zum Hauptinhalt
Dr. Jur. Jan Stöß, Landeschef der SPD.

© Kai-Uwe Heinrich

Bürgermeister-Kandidat Jan Stöß: „Endlich ruft mal einer wegen meiner Diss an!“

Regierender Bürgermeister will er werden: Jan Stöß, Landeschef der SPD. In seiner Promotion an der Freien Universität hat der Volljurist die Fehler früherer Senatschefs bei Großprojekten untersucht. Der Tagesspiegel hat mal genauer geblättert.

Ein deutscher Verteidigungsminister hat es getan, eine Bildungsministerin ebenso. Und in Berlin erschwindelte sich mal ein späterer Fraktionschef der Christdemokraten einen Doktortitel - der noch immer amtierende Florian Graf. Erlag vielleicht auch Jan Stöß, der Berlins neuer Regierende Bürgermeister werden will, der Versuchung, sich an wissenschaftlichen Arbeiten anderer gütlich zu halten, um nicht selbst schwierige Rechtsfragen ausbrüten zu müssen?
Seine Doktorarbeit hat der heutige Richter im Jahr 2007 geschrieben. Damals galt "Copy and Paste" noch als praktische Tastatur-Kombination und nicht als Synonym für ein wissenschaftliches Plagiat. „Großprojekte der Stadtentwicklung in der Krise“ heißt die Abschlussarbeit von Stöß, 294 Seiten stark, für 78 Euro im Handel zu haben oder als Leihexemplar in der Zentralbibliothek. Um die Wasserstadt Spandau geht es und andere Milliardengräber des Senats in den 1990er Jahren. Damals war Berlin schon mal Boomtown, wuchs wie verrückt – das Land reagierte mit Siedlungsbau. Doch bald schon schrumpfte die Bevölkerung wieder und niemand wollte in die Quartiere ziehen. Sollte das Land die Projekte abrupt stoppen – und sei es zum Preis, Geisterstädte zu hinterlassen?

Der "junge Wilde" wägt umsichtig ab

Eine spannende Frage, völlig unzeitgemäß aus heutiger Sicht, wo Berlin erneut um 40000 Menschen wächst? Stöß beantwortet die Frage schon damals eher mit Weitblick: Er zitiert den Rechnungshof, der einen Stopp der Projekte für zu teuer erklärt, verweist auf den Schutz der Grundeigentümer, die im Vertrauen auf die Entwicklung der früheren Industriebrachen durch die Stadt selbst auch investierten. Stöß empfiehlt eine an den neuen Marktverhältnissen angepasste „eingeschränkte Durchführung“ in Abstimmung mit den Beteiligten. Eine umsichtige, abwägende Haltung, die Investoren nicht brüskiert – der „junge Wilde“, der „SPD-Linke“ Stöß ist hier jedenfalls nicht wiederzuerkennen. Hat er nun oder hat er nicht kopiert oder doch alles selbst erdacht? Diese Frage des Tagesspiegels an die Assistentin des Bürgermeister-Kandidaten ist kaum als Mail versendet, da klingelt schon das Telefon und Stöß ist selbst am Apparat: „Endlich ruft mal einer wegen meiner Diss an!“ Die Frage nach der eigenen Leistung kontert er kampfeslustig: „Das ist eine Pionierarbeit.“ Im übrigen sei der Text „schon durch das Programm gelaufen“.

Erster Durchlauf bei "Plagiatfinder"

Das bestätigt auch ein Tagesspiegel-Check im Netz auf Plagiatfinder.de (Nachtrag: mittlerweile offline) und Plagiarisma.net. „Unique“ meldet die Software – einzigartig. Wenig verwunderlich bei einem so speziellen Thema. Unzeitgemäß ist es auch, denn unglaublich, aber Berlin schrumpfte wahrhaftig Mitte der 2000er Jahre. Kann man also überhaupt noch etwas daraus lernen, Herr Stöß? „Ja, dass eine schnelle Abwicklung von Projekten unter dem Eindruck einer schlechten Konjunkturphase falsch ist“. Falsch war demnach auch, was Ex-Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) begonnen und sein Nachfolger Ulrich Nußbaum fortgesetzt hat: den Verkauf landeseigener Wohnungen und Gesellschaften sowie die Notbremsung aller Förderprogramme für den sozialen Wohnungsbau. Zu hart, zu abrupt, urteilt Stöß, umsichtig herunterfahren wäre die bessere Strategie, denn „jetzt fördert der Senat wieder den Wohnungsbau und kauft Immobilien teuer dazu“.

Marktzyklen und politische Halbwertzeiten

Eine Binsenweisheit ist es eigentlich, dass Märkte in Zyklen funktionieren. Aber weil die Halbwertzeit von Politikern in Legislaturperioden gemessen wird, will so mancher schnelle Ergebnisse sehen. Und markige Sprüche verkaufen sich besser. Den Preis dafür bezahlen die Nachfolger irgendwann. Wird Stöß, einmal im Amt, aber wirklich anders handeln und die Spätwirkungen im Auge behalten?

Entwicklungsgebiet der Zukunft: Rathausforum

Noch etwas nennt Stöß an seiner Diss als aktuell: „Das Rathausforum und die historische Mitte Berlins sind mögliche Aufgaben für einen Entwicklungsträger.“ Wie die Brache vor dem Roten Rathaus, an dessen Tor er ja nun mächtig rüttelt, wieder zu einem lebendigen Quartier umgewandelt werden kann, ist eines seiner großen Themen. Dazu müsste das Land dann ähnlich wie bei den Industriebrachen an der Wasserstadt Straßen bauen, Leitungen für Energie, Wasser und Daten verlegen, Plätze anlegen und Grünflächen. Das alles muss bezahlt werden, auch durch die Eigentümer der Grundstücke, deren Wert durch die Entwicklung steigt. Eben diese Verteilung von Kosten und Lasten regeln Städtebaulichen Verträge, die er in seiner Promotionsarbeit so genau untersuchte.

Vom Schock traumatisiert

„Leider hat der Senat zuletzt viele Großprojekte gestartet, ohne dass eine ausreichende Gewinnabschöpfung vereinbart wurde“. Schließlich profitierten Investoren von Planung und Entwicklung der städtischen Infrastruktur. Das Land sei noch vom „Schock der gescheiterten Entwicklungsgebiete traumatisiert“. Und da ist er wieder ganz in der Gegenwart, mitten im Wahlkampf, mit diesem kleinen Giftpfeil gegen den schärfsten Rivalen um das höchste Amt: Bausenator Michael Müller.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false