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Mann mit Trompete: Sven Regener.

© Imago

Element of Crime in Berlin: Dosenravioli-Romantik im Tempodrom

Der erste von drei Abenden: Sven Regener feiert mit Element of Crime im Tempodrom das zehnte Album. Mit viel Neuem und einem speziellen Gastauftritt.

Irgendwer holt ja immer neues Bier. Und so bleiben wir einfach noch ein bisschen, wie Falschgeld unter der Hochbahn, die Party geht weiter, am Schlesischen Tor oder zur Not eben auch hier, im Tempodrom, dem zementierten Provisorium am Anhalter Bahnhof, das mit der Herr Lehmannschen Wiener-Straßen-Romantik ungefähr so viel zu tun hat wie Sterni mit Henkel Trocken. Sei´s drum, irgendwo muss man schließlich hin mit seinem Publikum, das hier immerhin in Teilen sitzen kann, es ist schließlich seit drei Jahrzehnten mit dieser Band mitgealtert, der Nachwuchs steht im Rund. Und immerhin ist es Kreuzberg, wenn auch nur am Rande. 

Drei Abende hintereinander feiern Element of Crime nun also ihr zehntes Album in Berlin, das sie kurz vor der Veröffentlichung im vergangenen Herbst schon mal angespielt hatten im rbb-Sendesaal, fernab von Kreuzberg, nun folgt die große Tour. Kurz bevor die Herren um halb neun herrlich unprätentiös plötzlich auf die Bühne stapfen, läuft noch Phil Collins, aber da kann sicher niemand etwas dafür.

Sven Regener, Trompete in der Hand, schwarzes Sakko, lila Hemd, sagt kurz vielen Dank, guten Abend, dann ma los mit dem ersten Sonntag nach dem Weltuntergang. Passend dazu scheppern die Worte recht apokalyptisch aus den Lautsprechern, wenn das gewollt ist, ist es genial, doch die anfangs bescheidene Akustik bessert sich gleich nach dem ersten Sonntag, als die Bühne zum Titelsong des Albums „Schafe, Monster und Mäuse“ hemdlila eingefärbt wird.

Jetzt wird zurückgecovert!

Soso, sagt Regener, nachdem er dem Publikum („Manchmal ist es doch schön, ein bisschen asozial zu sein“) „Ein Brot und eine Tüte“ entgegengerotzt hat. „Das ist ja alles schön, sagen Sie jetzt“, plaudert er, der berlinischste aller Bremer, dann endlich drauflos, „das sind die neuen Songs, sagen Sie jetzt, aber die müssen ja nicht so tun, als hätten die erst eine Platte gemacht. 45 Minuten Konzert spielen und dann als Zugabe ein Lied nochmal, weil die noch nicht so viele haben.“

Also kurze Werkschau: „Deborah Müller“ „Liebe ist kälter als der Tod“, Regener an der Gitarre, „Nur so“, und dann „Wer ich wirklich bin“, den sie aus selbsterklärtem Unvermögen seit 1997 angeblich nicht mehr gespielt haben, bis Gisbert zu Knyphausen ihn gecovert hat, „wie peinlich ist das denn, dass der das kann und wir nicht?“

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Jetzt wird zurückgecovert. Rockt ganz gut, was der Band – live unterstützt von Rainer Theobald an Saxofon und Klarinette und Ekki Busch am Akkordeon – ebenso gut steht wie die Schunkelschnulze „Da ist immer noch Liebe in mir“, mit der sie zurück in die Gegenwart kommen.

Ja blasser je krasser, je oller, je doller / Hat hier noch irgendwer was zu rauchen? Ja, da ist immer noch Liebe in uns, wenn Regener biertrinkend wie ein unbeholfener Teddybär tanzt, die Trompete hin und herschaukelnd, die Arme wie ein Sportler in die Höhe reckt mit seiner merkwürdigen Alter-Mann-Attitüde. Alles Absicht oder einfach Sven?

 Regener singt ein Duett mit seiner Tochter

Das neue Album wird fast komplett gespielt (inklusive dem Duett „Karin“ mit seiner Tochter Alexandra), was sich hintenraus ein wenig rächen wird, doch hier, in der Mitte kommt das Beste heraus aus diesem großen Werk, „Im Prinzenbad allein“ zum Beispiel, eine der Jahreszeit wenig angemessene Herbstnummer, doch letztlich weiß man ja nie so genau, welches Freibad gerade geöffnet ist.

Zur „Party am Schlesischen Tor“ versucht das Pärchenpublikum mitzuschunkeln, doch das hier ist keine Tanznummer! Dieses Lied braucht nicht mehr als Regener und seine bierselige Ihr-Könnt-mich-hier-wegtragen-Attitüde. Man kann ihm das vorwerfen, dieses Festhalten am Altbekannten, dass er gedanklich nie rausgekommen ist aus Kreuzberg. Doch wenn er singt: Ein Loch ist da, wo gestern noch / der Minigolfplatz lag / Da kommt jetzt ein Einkaufszentrum hin / Da kannst du dir was Schönes kaufen / Wenn es dunkel und kalt wird in Berlin, dann ist das eben aktueller denn je. Und der gentrifizierungsgenervte Saal tobt.

Wie das letzte Bier in der Kneipe: selten eine gute Idee

Und genauso sieht es aus! Vielen Dank, Berlin, ruft Regener hinein, der Abend könnte seinen natürlichen Höhepunkt erreicht haben, als die erste Zugabe mit „Delmenhorst“ endet, doch das wäre viel zu konventionell. Ein Konzert spielen, dann 45 Minuten Zugabe! Also folgen zwei lange melancholische Sets, die ein wenig an das letzte Bier in der Kneipe erinnern – zu schön, um aufzuhören, aber eigentlich selten eine gute Idee.

So sind von den Sitzenden viele schon gegangen, als es am schönsten war, wer bis ganz zum Ende bleibt, wird noch mit „Lieblingsfarben und Tiere“ belohnt und der wunderbaren Abschlusszeile: Denk an Lieblingsfarben und Tiere / Dosenravioli und Buch / und einen Bildschirm mit Goldfisch / das ist für heute genug.

Und als am Gleisdreieck der Mond hinterm Parkhaus hervorkommt, gehen auch die Letzten. Kommt gut nach Hause, ruft Regener ihnen noch hinterher, „keine Scheiße machen unterwegs!“ Als wenn ...

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