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Die Finanzierung für den Rückkauf des Stromnetzes soll über Konsortien und Investitionsbank Berlin erfolgen.

© Christoph Soeder/dpa

„Ein echter Player auf dem Energiemarkt“: Abgeordnetenhaus stimmt Rückkauf des Berliner Stromnetzes zu

Mit dem Schritt des Rückkaufs verspricht die Koalition eine bessere Energiewende. Man wolle so Energiehandlungsspielräume zurückbekommen.

Von Sabine Beikler

„Das Stromnetz wird wieder ein Berliner“ lautete das Thema der Aktuellen Stunde am Donnerstag im Abgeordnetenhaus. Das Parlament beschloss mit den Stimmen der rot-rot-grünen Koalition den Kauf des Stromnetzes.

Den Haushalt werden die Kosten in Höhe von 2,1 Milliarden Euro nicht belasten. Wie Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) bereits im Hauptausschuss sagte, soll die Finanzierung von 1,2 Milliarden am Kapitalmarkt über Konsortien, 900 Millionen Euro über die Investitionsbank Berlin erfolgen. Kollatz sprach von einer längerfristigen Finanzierung von mehr als zehn Jahren. Für die Verbraucher soll es durch den Kauf keine Kostensteigerungen geben.

Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende und energiepolitische Sprecher, Jörg Stroedter, lobte den Stromnetzkauf, mit dem Berlin Energiehandlungsspielräume zurückbekomme und Vermögen für künftige Generationen aufbaue. Berlin werde „ein echter Player auf dem Energiemarkt“. Der Rückkauf sei auch die richtige Antwort auf Fridays for Future-Aktivisten.

Die 1300 Mitarbeiter erwirtschafteten im Vorjahr 95 Millionen Euro Gewinn, der künftig Berlin zugute kommt. Die Belegschaft werde übernommen. „Am Kündigungsschutz ändert sich nichts, Tarifverträge behalten ihre Gültigkeit.“

Das gelte auch für Servicemitarbeiter. Als Vorsitzender des Beteiligungsausschusses begrüßte Stroedter die Mitarbeiter des künftigen landeseigenen Unternehmens: „Sie werden sicher zufrieden sein“, sagte er. Das Modell, was sich bei der Rekommunalisierung Wasser bewährt hat, sei auch beim Strom anzuwenden.

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Zum Kaufpreis von 2,1 Milliarden Euro sagte Stroedter: „Wir bleiben unter dem branchenüblichen Marktwert von 2,2 Milliarden Euro.“ Es gebe „keine besonderen Risiken“, sagte er mit Bezug auf die Finanzierung. Er stellte genossenschaftliche Anleihen in Aussicht. Der nächste Schritt nach der Rekommunalisierung des Wassers sei dieser Kauf: „Wir holen uns diese Stadt zurück.“

CDU: Investition ins Stromnetz ist falsch

Für die CDU sprach der Abgeordnete Christian Gräff. „Wir haben eine gute Grundversorgung in Berlin.“ Aber wie solle Klima- und Energiepolitik gestaltet werden? Die IBB habe wichtigere Aufgaben als die anteilige Finanzierung des Stromnetzes zu übernehmen. Die 2,2 bis 2,4 Milliarden Euro könne man auch anderweitig für den Klimaschutz verwenden. „Für die Energiewende werden wir ein Vielfaches dessen benötigen, was wir jetzt haben. Nämlich 400 bis 600 Millionen Euro“, sagte Gräff zu dem durchschnittlichen Gewinn von jährlich 90 Millionen Euro durch das Stromnetz.

Um die Netzleistung zu steigern, müsse man in den Verteilernetzen rund 50 Prozent mehr Netzausbau betreiben. Er attackierte die Grünen, die „immer nur eindimensional denken“. Verbände würden gegen die Mobilitätswende klagen, es müsse massiv in den Ladeausbau investiert werden. „Da haben Sie nahezu geschlafen“, kritisierte er die Grünen. Beim Thema Klimaneutralität brauche man ein „Riesen-Programm zur energetischen Sanierung.“ Stattdessen werde das Energiewendegesetz vertagt. Ein Solargesetz werde geschaffen mit verpflichtenden Solaranlagen statt den Bürgern Förderprogramme anzubieten. Das Geld für den Stromnetzkauf sei deshalb falsch investiert.

AfD kritisiert „Verstaatlichung“ des Netzes

AfD-Haushaltspolitikerin Kristin Brinker kritisierte die „Verstaatlichung“ des bisher gut funktionierenden Stromnetzes. Brinker erinnerte an die Teilprivatisierung der Wasserbetriebe, die steigende Gebühren nach sich zogen. „Die Rekommunalisierung der Wasserbetriebe war deshalb lediglich eine Korrektur.“ Als Unternehmer habe sich das Land Berlin „wahrlich nicht mit Ruhm bekleckert“.  Und ob bei der Finanzierung die Kreditzinsen auf Dauer so niedrig bleiben, wage sie zu bezweifeln. Brinker glaubt auch nicht an die angekündigte Transparenz des geplanten landeseigenen Stromnetz-Unternehmens. „Eine Verstaatlichung halten wir für falsch, wir sehen haushalterische Risiken und befürchten, dass eine stabile Stromnetzabdeckung durch politische Entscheidungen nicht mehr gewährleistet werden kann“, sagte Brinker.

FDP: Stromnetz kann Energiewende nicht steuern

Der FDP-Abgeordnete Henner Schmidt sagte, das Energiewirtschaftsgesetz verlange, dass das Netz immer wieder ausgeschrieben werden müsse. Die Energiewende sei nicht abhängig davon, was dem Staat gehöre. „Sie wollen politische Fragen auf Eigentumspolitik reduzieren“, sagte Schmidt. Durch einen Eigentümerwechsel ändere sich „gar nichts“, die Energiewende könne nicht durch das Stromnetz gesteuert werden.

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Als ein negatives Beispiel nannte er die rekommunalisierten Wasserbetriebe: „Es läuft immer noch Schmutzwasser in die Spree, die Kosten sind immer noch zu hoch.“ Eine gute Lösung wäre, alle Akteure an einen Tisch zu bringen und eine gemeinsame Idee für die künftige Energieversorgung und Klimapolitik zu erarbeiten. Das sei die Aufgabe für den nächsten Senat.

Linke: Daseinsvorsorge gehört in öffentliche Hand

Michael Efler von den Linken sagte, acht Jahre nach dem Volksentscheid des Energietisches wickle Berlin eine der größten Rekommunalisierungen ab. Das sei ein Grund zu Feiern. Bisher habe der Anschluss von Solaranlagen mit dem Netzbetreiber zu lange gedauert. „Die Solaranlagen müssen unbürokratisch ans Netz.“ Ein kommunaler Netzbetreiber könne beim Ausbau des Netzes und der Ladeinfrastruktur helfen. „Daseinsvorsorge gehört in öffentliche Hand“, sagt er. Die Einwände, das sei alles viel zu teuer, könne er nicht gelten lassen.

Der Kaufpreis sei refinanzierbar und orientiere sich am Ertragswert. Strom werde bei der Energiewende eine zentrale Rolle spielen. Die zwei Milliarden Euro plus x seien kreditfinanziert zu günstigen Zinskonditionen und gingen nicht zu Lasten anderer Investitionen. Auch die Gasag solle in Landeshand kommen, perspektivisch auch das Wärmenetz. „Wir holen unsere Stadt zurück“, sagte Efler.

Grüne wollen genossenschaftliche Netzbeteiligung

Grünen-Energiepolitiker Stefan Taschner erinnerte an die ersten Aktivisten des Energietisches, um die Rekommunalisierung voranzubringen. „Es ist geschafft. Wir haben ein starkes grünes Energiestadtwerk geschaffen. Heute holen wir uns das Stromnetz zurück.“ Damit würden klimaschutzpolitische Ziele vorangebracht. Gewinne aus dem Stromnetz sollten für Förderprogramme verwendet werden.

Mit dem Stromnetz habe man ein wichtiges Werkzeug für die Klimawende erhalten, damit könne man „Energiearmut“ und Stromsperren bekämpfen. Diese sollte es vor Feiertagen oder Brückentagen künftig auch nicht mehr geben. Eine genossenschaftliche Beteiligung und Mitspracherecht am Netz wolle man realisieren. Erste Schritte dahin müsse der Senat machen.

Beim Kauf gehe um es um ein 36.000 Kilometer langes Stromnetz

Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) sagte, beim Kauf gehe es um 2,4 Millionen Kunden und ein 36.000 Kilometer langes Stromnetz. Eine zentrale Bedeutung des Kaufs habe der Vermögensaufbau und die Beendigung der rechtlichen Auseinandersetzung mit Vattenfall im Stromnetzkonzessionsverfahren. „Die Zeit hat sich geändert im Bewusstsein, was kritische Infrastrukturen sind.“ Die Bürger wollten die Rekommunalisierung mit breiter Mehrheit. Kollatz betonte, die Bedeutung des Stromnetzes werde für die Energiewende wachsen. „Der kommunale Netzbetreiber hat eine stärkere Innovationsmöglichkeit und -verpflichtung.“

Vattenfall soll langfristiger Partner bleiben

Die Energieholding und das Stromnetz Berlin als wichtigster Teil dieser Energieholding werden die Entwicklung ganzheitlicher und spartenübergreifender Energiekonzepte übernehmen. Die Speichermöglichkeiten müssten ausgebaut werden. Das Stromnetz werde besser als es ist durch den Ausbau mit intelligenter Technik. Und Vattenfall werde langfristiger Partner beim Thema Wärme bleiben.

Durch die vollständige Fremdfinanzierung werde der Haushalt nicht belastet, Zinssätze würden für mindestens zehn Jahre vereinbart. „Sie wissen alle, kommunale Akteure können sich zu günstigeren Konditionen refinanzieren.“ Zusammenfassend sagte er: „Es lohnt sich das Vattenfall-Angebot anzunehmen.“ So ein großes und komplexes Projekt habe es bisher in Deutschland noch nicht gegeben. „Lassen Sie uns heute diese Stadtrendite einfahren.“

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