ein Rechtsextremist ein Seminar. (Symbolbild)

© Maurizio Gambarini/dpa

Exklusiv

Experte für „Sprachgestaltung“: Rechtsextremist gab Seminar für Lehrer an Freier Schule in Berlin

Die Verbindungen einer Mahlsdorfer Schule zum Holocaust-Leugner Bernhard Schaub waren enger als bekannt. Das ergibt die Anfrage einer Grünen-Abgeordneten.

Die Freie Schule am Elsengrund in Berlin-Mahlsdorf hat zu dem Rechtsextremisten Bernhard Schaub weiter reichende Kontakte unterhalten als bislang bekannt. Das geht aus einer Antwort der Bildungsverwaltung auf eine Anfrage der Grünen-Abgeordneten June Tomiak hervor, die dem Tagesspiegel exklusiv vorliegt.

Demnach führte der Schweizer noch im April 2018 eine Fortbildungsveranstaltung für das Lehrerkollegium der Schule durch. Es habe sich dabei um ein „Sprachgestaltungsseminar“ gehandelt, teilte Bildungsstaatssekretärin Beate Stoffers (SPD) mit. In der Waldorfpädagogik versteht man darunter Übungen zum bewussten Umgang mit der gesprochenen Sprache.

Schaub war früher selbst Waldorflehrer im Raum Zürich, bis er 1993 entlassen wurde, nachdem er in einem selbst verlegten Buch den Holocaust geleugnet hatte. Die Fortbildung für das Mahlsdorfer Kollegium kam zustande, nachdem er sie bei einem Aufnahmegespräch für seine Kinder im Jahr 2017 angeboten hatte.

„Die Geschäftsführung und Schulleitung gibt an, dass im Seminar ausschließlich der Umgang mit Sprache und keine zeitgeschichtlichen und politischen Themen behandelt werden durften“, schrieb Stoffers dazu, „eine Erklärung, dass bei Zuwiderhandlung kein Honorar gezahlt würde und die Veranstaltung abgebrochen werde, wurde unterzeichnet.“

Als Schaub weitere Seminare angeboten habe, sei dies von der Schule nach eigenen Angaben abgelehnt worden. Auf Nachfrage hätten Geschäftsführung und Schulleitung erklärt, es sei bei Schaubs Verpflichtung als Dozent „um dessen fachliche Expertise als Sprachgestalter gegangen“. Tomiak nimmt das der Schule nicht ab: Sie sei „schockiert“, dass die Bildungsverwaltung solch „fadenscheinige Erklärungen“ einfach hinnehme, sagte die Grünen-Abgeordnete dem Tagesspiegel.

Schule kennt rechtsextremistische Aktivitäten seit 2013

Dass sie ihr Lehrpersonal durch einen ausgewiesenen Rechtsextremisten schulen ließ, war der Leitung zu diesem Zeitpunkt längst bekannt. Zwei Kinder Schaubs besuchten im Sommer 2013 für drei Monate die Primarstufe. Wegen der vielfältigen Aktivitäten des Vaters im rechtsextremen und antisemitischen Milieu hatte es um ihre Aufnahme internen Streit gegeben.

Nachdem auch der Bund der Freien Waldorfschulen davon erfahren hatte, drängte er darauf, die Verträge wieder zu kündigen. Die Schule vertritt jedoch bis heute den Standpunkt, die Kinder dürften nicht unter den politischen Ansichten ihrer Eltern leiden – und verließ damals ihrerseits den Verband.

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Einrichtungen, die das anders sahen, attestierte die Mahlsdorfer Leitung „Feigheit“. Die Kinder dürften nicht in „Sippenhaft“ genommen werden, schrieb sie in einer E-Mail an die Eltern vom Februar dieses Jahres, die dem Tagesspiegel vorliegt. 

Frühere Treffen mit Schaub, die Ende Januar durch eine WDR-Dokumentation bekannt geworden waren, seien „unvermeidlich“ gewesen, um die „unerlässliche Schule-Eltern-Beziehung aufzubauen und zu pflegen“, rechtfertigte sich die Leitung in ihrem Rundschreiben weiter. Es habe jedoch keinen „Konsens“ mit seinen politischen Auffassungen gegeben.

Außerdem schrieb die Schule vor einem Monat in ihrer E-Mail: „Gegenüber Herrn Schaub ist von der Schulleitung keine Einladung für Veranstaltungen ausgesprochen worden, die nicht auch alle anderen Eltern erhalten haben.“ Die Lehrerfortbildung im Frühjahr 2018 erwähnte sie dabei nicht.

„Volkslehrer“ besuchte Theateraufführung an der Schule

Schaub war nicht der einzige Rechtsextremist mit Kontakt zum Elsengrund: Der selbsternannte „Volkslehrer“ Nikolai Nerling besuchte im April 2019 eine öffentliche Theateraufführung an der Schule. Die Leitung teilte dazu mit, sie habe Nerling nie eingeladen.

Der sogenannte "Volkslehrer" (links) beim Besuch an der Schule.

© privat

Die Bildungsverwaltung erwähnte in ihrer Antwort an Tomiak nun auch noch einen nicht näher bezeichneten „Vorwurf der Anwesenheit von Reichsbürgern auf einer schulischen Veranstaltung“. Auch das habe die Schule „entschieden zurückgewiesen“.

Freie Schule nennt Vorwurf eines Ex-Lehrers „verleumderisch“

Das gilt auch für alle anderen Vorwürfe, die durch die WDR-Dokumentation ans Licht gekommen sind: Angeblich soll die Geschichte des Nationalsozialismus nur unzureichend behandelt worden sein, außerdem sei das Tagebuch der Anne Frank als Lektüre im Deutschunterricht nicht gutgeheißen worden, berichtete ein früherer Lehrer. Stattdessen habe die Schulleitung das Werk als Fälschung bezeichnet – eine gängige Behauptung in rechtsextremistischen Kreisen.

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In ihrem Elternschreiben verurteilte die Schule diesen Vorwurf als „verleumderische Erfindung“. Die Geschichte der Judenvernichtung und des Zweiten Weltkriegs würden „selbstverständlich“ in der Oberstufe unterrichtet, rechtsextremistische Positionen würden an der Schule „nicht geduldet“. Auch Eltern und Schüler:innen sowie aktuelle und ehemalige Lehrer:innen hätten für die Schule Partei ergriffen und die verschiedenen Vorwürfe zurückgewiesen, teilte Stoffers der Grünen-Abgeordneten Tomiak mit.

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In der ersten umfassenden Prüfung bis November 2020 habe man „keine Anhaltspunkte“ für eine rechtsextremistische Gesinnung der Schulleitung und entsprechende Beeinflussung des Unterrichts festgestellt, bilanzierte die Bildungsstaatssekretärin.

Wegen der neuen Vorwürfe aus der WDR-Dokumentation läuft derzeit jedoch, wie berichtet, eine weitere Prüfung, auch mit dem ehemaligen Lehrer aus dem Bericht hat die Schulaufsicht schon gesprochen. Deshalb könne „aktuell noch keine Gesamtbewertung vorgenommen werden“, schrieb Stoffers. Sollten sich die Vorwürfe jedoch erhärten lassen, werde man ein Verfahren zum Entzug der Unterrichtsgenehmigung einleiten.

Sorge um den Fortbestand der Schule bei Eltern und Kindern

Unter Eltern und Schüler:innen ist deshalb die Sorge um den Fortbestand der Mahlsdorfer Schule groß. Das hätten „zahlreiche Schreiben“ an die Schulaufsicht in den vergangenen Wochen zum Ausdruck gebracht, berichtete Stoffers. Einige haben sich von der Einrichtung inzwischen abgewandt. 

„Es sind Eltern an uns herangetreten und haben den Wunsch eines Schulwechsels geäußert“, berichtete Marzahn-Hellersdorfs Schulstadtrat Gordon Lemm (SPD) Ende Februar in der Bezirksverordnetenversammlung. Teilweise sei man diesen Wünschen bereits nachgekommen.

Rechtsextremist Schaub baut derweil weiter auf den Elsengrund: Seit Oktober 2019 besucht eine seiner Töchter wieder die Freie Schule, wie Staatssekretärin Stoffers berichtete. Nach Angaben der Leitung bestehe jedoch „über die erforderliche Kommunikation zwischen Schule und Elternhaus hinaus kein weiterer Kontakt zur Familie“.

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