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Paradies für Keime. In der feuchten, warmen Umgebung der Küchenspüle – und vor allem in Spülschwämmen – kann die Zahl der Bakterien bereits nach kurzer Zeit exponentiell anwachsen. Dort gibt es sogar wesentlich mehr Darmbakterien als auf einer Toilettenbrille. Foto: Imago

© imago stock&people

Was man gegen Krankheitserreger tun kann: „Ein normaler, umweltschonender Reiniger reicht aus“

Stäbchen, die Keime im Kühlschrank töten sollen, antibakterielle Müllbeutel und Sportkleidung, Desinfektionsmittel für die Spüle: Es gibt viele Produkte, die uns vor Krankheitserregern schützen sollen. Der Hygienemediziner Ernst Tabori rät davon ab.

Herr Tabori, neulich im Drogeriemarkt hatte ich eine Rolle Müllbeutel mit dem Aufdruck „antibakteriell“ in der Hand und war kurz in Versuchung ...

Das ist wirklich mit der größte Unfug, den man machen kann. Und zwar in Bezug auf den Schaden, den Sie damit der Umwelt und womöglich sogar sich selbst zufügen können. Sie setzen sich einem unnötigen Kontakt und gegebenenfalls der Belastung mit einem Biozid aus. Im besten Fall sind diese Mülltüten lediglich unschädlich. Wie soll das auch funktionieren? Wenn da antibakteriell wirksames Zinksalz aufgebracht ist, sitzt das an der Tütenfolienwand, es ist also ausgeschlossen, dass sämtlicher Müll damit in Berührung kommen kann. Ist sowieso egal, da die Tüte eh’ verbrannt wird. Warum also gönnen wir den Bakterien nicht das kurze Vergnügen im Müllbeutel? Ganz abgesehen davon wird Zinksalz mittlerweile sehr kritisch gesehen und steht im Verdacht, Wasserorganismen zu schaden.

Antibakterielle Substanzen sind also nicht per se eine gute Sache?

Eine antibakterielle Substanz wirkt biozid, soll also Bakterien töten. Davon auszugehen, dass diese Wirkung sich auf Bakterien beschränkt, wäre naiv. Nanopartikel beispielsweise werden von unserem Körper aufgenommen. Was sie dann in uns verursachen, ist noch lange nicht abschließend untersucht. Bei einigen Substanzen aber wie Phtalaten – Weichmachern in Kunststoff –, Triclosan oder Ethinylestradiol wissen wir schon, dass sie schädlich oder störend sein können. Sie gelten unter anderem als sogenannte endokrine Disruptoren, können also unser Hormonsystem aus dem Gleichgewicht bringen. In den USA ist es Unternehmen seit einigen Jahren untersagt, antibakterielle Seife mit Triclosan herzustellen. Das in der Antibabypille enthaltene Hormon Ethinylestradiol lässt sich am Auslass von Klärwerken konzentriert nachweisen. Mit Folgen: Fische, die in der Nähe leben, sind häufig verweiblicht. In den Everglades, ein Sumpfgebiet im Süden des US-Bundesstaates Florida, hat man Alligatoren mit geschrumpften Penissen gefunden und konnte das auf Ethinylestradiol zurückführen. Auch wenn die Folgen anderer Substanzen sich nicht so direkt mit dem Zollstock nachweisen lassen, sind sie nicht weniger potent.

Also habe ich in meinem Müll lieber Bakterien als antibakterielle Substanzen?

Absolut. Das, was Sie wegwerfen, tut Ihnen nichts mehr, Sie haben es aus der Gefahrenzone gebracht. Das ist wie beim Händewaschen: Sie spülen die Keime ins Abwasser. Da brauchen Sie sich doch auch keine Sorgen zu machen, wie Sie das Abwasser vor dem Klärwerk noch antibakteriell behandeln können.

Ernst Tabori, Facharzt für Hygiene und Umweltmedizin, Gynäkologie, Geburtshilfe sowie Infektiologe, ist ärztlicher Direktor des Deutschen Beratungszentrums für Hygiene in Freiburg.
Ernst Tabori, Facharzt für Hygiene und Umweltmedizin, Gynäkologie, Geburtshilfe sowie Infektiologe, ist ärztlicher Direktor des Deutschen Beratungszentrums für Hygiene in Freiburg.

© promo

Man liest immer wieder, nicht die Toilette, sondern die Küche sei der Keimherd in einer Wohnung.

Das ist richtig und liegt schlicht daran, dass Sie in der Küche mit sehr vielen unterschiedlichen Substanzen hantieren: Fleisch, Fisch, Eier, mit Erdresten verschmiertes Gemüse. Jeder, der weiß, wie es in einem Schlachthof zugeht, weiß, dass das kein OP-Saal ist. Da werden die Därme von Rindern und Schweinen geleert und kommen mit dem Fleisch in Kontakt, das später verkauft wird. Untersuchungen haben gezeigt, dass mehr als drei Viertel des Geflügelfleisches aus herkömmlicher Masthaltung mit multiresistenten Erregern beispielsweise dem Darmbakterium Escherichia Coli besiedelt waren. Gehen Sie also getrost davon aus, dass auch Sie in Ihrer Küche sicher schon Fleisch mit resistenten Keimen verarbeitet haben – auch wenn nicht alle dieser Keime krankmachend sein müssen. Der äußerliche Kontakt ist an sich unproblematisch, solange die Keime nicht in unseren Körper oder an Wunden gelangen. Allerdings kontaminiert das Stück Fleisch die Kontaktflächen: das Schneidebrett, das Messer und vor allem Ihre Hände. Und über diese auch die Kühlschranktür, wenn Sie noch schnell was rausholen wollen. Die fasst kurz darauf jemand anderes an und schon hat er die Keime an den Fingern. Der Weg über Augen, Nase und Mund in den Körper ist dann kurz.

Genau genommen darf ich das Fleisch also nicht essen, wenn ich nicht das Risiko eingehen will, an einen pathogenen Keim zu geraten?

Doch, natürlich dürfen Sie das Fleisch essen, wenn es durchgegart ist. Außerdem senken Sie das potenzielle Infektionsrisiko, indem Sie eine akribische Küchenhygiene einhalten. Und immer wieder Hände waschen. Das ist generell eine der wichtigsten Maßnahmen zum Schutz vor Krankheiten. Ich komme mir manchmal geradezu schon blöd vor, das immer wieder zu predigen, aber es ist auch erstaunlich, wie wenig Vorstellungskraft manche Menschen haben, wenn es um Keim- und Infektionsübertragungen geht. Wären Bakterien und Viren für uns sichtbar und hätten sie das Aussehen einer Hauswinkelspinne oder Tarantel, müssten wir diese Händehygienepredigt sicher nicht ständig wiederholen. Also noch einmal: wichtig ist Fleisch, Fisch und Eierspeisen gut durchgaren. Dabei werden die Keime, die sich am und im Fleisch befinden, zerstört. Schon Luther predigte: Iss, was gar ist – trink, was klar ist – red’, was wahr ist. Er hatte sehr recht.

Was ist mit einem Steak medium?

Ich möchte wirklich niemandem vorschreiben, was er wie zu essen hat. Meine Aufgabe ist zu informieren, sodass jeder über mögliche Risiken Bescheid weiß und selbst entscheiden kann. Ich selbst bin aber kein Freund von rohem Fleisch, denn es kann Keime und Parasiten auf den Menschen übertragen. Pilze sollten ebenfalls gut gegart werden, sie sind sehr empfänglich für Schimmelpilze und Bakterien. Und ansonsten gilt: Halten Sie einfach Ihre Küche sauber.

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Was mache ich mit Geschirrtüchern und Spülschwämmen?

Die geben Sie am besten mehrmals pro Woche in die Waschmaschine. In einem Spülschwamm verbleiben immer Reste von Eiweiß und Fett, auch wenn Sie den von Hand ausspülen. Dazu ist er feucht und im Warmen, ein Paradies für Bakterien und Pilze. Weil er in seinem Inneren praktisch nie richtig austrocknet, kann die Zahl der Keime bereits nach kurzer Zeit exponentiell anwachsen – heißt ,explodieren‘. Untersuchungen haben pro Gramm Spülschwamm mehr als 300 Millionen Keime gefunden. Zum Vergleich: Pro Quadratzentimeter Toilettensitz wurden unter 300 Keime gezählt.

Okay, das ist ein Argument.

Und noch lange nicht alles. Denn während unter den Bakterien auf dem Toilettensitz etwa fünf Prozent coliforme, also Darmbakterien, waren, lag deren Zahl im Spülschwamm bei knapp 80 Prozent. Deshalb gehört so ein Spülschwamm regelmäßig in die Wäsche – am besten bei 60 Grad. Ganz sicher geht, wer ein Vollwaschmittel verwendet. Dann arbeiten beim Waschvorgang in der Maschine neben der hohen Temperatur, den waschaktiven Substanzen und der starken Verdünnung auch noch Sauerstoffabspalter als Aufheller mit, die gleichzeitig desinfizierend wirken.

Keime auf Fleisch, Fisch und Gemüse, ein permanent verseuchter Spülschwamm. Da scheint es doch absolut sinnvoll, wenigstens in der Küche alles ordentlich zu desinfizieren.

Wer desinfiziert, reduziert für ein kurzes Zeitintervall die Menge der vorhandenen Keime, indem er einige abtötet, sodass keine akute Infektionsgefahr besteht. Hinzu kommt, dass gar nicht alle Stellen etwas abkriegen, wenn Sie einfach drübersprühen; ein Teil des Biozids landet mit der Atemluft in der Lunge. Doch eine saubere, trockene Oberfläche ist der natürliche Feind von Keimen. Das schaffen Sie spielend mit einem normalen umweltschonenden Haushaltsreiniger oder einer guten Handwaschseife. Da muss nichts aggressiv oder antibakteriell sein.

Für den Kühlschrank werden Stäbchen gepriesen, die man einmal knickt, reinhängt und die dann einen Monat lang dafür sorgen, dass die Lebensmittel länger frisch bleiben, weil sich Keime weniger schnell vermehren.

Der dort verwendete Stoff ist das Biozid Chlordioxid, das bei Raumtemperatur zu einem giftigen Gas wird. Um wirken zu können, muss es sich in einer gewissen Konzentration im Kühlschrank anreichern und kommt dabei regelmäßig mit den Nahrungsmitteln in Kontakt und kann eindringen. Vor wenigen Jahren war der Aufschrei groß, als bekannt wurde, dass Hühnchenfleisch mit Chlorlösung desinfiziert worden ist. Aber jetzt hängt man sich die verteufelte Substanz in den Kühlschrank? Können Sie mir diesen Widerspruch erklären?

Wenn da doch die Keime sind?

Die ureigene Aufgabe des Kühlschranks ist es, das Keimwachstum zu hemmen. Das gelingt auf natürliche Weise, wenn die Temperatur im Kühlschrank zwischen vier und sieben Grad Celsius liegt. Salmonellen zum Beispiel bilden bei Zimmertemperatur innerhalb von rund 30 Minuten eine neue Generation. Im Kühlschrank brauchen sie dafür jedoch fünf bis sechs Mal länger. Dort ist es für ein Bakterium einfach nicht gemütlich, es teilt sich nicht mehr so eifrig. Wenn Sie jetzt noch darauf achten, die Flächen im Kühlschrank sauber zu halten und zum Beispiel Butterflecken zügig beseitigen, brauchen Sie sich innerhalb des empfohlenen Aufbewahrungszeitraumes bei bestimmungsmäßigem Umgang mit den Lebensmitteln um das Keimwachstum keine Sorgen zu machen.

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Wie sieht es aus mit antimikrobieller Sportkleidung oder Unterwäsche? Die Sachen stinken dann nicht so schnell.

All diese antimikrobiell beschichteten Bekleidungsprodukte sind meiner Meinung nach blanker Unsinn. Wenn Sie Sport machen, schwitzen Sie. Fühlen Sie sich denn in durchschwitzter Unterwäsche wohler, weil sie vielleicht etwas weniger riechen, weil die eingebrachten Nanosubstanzen das Keimwachstum im besten Fall etwas eindämmen? Das ist in etwa so, als wenn man das Badezimmer dick mit Raumspray überzieht, nachdem jemand auf der Toilette war. Der Dreck und meist auch der Geruch sind ja dennoch da. Ich sehe den wirklichen Nutzen nicht. Vielmehr sehe ich eher die Gefahr, dass wir uns leichtfertig mit Substanzen in Berührung bringen, von denen wir noch nicht wissen, welchen Einfluss sie langfristig auf unsere Körperzellen und unser Wohlergehen haben.

Gesetzt den Fall, ich nehme es mit dem Putzen und Spülschwammwaschen nicht so genau: Wie groß ist die Gefahr, die von Keimen ausgeht?

Das lässt sich nicht pauschal beantworten, sondern hängt vom Keim und den Umständen ab. Holt man sich Salmonellen, wird das womöglich unangenehm und für ein Kleinkind, ältere Menschen oder solche mit einem schwachen Immunsystem schnell auch lebensgefährlich. Holt man sich einen multiresistenten Escherichia Coli, macht der Ihnen im gewöhnlichen Alltag wahrscheinlich zunächst gar nichts. Aber es kann auch sein, dass sie den Keim irgendwo an den Händen spazieren tragen, wenn sie in den nächsten Tagen zum Blut abnehmen oder zu einer Untersuchung ins Krankenhaus müssen – dort jedoch können ein paar hygienisch unachtsame Handgriffe genügen, und der Keim gelangt in Lunge oder Blutbahn, was dann durchaus sehr problematisch werden kann. Wenn Sie normal putzen und alle besprochenen Maßnahmen einhalten, dann müssen Sie als immunkompetenter Mensch keine unnötige Angst haben. Und obwohl oft das Gegenteil behauptet wird: Aus Sicht der Infektionsprävention spielt es keine große Rolle, wie oft Sie Ihre Bettwäsche wechseln.

Claudia Füßler

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