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Vorbildlich. Berlins Schulen verfallen zusehends, überall ist Freiwilligenarbeit gefragt wie hier in der Karlsgartenschule in Neukölln. Dort halfen Mütter und Väter bei der Renovierung des Horts.

© Vincent Schlenner

Freiwilligendienste in der Schule: Endlich Ferien - auch für Eltern!

Unser Autor hat seit 30 Jahren das Abitur, aber das Schulleben nimmt kein Ende. Ständig werden Väter und Mütter zum Mitmachen aufgefordert – und immer drückt das schlechte Gewissen.

Nein, ich werde hier nicht behaupten, ich wäre gern in die Schule gegangen. Das wäre gelogen, jedenfalls, was den größten Teil meiner Schulzeit angeht. Ich hatte noch Lehrer, die trugen Schmiss, also Mensurnarben im Gesicht. Heft auf zum Frontalunterricht, dass der Kreidestaub rieselte. Wir hatten eine Sozialkundelehrerin, die sagte, wir gehörten "ins Bergwerk zum Steine kloppen". Und es gab einen Kunstlehrer, der verordnete fast ausschließlich Stillarbeit, damit er nebenan im Materialraum ungestört seine Zeitung lesen konnte – und immer, wenn es ihm im Klassenraum zu bunt wurde, schlich er sich unbemerkt herein und schlug mit einem Besenstiel aufs Pult, dass einem das Herz stockte. Klar, es gab auch andere, gute Lehrer, aber die habe ich fast alle vergessen. Ich habe vor 30 Jahren Abitur gemacht, und ich bin froh, dass es vorbei ist. Mir reicht's.

Meine beiden Töchter haben es heute viel besser. Die eine geht an ein sehr gutes konfessionelles Privatgymnasium, die andere besucht eine passable öffentliche Grundschule. Sie kommen gut mit und haben nette, engagierte Lehrer, beide gehen mehr oder weniger gerne hin. Meine Frau, selbst Lehrerin, und ich – zugegeben: sie mehr als ich – erfüllen unsere elterlichen Pflichten: Wir erkundigen uns nach dem Schulleben, wir hören zu, wir helfen, falls Bedarf ist, bei den Hausaufgaben und üben, wenn es nötig ist, sanften Lerndruck aus. Nebenbei hocken wir zwei Mal im Schuljahr abwechselnd auf zu kleinen Stühlen bei Elternabenden, geduldig bis zum Schluss, und nehmen brav unsere Termine bei Lehrersprechtagen wahr – und für den Basar backt meine Frau gern auch ein oder zwei Kuchen. In den vergangenen vier Wochen waren es zwölf. Zwölf Kuchen! Man sollte meinen, das reicht. Denkste!

Dauernd sind neue Aufrufe zur Mitarbeit in der Mailbox

Kaum ein Tag vergeht ohne E-Mails mit Hinweisen auf Aktivitäten rund ums Schulleben. Es gibt Informationen über neue AGs, Wandertage und Klassenfahrten, Aktuelles zu Catering, Sportveranstaltungen und Gartenarbeitsschule, Einladungen zu Sommerfest und Orchesterkonzert, Sponsorenlauf, Theater- und Tanzaufführungen, Aufrufe zur freiwilligen Mithilfe bei Frühjahrsputz, Cafeteria-Ausschank und Festvorbereitungen. Man könnte seinen Beruf an den Nagel hängen und auf Vollzeit-Vaterschaft umschulen, man würde sich kein bisschen langweilen. Will ich aber nicht.

Natürlich, ich habe auch schon mal in der Kita geputzt, helfe gerne beim Stühletragen in der Aula oder schiebe ein paar Stunden Dienst an einem Stand beim Schulbasar. Und ich bewundere alle diese großartigen Menschen, die ihr handwerkliches Geschick, ihre Backkünste, ihr Talent als Vorleser, Bastler, Sportler, Musiker und Animateur ehrenamtlich in den Dienst der Allgemeinheit stellen. Bürgerschaftliches Engagement ist ungeheuer wichtig, es hält unsere Gesellschaft zusammen. Aber diese Flut von Anfragen, dieser Markt der Möglichkeiten macht mich einfach fertig. Fehlt nur noch, dass Anwesenheitslisten geführt werden und Eltern fürs unentschuldigte Fehlen einen Eintrag ins Klassenbuch bekommen.

"Ganz selbstverständlich nehmen Schulen Eltern in die Pflicht und bedienen sich der Zeit, des Geldes und der Energie von Müttern und Vätern, als stünden ihnen diese Ressourcen von Rechts wegen zu", schreibt die Schriftstellerin Gerlinde Unverzagt in ihrem Buch "Eltern an die Macht". Viele Schulen sind inzwischen auf die kostenlose Mithilfe von Müttern und Vätern geradezu angewiesen - von der Renovierung maroder Toiletten bis zur Verschönerung des Pausenhofs.

Das war doch früher nicht so! Als ich Schüler war, ging meine Mutter zum Elternabend und zum Sprechtag in die Schule und außer der Reihe höchstens ein, zwei Mal, wenn meine Versetzung gefährdet war. Aber heutzutage habe ich dauernd ein schlechtes Gewissen: Weil ich nicht zur Vernissage der Kunstlehrerin gegangen bin oder weil ich zu Fronleichnam den Schulgottesdienst geschwänzt habe – dabei bin ich Protestant! Und ich ertappe mich dabei, wie ich vor der Theateraufführung meiner Tochter dem Blick eines Vaters ausweiche, der sich freiwillig als Kartenabreißer gemeldet hat. Wäre das mein Job gewesen?

Bin ich ein Schulversager? Ein schlechter Vater und verkommener Zivilbürger? Dann schlagt mich ans Bundesverdienstkreuz, steinigt mich mit den Marmorbüsten aus der Ehrengalerie der selbstlosen Vorbilder. Diese bürgerliche Existenz ist so anstrengend! Immer sollen wir Verantwortung tragen. Ich gestehe: Ich habe viel Schularbeit versäumt. Trotzdem brauche ich jetzt dringend Ferien.

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