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In dem Chat sollen rechtsextreme Inhalte geteilt worden sein - wie auf diesem Symbolfoto.

© Tsp

Exklusiv

Ermittlungen wegen Hetz-Chats: Die rechten „Eierköppe“ bei der Polizei Berlin

Die Polizei hatte Hinweise, dennoch dauerte es mehr als ein Jahr, bis sie gegen eine rechte Chatgruppe vorging. Die hatte immerhin einen auffälligen Namen.

Das ist kein Witz, möglicherweise ist der Name sogar Programm: Die bei der Polizei aufgedeckte rechte Whatsapp-Chatgruppe, wegen der Mitte Juli die Wohnungen von Polizisten durchsucht worden sind, nannte sich: „Die Eierköppe“. Das teilte Berlins Innenstaatssekretär Torsten Akmann (SPD) nun auf Anfrage der Linke-Abgeordneten Anne Helm und Niklas Schrader mit.

Was aber auch aus der Antwort der Innenverwaltung, die dem Tagesspiegel vorab vorlag, hervorgeht: Nach der Sicherstellung der Datenträger des Beamten Detlef M. in einem Verfahren wegen Geheimnisverrats dauerte es mehr als ein Jahr, bis gegen die rechte „Eierköppe“-Chatgruppe vorgegangen worden ist.

Detlef M., einst Wachleiter in Treptow-Köpenick, war bei der AfD aktiv. Er soll kurz nach dem islamistischen Terroranschlag am Breitscheidplatz vom 19. Dezember 2016 in einer anderen Chatgruppe mit AfD-Mitgliedern und Rechtsextremisten Polizeiinterna geteilt haben, unter den zwölf Chatteilnehmern war auch einer der Hauptverdächtigen in der rechtsextremistischen Anschlagsserie von Neukölln.

Ob es tatsächlich geheime Informationen waren oder einfach nur weitergeleitete Inhalte, erste spärliche Informationen nach dem Anschlag aus Chatgruppen von Polizisten waren, ist unklar. M. hat gegen den von der Staatsanwaltschaft beantragten Strafbefehl wegen Verrats von Dienstgeheimnissen Einspruch eingelegt. Deshalb wird die Anklage nun in einem öffentlichen Prozess verhandelt, ein Termin steht noch nicht fest.

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Die Ermittler waren auf M. und die AfD-Chatgruppe aufmerksam geworden, als sie die Daten von Tilo P. durchsucht hatten – er ist einer der Verdächtigen im Neukölln-Komplex. Bei M. sind bereits Mitte April 2020 ein Handy und ein Laptop sichergestellt worden. Im Verfahren zum Geheimnisverrat haben die Ermittler dann wenige Tage später damit begonnen, die Daten zu sichern und auszuwerten.

Daten der „Eierköppe“ im April 2020 gesichert

Schon damals stellten die Ermittler Fotos und Bilddaten fest, bei denen Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen verwendet wurden – eine Straftat. Doch erst im November 2020, ein halbes Jahr nach der Beschlagnahmung, ist in den Akten eine mögliche strafrechtliche Relevanz vermerkt worden. Auch ein Ermittlungsverfahren wurde eingeleitet.

Dann dauerte es erneut ein halbes Jahr – erst im Sommer 2021 stießen die Ermittler auf die zweite Chatgruppe „Eierköppe“, in der M. und weitere Polizisten waren, mit den verbotenen Inhalten. Innenstaatssekretär Akmann schreibt: „Die Chatverläufe, die zu den Durchsuchungen führten, waren im Juni 2021 bekannt geworden, nachdem die Kommission ihren Bericht Ende Mai 2021 abgeschlossen hatte.“ Gemeint ist die Expertenkommission zur Überprüfung der Ermittlungen im Neukölln-Komplex.

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Insgesamt zwölf Personen zählten zu den rechten „Eierköppen“, davon sind laut Akmann vier Mitarbeiter der Polizei. Bei den Durchsuchungen im Juli war noch von fünf Polizisten die Rede.

Bei den Beamten sind Handys und andere Beweismittel beschlagnahmt worden. Ermittelt wird gegen sie wegen Volksverhetzung und Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Die rechten „Eierköppe“ sollen von September 2017 bis Ende November 2019 Nachrichten mit „menschenverachtenden Inhalten“ verschickt haben, darunter Bilder, Karikaturen rassistische Inhalte und verfassungsfeindliche Symbole.

„Kein Wunder, wenn Betroffene Ermittlern und Politikern misstrauen“

Die Polizei Berlin hat gegen die vier Mitarbeiter zudem Disziplinarverfahren eingeleitet, es geht um Verstöße gegen die politische Treuepflicht, gegen die Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten sowie Verstöße gegen weitere Vorschriften und Missachtung dienstlicher Weisungen der Vorgesetzten.

Der Linke-Innenexperte Niklas Schrader ist nach der Antwort der Innenverwaltung mehr als verwundert. „Es gab Sonderermittlungsgruppen und externe Beauftragte mit einer Personalausstattung, von der andere Bereiche nur träumen. Und trotzdem braucht es mehr als ein Jahr von der Sicherstellung des Datenträgers bis zum Bekanntwerden der strafbaren Chatverläufe“; sagte Schrader dem Tagesspiegel.

„Das soll Aufklärung mit höchster Priorität sein?", fragt Schrader. „Da ist es kein Wunder, wenn die Betroffenen den Ermittlungsbehörden und verantwortlichen Politikern misstrauen und einen Untersuchungsausschuss fordern.“

Der Linke-Abgeordnete Niklas Schrader.
Der Linke-Abgeordnete Niklas Schrader.

© Annette Riedl/dpa

Schrader spielt damit auf die Betroffenen der rechtsextremen Anschlagserie von Neukölln an. Wegen Pannen, Rechtsextremen in der Polizei und lange Zeit auch ausbleibender Ermittlungserfolge im Neukölln-Komplex ist das Vertrauen der Opfer über die Jahre erschüttert worden.

Die Untersuchungen zu den „Eierköppen“ werden von der Staatsanwaltschaft und der Anfang April gegründeten polizeiinternen Ermittlungsgruppe „Zentral“ geführt. Bis 20. Juli haben die „Zentral“-Ermittler laut Innenverwaltung 30 Ermittlungsverfahren und elf Prüffälle bearbeitet. Betroffen sind 32 Polizeibedienstete, ermittelt wurde und wird wegen Verdachts

  • der Beleidigung
  • Körperverletzung
  • Körperverletzung im Amt
  • Volksverhetzung
  • Nötigung
  • der gegen Personen des politischen Lebens gerichteten Beleidigung, üblen Nachrede und Verleumdung
  • und des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen.

Doch nicht jeder Verdacht hat sich bislang bestätigt. Die Staatsanwaltschaft hat wegen fehlender Beweise drei Ermittlungsverfahren eingestellt.  

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Die „Eierköppe“-Chatgruppe ist bei der Berliner Polizei die dritte größere Gruppe, in der rechte Inhalte geteilt wurden. So etwa eine im Oktober 2020 aufgedeckte Chatgruppe von Polizeischülern mit 26 Mitgliedern, von denen mehrere laut Staatsanwaltschaft Nachrichten mit rassistischen Inhalten oder Hakenkreuzen austauschten. Gegen sieben Polizeischüler wurde ermittelt, sechs davon mussten die Ausbildung abbrechen.

Ebenfalls im Herbst 2020 ist eine weitere Chatgruppen von 25 Beamten einer Dienstgruppe bekannt geworden, in der Muslime als „fanatische Primatenkultur“ bezeichnet, Flüchtlinge mit Vergewaltigern oder Ratten gleichgesetzt und Neonazis als mögliche „Verbündete“ bei linken Demonstrationen genannt worden sein sollen. Das Problem bei diesem Fall: Zwei Beamte hatten sich dem WDR offenbart, doch nicht gegenüber der Polizei selbst. Die Ermittler tappen deshalb im Dunkeln.

Bereits im Februar 2020 war ein Polizist aufgeflogen, der 2019 aus Hessen nach Berlin gewechselt war. Die hessischen Ermittlungsbehörden warfen ihm vor, Wortführer einer Chatgruppe gewesen zu sein, in der Gewaltdarstellungen und rechtsextreme Inhalte ausgetauscht worden sein sollen.

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