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Vor der Sparkassenzweigstelle am Alexanderhaus harrten die DDR-Bürger am in der Warteschlange aus.

© Kramer & Giogoli

Erinnerungen an die Währungsunion: Als die D-Mark nach Berlin-Hellersdorf kam

Bei der Währungsunion vor 30 Jahren leitete Annegret Nostitz die Sparkassenfiliale in Hellersdorf. Erinnerungen an einen besonderen Tag.

Von Carla Neuhaus

Nie wieder ist Annegret Nostitz bei der Arbeit so überschwänglich begrüßt worden wie an diesem Sonntagmorgen, dem 1. Juli 1990. Schon von Weitem kann sie die Menschenschlange sehen. Um den gesamten Häuserblock zieht sie sich rum.

Nostitz ist diejenige, auf die sie hier warten. „Da kommt die Chefin“, ruft jemand. „Unser Geld ist da.“ Zwar hat Annegret Nostitz keine abgezählten Scheine in der Aktentasche, die sie bei sich trägt. Die Rufe sind aber auch eher symbolisch gemeint. Denn Nostitz ist die Frau, die die D-Mark nach Marzahn-Hellersdorf bringt.

30 Jahre ist das nun her. Doch wenn Annegret Nostitz erzählt, klingt es, als wäre es gestern gewesen. Gebürtig kommt sie aus der Nähe von Dresden. 1984 ist sie mit ihrem Mann nach Ost-Berlin umgezogen, wo sie drei Jahre später die Leitung der Sparkassen-Filiale in Hellersdorf übernimmt. Die befindet sich damals im ersten Stock eines Häuserblocks.

Bereits in den Wochen vor der Einführung der DM stehen die Kunden hier regelmäßig Schlange, sitzen teils bis abends auf den Stufen im Treppenhaus. Denn in DM umgetauscht werden kann zum Stichtag nur, was auf dem Konto liegt. Deshalb zahlt jeder im Juni 1990 ein, was er noch an Bargeld im Sparstrumpf hat.

Dazu kommt: Nur maximal 4000 Ost-Mark werden 1:1 in DM umgetauscht. Ist mehr Geld auf dem Konto, wird die übrige Summe im Verhältnis 1:2 in DM übertragen.

Viele Familien richten weitere Konten ein, um die Tauschgrenzen auszunutzen

Um die Tauschgrenzen auszunutzen, richten viele Familien selbst für jedes Kind noch schnell ein Konto ein. Allein bei der Berliner Sparkasse werden in den sechs Monaten vor der Währungsunion 150.000 neue Konten eröffnet.

Entsprechend viel haben Annegret Nostitz und ihre Kollegen bereits in den Wochen vor dem 1. Juli zu tun.

An manchen Tagen warten vor der Filiale in Hellersdorf so viele Kunden, dass nicht alle während der Öffnungszeiten drankommen. Immer wieder müssen sie abends Kunden bitten, am nächsten Tag wiederzukommen.

Die Frau, die die D-Mark nach Marzahn-Hellersdorf brachte: Annegret Nostitz.
Die Frau, die die D-Mark nach Marzahn-Hellersdorf brachte: Annegret Nostitz.

© Promo

Und längst nicht alle der Wartenden haben dafür Verständnis. „Zum Teil musste der Wachschutz uns aus dem Haus begleiten“, erzählt Nostitz.

Die Kunden bringen Kuchen vorbei

Als es dann aber soweit ist, und die DM die Ostmark tatsächlich ablöst, hat sich die Anspannung gelegt. Am Tag der Währungsunion, ein Sonntag, ist es sonnig und sommerlich warm in Berlin.

Am Nachmittag wird im Westen die Nationalmannschaft um den Einzug ins Halbfinale der Fußballweltmeisterschaft in Italien spielen. Und auch, wenn die DDR-Spieler noch nicht Teil des Teams sind, fiebert man im Osten bereits mit.

„Die Stimmung am 1. Juli 1990 war euphorisch“, sagt Nostitz. Immer wieder bringen an diesem Tag Kunden Kuchen und Getränke in der Filiale vorbei, ein paar kommen gar mit rohen Kartoffeln an, die sie an der Arbeitsstelle gar nicht zubereiten können.

[Die D-Mark kam nicht nur nach Hellersdorf, sondern auch in die anderen damaligen Ost-Bezirke. In unseren Leute-Newslettern berichten wir wöchentlich von dort. Die Newsletter können Sie hier kostenlos bestellen: leute.tagesspiegel.de]

Dabei brauchen alle auch an diesem Tag viel Geduld. Schon um 10 Uhr geht zum ersten Mal das Geld aus. Gerade einmal zwei Stunden hat es gedauert, bis Nostitz und ihre Kollegen die erste Million DM an die Kunden ausgezahlt haben. Und das, obwohl man zunächst nur maximal 2000 DM pro Person abheben darf.

Jeder, der bereits dran war, bekommt einen Stempel in den Pass, damit er sich nicht ein zweites Mal anstellt. So groß ist die Angst, dass die Bargeldversorgung zusammenbricht.

Begehrtes Zahlungsmittel: Die Deutsche Mark.
Begehrtes Zahlungsmittel: Die Deutsche Mark.

© promo

Während Annegret Nostitz und ihre Kollegen auf den Werttransporter mit Nachschub warten, ergreifen Banker andernorts in Berlin zum Teil ungewöhnliche Maßnahmen.

Da packt ein Mitarbeiter zum Beispiel Scheine im Wert von mehreren Millionen DM in den Kofferraum seines Ladas, fährt damit quer durch Berlin, von einer Filiale zur nächsten, um das Geld dort zu verteilen.

Die Händler sind hingegen schon im Vorfeld mit DM-Starterpaketen ausgestattet worden. Denn mit dem Westgeld in der Tasche wollen sich viele im Osten möglichst schnell langersehnte Wünsche erfüllen. Annegret Nostitz aber wartet ab. „Ich war da eher vorsichtig", sagt sie.

Im Osten gibt es nur ein Sparbuch, im Westen handeln sie schon mit Aktien

Dass die Filialleiterin mit größeren Ausgaben zögert, hat neben ihrem Naturell noch einen zweiten Grund: Sie weiß nicht so recht, wie es für sie beruflich weitergeht. Denn mit der Währungsunion und der Wiedervereinigung wachsen auch die Sparkassen in Ost und West zusammen.

Für die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im Osten bedeutet das: Sie müssen sich an neue Produkte und Arbeitsabläufe gewöhnen. Während es im Osten bis zuletzt nur Konto, Sparbuch und Teilzahlungskredit gibt, werden im Westen Aktien gehandelt und Bausparverträge verkauft.

Auch gibt es im Osten einen einheitlichen Zinssatz von 3,25 Prozent, im Westen hingegen diverse Zinssätze. Deshalb werden die Leiter der Sparkassenfilialen im Osten von Berlin zunächst abgesetzt.

Westgeld. Ob harte Münzen oder druckfrische Scheine: Die Begeisterung war riesig.
Westgeld. Ob harte Münzen oder druckfrische Scheine: Die Begeisterung war riesig.

©  Thomas Wattenberg/dpa/pa

Auch Annegret Nostitz muss die Leitung ihrer Filiale in Hellersdorf abgeben. Sie nutzt die Zeit, macht erst einen Lehrgang zur Sparkassenfachwirtin und später noch die Sparkassenbetriebswirtin. Um die Mitarbeiter aus dem Osten einzuarbeiten, wird jeder Zweigstelle eine Patenfiliale aus dem Westen zugeteilt. Für ein paar Monaten wechseln die Angestellten aus Ost und West jeweils die Posten.

Annegret Nostitz landet so in einer Zweigstelle in der Turmstraße, wickelt dort ihr erstes Wertpapiergeschäft ab. Nach einem Jahr hat sie Glück. Es wird eine neue Leitung für ihre Filiale in Hellersdorf gesucht. Nostitz bewirbt sich und kann auf ihren alten Posten zurückkehren.

Dem Osten von Berlin ist sie bis heute treu geblieben. In der zweitgrößten Filiale der Berliner Sparkasse, in der Marzahner Promenade, leitet sie das Beraterteam.

Es kommen hin und wieder Kunden mit alten Sparbüchern vorbei, die in Ost-Mark laufen. Nostitz muss dann an Früher denken. Wie das war, als die DM in den Osten kam und die Kunden riefen: „Da ist die Chefin. Unser Geld ist da.“

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