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Alltag im Ausnahmezustand. Schwer bewaffnete Freikorps-Milizen gehen am 13. März 1920 auch am Leipziger Platz in Stellung – das Berliner Leben geht weiter.

© ullstein bild via Getty Images

Ein Generalstreik stoppte sie: Vor 100 Jahren probten Rechtsextremisten den Staatsstreich in Berlin

Vor 100 Jahren ereignete sich der Kapp-Putsch in Berlin. Damals tauchte erstmals das Hakenkreuz im Stadtbild auf. Preußische Beamte halfen, die Nazis zu stoppen.

Das war knapp. Nur zehn Minuten, nachdem Reichspräsident Friedrich Ebert, Reichskanzler Gustav Bauer und die meisten Regierungsmitglieder aus der Reichskanzlei in der Wilhelmstraße geflohen waren, stürmten die Putschisten das Gebäude. Vorneweg der Mann, der dem am 13. März 1920 anrollenden Staatsstreich seinen Namen gab: Wolfgang Kapp, Generallandschaftsdirektor in Ostpreußen, also eine Art Regierungspräsident, im Krieg einer der Gründer der Deutschen Vaterlandspartei, später der republikfeindlichen Nationalen Vereinigung.

Unterstaatssekretär Albert trat ihnen entgegen, ein Augenzeuge hat die skurrile Begegnung geschildert: „Herr Kapp lüftete ein wenig den Filzhut und sagte auf die Frage des Herrn Unterstaatssekretärs Albert, was die Herren wünschten: ,Wir ergreifen die Regierungsgewalt.‘ Auf die Frage des Herrn Unterstaatssekretärs: ,Auf Grund welcher Legitimation?‘ erwiderte er: ,Mit dem Recht des 9. November 1918.‘“

Im kollektiven Gedächtnis Berlins spielt der Kapp-Putsch, wie er meist genannt wird, anders als etwa die Novemberrevolution 1918 und die Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, keine große Rolle – obwohl bei diesem Staatsstreich das Hakenkreuz, auf die Helme der putschenden Soldateska gemalt, erstmals im Stadtbild eine dominierende Rolle spielte und auch Adolf Hitler aus München angeflogen kam und seine Dienste als Trommler anbot, allerdings vergeblich.

Immerhin, es gibt einige Gedenksteine für die Opfer, so am Köpenicker Futranplatz, benannt nach dem dortigen USPD-Stadtverordneten Alexander Futran, der am 20. März 1920 mit vier Leidensgefährten von einem Standgericht der Reichswehr zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde.

Einer der Putschisten hatte schon Luxemburg und Liebknecht auf dem Gewissen

Der Staatsstreich, dessen Beginn sich an diesem Freitag zum 100. Mal jährt, kam nicht aus heiterem Himmel. Ein Putschversuch im Juli 1919 durch Hauptmann Waldemar Pabst – er hatte bei der Ermordung von Luxemburg/Liebknecht die entscheidende Rolle gespielt – war schon in den Ansätzen gescheitert, der politische Frieden blieb aber instabil und wurde nach dem Inkrafttreten des Versailler Friedensvertrages am 10. Januar 1920 zunehmend brüchig.

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Darin war die Stärke der Reichswehr auf 100 000 Mann begrenzt worden, was für viele Soldaten das Ausscheiden aus dem Dienst bedeutete und – wichtiger noch – für die führenden Köpfe der Reaktion die Auflösung ihrer jeweiligen Hausmacht. Für Männer wie Walther von Lüttwitz, den ranghöchsten General der Reichswehr und Befehlshaber für Berlin und Umgebung, nicht hinnehmbar.

Besonders die von Reichswehrminister Gustav Noske, wenn auch mit Bedauern, verfügte Auflösung zweier Freikorps, der Marinebrigaden Ehrhardt im Lager Döberitz und Loewenfeld in Schlesien und Kiel, ergrimmte ihn so sehr, dass er öffentlich drohte, das werde er nicht zulassen – ohne dass er zur Rechenschaft gezogen worden wäre. Sein Zorn gipfelte am 10. März in einem Ultimatum gegenüber Ebert, von dem er Neuwahlen und die Einsetzung von Fachministern verlangte. Auch seien die Marinebrigaden zu erhalten, er selbst wolle Oberbefehlshaber der Reichswehr werden, während Ebert und Noske im Amt bleiben sollten, mit diktatorischen Vollmachten.

Das allein hätte für eine Verhaftung gereicht, doch als einzige Reaktion wurde Lüttwitz das Oberkommando über die beiden Marinebrigaden entzogen und dem Marinechef Adolf von Trotha übertragen. Keine gute Wahl: Auch Trotha gehörte zu den Verschwörern.

Die hatten längst Vorbereitungen getroffen, sich der Neutralität der paramilitärischen Sicherheitspolizei versichert. Die führenden Köpfe waren neben Lüttwitz und Kapp der Befehlshaber der 5000 Mann starken Brigade in Döberitz, Kapitänleutnant Hermann Ehrhardt, sowie Hauptmann Waldemar Pabst und Oberst Max Bauer von der Nationalen Vereinigung.

Noske blieb deren Treiben nicht verborgen. Er enthob Lüttwitz am 11. März seines Amtes, stellte Haftbefehle unter anderem gegen Kapp und Pabst aus, konnte den Putsch damit aber nicht mehr stoppen. Immerhin ließ die drohende Verhaftung Papst in Panik Berlin verlassen, er entfiel so für die ihm zugedachte Aufgabe des obersten Organisators – die Front der Putschisten zeigte erste Risse, bevor sie überhaupt zur Tat schritten.

Wolfgang Kapp flieht nach dem gescheiterten Putsch in einem Flugzeug nach Schweden.
Wolfgang Kapp flieht nach dem gescheiterten Putsch in einem Flugzeug nach Schweden.

© picture-alliance / dpa

Das taten sie in der Nacht auf den 13. März. Mit klingendem Spiel und schwarz-weiß-roten Fahnen, am Helm das Hakenkreuz, marschierte die Brigade Ehrhardt in Döberitz ab, nahm ihren Weg über die heutige Bundesstraße 5 nach Spandau, weiter auf der Heerstraße und der Charlottenburger Chaussee, der heutigen Straße des 17. Juni, Richtung Brandenburger Tor und Wilhelmstraße.

"Truppe schießt nicht auf Truppe"

In der Reichskanzlei herrschte panische Aufregung. Um 4 Uhr morgens trat das Kabinett zusammen, beriet hektisch, was zu tun sei. Militärische Gegenmaßnahmen? Ausgeschlossen. General Hans von Seeckt, Chef des Truppenamtes, hatte klargestellt, dass seine Soldaten dafür nicht zu Verfügung ständen: „Truppe schießt nicht auf Truppe.“ Auch die Sicherheitspolizei verweigerte sich. „Die SPD-Führungsriege stand vor den Trümmern ihrer Militärpolitik. Sie hatte komplett versagt und war bankrott“, bilanziert der Historiker Klaus Gietinger in seinem neuen Buch, das den Verlauf des Putsches detailliert schildert (Klaus Gietinger: Kapp-Putsch. 1920 – Abwehrkämpfe – Rote Ruhrarmee. Schmetterling-Verlag, Stuttgart. 328 Seiten, 19,80 Euro).

Als letzte Option blieb der Regierung nur die Flucht.

Die Regierung floh fast in letzter Minute

Sie gelang in fast letzter Minute, überwiegend per Auto, zwei Minister nahmen die Bahn. Zurück blieb Vizekanzler Eugen Schmidt von der linksliberalen DDP, als Repräsentant der Regierung, möglicher Verhandlungspartner und, wie er schrieb, „um den Anschein zu vermeiden, als ob die Regierung geflüchtet sei und abgedankt habe“.

Das übrige Kabinett begab sich zunächst nach Dresden, später, weil auch der dort kommandierende General ihm wenig gewogen war, nach Stuttgart. Immerhin hatten es die SPD-Mitglieder der Regierung, vorneweg Ebert und Bauer, noch geschafft, zum Generalstreik aufzurufen, was sie später, voller Angst vor der eigenen Courage, zu bestreiten suchten.

Dem schlossen sich noch am 13. März der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund (ADGB) und die Arbeitsgemeinschaft freier Angestelltenverbände (Afa) an, tags darauf auch die Beamtenbünde und die Eisenbahnergewerkschaften. Kapp, der sich zum Reichskanzler erklärt hatte, drohte für Streikführer und Streikposten die Todesstrafe an, konnte aber nicht verhindern, dass das wirtschaftliche und öffentliche Leben in Berlin und dem Reichsgebiet am 15. März, dem Montag nach dem Putsch, zusammenbrach

Es zeigte sich nun schnell, dass er selbst, der als Reichswehrminister auftretende Lüttwitz und die anderen Putschisten weder umsetzbare Pläne noch nennenswerten Rückhalt in der Bevölkerung hatten, weder in Berlin noch im Reichsgebiet, auf das Putsch und Streik rasch übergriffen, mit blutigen Folgen.

Schon an den ersten Tagen hatte es in Berlin Tote gegeben, als Soldaten der Brigade Ehrhardt am Halleschen Tor, am Wilhelmsplatz in Charlottenburg, am Potsdamer Platz und in Steglitz selbst mit Maschinengewehren in die sich sammelnde Menschenmenge geschossen hatten. Die Antwort darauf war nicht nur der passive Widerstand des Streiks. In der Hauptstadt selbst, noch in ihren Grenzen vor der Bildung von Groß-Berlin, war gegen die allmächtigen Putschisten militärisch wenig auszurichten. In umliegenden, gerade den industriell geprägten Gemeinden aber bildeten sich Aktionsgruppen, bemächtigten sich der Waffen von republikfeindlichen Einwohnerwehren und Reichswehrabteilungen.

Die Reichsbank rückte für die Putschisten kein Geld raus

Der Streik legte mittlerweile das Leben in Berlin völlig lahm, die Beamten verweigerten die Zusammenarbeit mit den Putschisten, und die Reichsbank rückte für sie kein Geld heraus. Schon am 17. März gab erst Kapp auf und setzte sich per Flugzeug nach Schweden ab. Lüttwitz folgte seinem Beispiel wenige Stunden später.

Der Streik war damit nicht zu Ende, auch wenn Vizekanzler Schiffer in Berlin und die SPD-Oberen um Ebert in Stuttgart dies forderten. Die organisierten Arbeiter, Angestellten und Beamten dachten nicht daran aufzuhören, verlangten stattdessen Entwaffnung der unzuverlässigen Truppen, eine grundlegende Neuordnung der politischen Verhältnisse, sodass ein neuer Putsch unmöglich würde. Als Antwort verhängte Seeckt, mittlerweile oberster Kommandeur der Reichswehr, den verschärften Ausnahmezustand.

Beim Putsch starben in Berlin etwa 200 Menschen

In den folgenden Tagen kam es in Spandau, Hennigsdorf, Köpenick, Adlershof und Grünau zu blutigen Gefechten zwischen den bewaffneten Streikenden und der nun wieder der Regierung ergebenen Reichswehr, denen illegale Standgerichte folgten. Insgesamt sollen in Berlin etwa 200 Menschen im Zusammenhang mit dem Kapp-Putsch das Leben verloren haben, im gesamten Reich und besonders im Ruhrgebiet waren es weitaus mehr. Insgesamt habe der Umsturzversuch mindestens 2500 Menschen das Leben gekostet, schreibt Klaus Gietinger

Erst am 23. März erging vom ADGB-Vorstand der Aufruf, den Streik zu beenden. Drei Tage später wurde eine neue Regierung unter SPD-Kanzler Hermann Müller gebildet, Noske und Schiffer waren nicht mehr dabei. Bei der Wahl am 6. Juni erlitt die bisherige Koalition aus SPD, DDP und Zentrum eine schwere Niederlage, Kanzler einer Minderheitsregierung wurde der Zentrumspolitiker Constantin Fehrenbach.

Und die Putschisten? Kapp stellte sich 1922 dem Reichsgericht in Leipzig, erlag aber vor Prozessbeginn einer Krebserkrankung. Lüttwitz war nach Ungarn geflohen. Nach einer Amnestie 1925 kehrte er unbehelligt zurück.

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