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Mit selbst gebastelten Schildern protestieren Schüler und Eltern vor dem Schulgebäude.

© Malte Neumann

„Wir wurden vor vollendete Tatsachen gestellt“: Eltern kämpfen um katholische Grundschule in Berlin

Ab dem Schuljahr 2024/25 soll die Primarstufe der Sankt-Franziskus-Schule in Schöneberg sukzessive geschlossen werden. Eltern und Beschäftigte protestieren dagegen.

Vor der Katholischen Schule Sankt Franziskus (KSSF) am Winterfeldtplatz in Schöneberg haben sich circa 200 Menschen versammelt, die Hälfte von ihnen sind Kinder. Das Durcheinander ist groß, die Lautstärke ohrenbetäubend. Doch weit gefehlt, wer jetzt an ein Schulfest denkt. 

Die einen schlagen gegen mitgebrachte Töpfe, die anderen machen mit Trillerpfeifen, Trommeln und Rasseln Lärm. Dutzende Kinder schreien aus voller Kehle: „Wir sind hier und wir sind laut, weil ihr uns die Schule klaut.“ Die Erwachsenen stehen um sie herum und halten selbst gebastelte Schilder in die Luft. Auf denen stehen Botschaften wie „Unsere Grundschule muss bleiben“ oder „Eine Schule für alle!“

Gemeinsam protestieren Eltern, Kinder und Pädagogen gegen die angekündigte Schließung der Grundschule. Anfang Juni erhielten die Eltern eine E-Mail mit dem Betreff „Umbau“. In dieser seien sie in wenigen Sätzen darüber in Kenntnis gesetzt worden, dass ab dem Schuljahr 2024/25 keine neuen Schüler aufgenommen werden – dauerhaft. Für alle angemeldeten Schüler werde der Betrieb bis zum Abschluss der Grundschule weiterhin garantiert. Nach aktuellen Plänen soll danach nur die Oberschule erhalten werden, gibt auch Stefan Förner, Pressesprecher des Erzbistums Berlin, gegenüber dem Tagesspiegel an. Von den 800 Schulplätzen würden voraussichtlich 250 wegfallen.

Kaum Kommunikation mit den Betroffenen

Was zunächst Fassungslosigkeit auslöste, hat sich bei vielen von ihnen mittlerweile in Wut auf die Kirche gewandelt. Am Mittwochabend haben Teile der Elternschaft deswegen eine Kundgebung vor dem Schulgebäude organisiert. Der Anlass dazu ist eine außerordentlich einberufene Versammlung des Elternbeirats, zu der auch die Schulleitung und Vertreter des Erzbistums eingeladen wurden, um Rede und Antwort zu stehen.

Die Schließung der Schule hat uns völlig überrascht. Wir wurden vor vollendete Tatsachen gestellt, uns wurde nichts erklärt. 

Dominique Röhr, Mutter

Denn: Die Art und Weise, wie seitens der Schulleitung und des Bistums mit den Eltern umgegangen wurde, hat tiefes Misstrauen ausgelöst. Dominique Röhr, 42 Jahre alt, hat die Kundgebung angemeldet. Sie hat zwei Kinder, die die erste und vierte Klasse der Schule besuchen. Röhr sagt: „Die Schließung der Schule hat uns völlig überrascht. Wir wurden vor vollendete Tatsachen gestellt, uns wurde nichts erklärt. Die Kommunikation der Schule und der Kirche ist einfach nur unterirdisch.“

Die Eltern versetzte die Nachricht in Aufruhr. Warum soll eine Grundschule wegen einer Sanierung dauerhaft geschlossen werden? Dutzende Eltern schrieben Briefe an mehrere Verantwortliche des Erzbistums. Zurück kam immer die gleiche Mail. Eine „nichtssagende Standardmail“, findet nicht nur Röhr. Erklärungen habe es keine gegeben. Auch die Schulleitung mische sich nicht ein, sondern wolle ihre Neutralität wahren. Röhr ist enttäuscht: „Ich wünsche mir Haltung. Auch wenn die Schulleitung beim Erzbistum angestellt ist: Man kann trotzdem für seine Schüler und Angestellten kämpfen.“

Manchen Kindern wurde der zugesicherte Schulplatz wieder entzogen

Weil das nicht passiert sei, machen das nun die Eltern. „Wir fordern, dass die Grundschule erhalten bleibt“, sagt Röhr. Zu ihr hat sich Benjamin Rücker gesellt. Er und seine Frau sind mit ihren vier Kindern zur Kundgebung gekommen. Während des Gesprächs hält der 38-Jährige seinen jüngsten Sohn bäuchlings auf dem Arm. „Meine beiden Töchter besuchen die Schule, unseren anderen Sohn wollten wir in zwei Jahren hierherschicken“, sagt Rücker. „Vor zwei, drei Monaten hieß es, dass es Bauarbeiten geben wird, aber nur der Unterrichtsbetrieb an der Oberschule zeitweise eingeschränkt wird“, sagt er. Sein Sohn wird die Schule jetzt wohl nie besuchen können.

Johannes Landstorfer, 42, und Theresa Lindig, 36, kämpfen für den Erhalt der Grundschule ihrer Kinder.
Johannes Landstorfer, 42, und Theresa Lindig, 36, kämpfen für den Erhalt der Grundschule ihrer Kinder.

© Malte Neumann

Während Rücker das zumindest zwei Jahre im Voraus weiß, wurde anderen Kindern der zugesicherte Schulplatz ab den Sommerferien kurzerhand wieder entzogen. In dem Grundschulteil der Sankt-Franziskus-Schule gibt es sechs Klassen, wobei die Klassenstufen 1-3 und 4-6 jeweils zusammengelegt sind. Von den drei ersten Klassen nehmen jetzt aber nur noch zwei Klassen neue Schüler auf. Eine offenbar sehr kurzfristig mitgeteilte Entscheidung. Eines von Röhrs Kindern hat mit seiner Klasse sogar schon Willkommensbilder für die erwarteten Erstklässler gemalt. 

Geht es der Kirche ums Geld?

Wegen des Auftretens der Schule fordern Rücker und Röhr nicht nur den Erhalt der Schule. Es geht für die beiden auch darum, Vertrauen wiederherzustellen. „Die Schule muss endlich offen und ehrlich mit uns umgehen“, sagt Rücker. Dazu gehörten zwei Dinge. Die Frage nach dem Warum und die Frage, wie es weitergeht. 

Die Antworten auf beide Fragen meinen die Eltern zu kennen. Es hat sich unter den Eltern das Gerücht verbreitet, dass die Sankt- Franziskus-Schule zu einem elitären und kostenpflichtigen Gymnasium gemacht werden soll. Förner, der Pressesprecher des Erzbistums, will das nicht bestätigen, aber auch nicht verneinen. Die Arbeitsgemeinschaft Freier Schulen meldete kürzlich, dass die Privatschulen 2023 rund fünf Millionen Euro weniger an Zuschüssen bekommen, beim Erzbistum Berlin seien es demnach 400.000 Euro weniger.

Es gibt nicht genug Grundschulplätze hier im Schöneberger Norden. Deswegen ist es wichtig, dass der Standort erhalten bleibt.

Sebastian Walter (Grüne), Mitglied im Abgeordnetenhaus Berlin

Damit, dass die Grundschulplätze überflüssig wären, kann die Schließung jedenfalls nicht begründet werden, sagt Sebastian Walter. Der Grünen-Politiker ist Abgeordneter für Schöneberg-Nord im Berliner Abgeordnetenhaus. „Es gibt nicht genug Grundschulplätze hier im Schöneberger Norden. Deswegen ist es wichtig, dass der Standort erhalten bleibt.“ Walter ist auf Einladung der Eltern gekommen und verspricht, sich für die Schule einzusetzen.

Rücker erinnert auch Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) an eine Aussage, die sie nach der Wahl getroffen hat. Berliner Schulen sollten nach den Coronajahren wieder zu Ruhe und Alltag finden können. Röhr ergänzt: „Ich erwarte, dass der Senat seine Erfahrung in Sachen Schulsanierung anbietet und aufzeigt, wie das gelingen kann, ohne eine Schule schließen zu müssen.“ Röhr zeigt auf den Winterfeldtplatz: „Der ganze Platz ist frei. Warum werden da nicht einfach für eine Zeit Container hingestellt?“

Christliche Community kämpft um ihre Infrastruktur

Die Frage nach dem Warum hat für die Eltern vor der Schule aber noch eine weitere wichtige Dimension. Neben den potenziellen finanziellen Motiven für die Schließung und der „unterirdischen“ Kommunikation geht es für Eltern, Schüler, Lehrer und Angestellte um das Soziale, ihre religiös basierten Werte und den Kiez. 

Die Schule ist Teil eines christlich geprägten Netzwerkes in Schöneberg.Gegenüber von der Schule liegt die Sankt Matthias Kirche. Viele der Schüler und Eltern seien der Kirche verbunden, sagt der Pfarreiratsvorsitzende Mike Schuster. Zu der Pfarrei gehören außerdem vier Kitas, und auch im Hort der Schule würde vor dem Mittagessen gebetet werden, sagt der 34-Jährige. Ob christlich oder nicht, sind in dieses Netz auch Schülerläden integriert. In diesen werden Schüler, die nicht den Hort besuchen, in kleineren Gruppen von Erziehern betreut. 

Schuster argumentiert religiös gegen die Pläne eines Gymnasiums: „Als Christen müssen wir für alle da sein – dafür steht auch der Namensgeber der Schule, der heilige Franziskus. Wir können hier kein elitäres Gymnasium schaffen. Letztes Jahr sind eine halbe Million Menschen aus der Kirche ausgetreten. Die Kinder sind unsere Zukunft. Die Kirche muss alles, was sie hat, in ihre Zukunft investieren.“

Die Meinung, dass die Kirche sich mit der Schließung der Schule selbst schaden könnte, teilt auch Röhr: „Die Kirchengemeinde Sankt Matthias gewinnt ihren Nachwuchs aus den Reihen der Schule. Fällt die Schule weg, wird es weniger Kinder geben, die eine Kommunion machen. Warum wird mit der Grundschule ein Block aus einem ganzheitlichen System, von der Kita bis zum Abitur, herausgenommen?“

Eingerahmt von ihren Eltern demonstrieren auch viele Schüler für die Zukunft ihrer Schule. 
Eingerahmt von ihren Eltern demonstrieren auch viele Schüler für die Zukunft ihrer Schule. 

© Malte Neumann

Dass Religion an der Schule für die Eltern besonders wichtig ist, bestätigt auch Schuster. Der Vater einer Zweitklässlerin sagt: „Hier wird Glaube gelebt. Diese Schule ist behütet, die Schüler erfahren von den Lehrern viel Liebe. Hier geht es nicht nur um Noten, sondern vor allem auch um Werte.“ Und auch Röhr, die mit ihrer Familie häufig den Gottesdienst besucht, ist der Religionsunterricht aus denselben Gründen wichtig. „Gar nicht, weil man streng gläubig sein muss, sondern wegen der Werte.“ 

Damit gemeint sind „Rücksichtnahme und Nächstenliebe“, erklären Mika Hahn und Jadwiga Shiperski. Die beiden Frauen leiten die Sankt Elisabeth Kita und die Sankt Norbert Kita, die zur Pfarrei gehören. „Die Kitas sind der Grundstein dieses Bildungswegs. Es wäre schade, wenn dieser Weg nach der Kita endet“, sagen die beiden mit Blick auf die drohende Schließung der Grundschule.

Angst, dass dann weniger Kinder in der Kita angemeldet werden könnten, haben sie nicht. Diese Angst haben aber die Erzieher, die in den Horten und Schülerläden arbeiten. Ihre Betriebe leben fast ausschließlich von den Grundschülern. Ein Horterzieher, der anonym bleiben will, sagt: „Ich habe Angst um meinen Arbeitsplatz.“ Auch Lehrer seien unzufrieden und verunsichert und würden sich bereits auf andere Schulen bewerben, sagt Röhr.

Damit die Schule nicht auseinanderbricht, mobilisieren Eltern und Angestellte ihre wohl größte Ressource: Die über Jahrzehnte gewachsene Gemeinschaft. „Es gibt einige Eltern, die selbst schon die Schule besucht haben. Diese Schule hat Familien geprägt. Sie ist für viele hier ein Stück Heimat“, erklärt Kita-Leiterin Shiperski. Die laute Kundgebung vor der Schule dürften alle, die sich der Schule verbunden fühlen, als Erfolg werten. „Wir sind heute hier, weil wir der Kirche zeigen wollen, dass wir nicht nur ein paar versprengte Eltern sind. Wir sind viele“, sagt Röhr.

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