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Yigit Muk, 27, ist Deutschlands Karriere-Migrant. Nun hat er ein Buch über sein Leben geschrieben.

© promo

Ehemaliger Gang-Rabauke aus Berlin: „Niemand dachte auch nur an Abitur“

Yigit Muk aus Neukölln wurde vom Hauptschul-Proll zum Einser-Schüler und Studenten. Im Interview - und einem Buch - erzählt er von seiner Lebenswende und der Lust am Lernen.

Herr Muk, was verbinden Sie mit dem Märchen vom kleinen Muck, der von seinem Vater geschlagen, von seiner Umgebung niedergemacht wurde und mit Zauberpantoffeln durchstarten konnte? Äußerlich sind Sie ja so klein nicht.

Ich weiß nur, dass er sehr schnell gewesen ist.

Ihre Zauberpantoffeln haben Sie in der Schule gefunden – und gelernt, als Ihre Freunde nur ans schnelle Geldverdienen dachten. Immer noch Lust, dazuzulernen?

Definitiv! Und das ist sehr unnatürlich. Bei John Locke ....

... dem „Vater des Liberalismus“ ...

... heißt es, dass man bis zum Alter von vier das meiste gelernt hat. Und ich habe erst mit dem Abi, mit 24, Freude am Lernen entwickelt.

Sie sind vom Sitzenbleiber zum Überflieger geworden – oder waren Sie schon immer so zielstrebig und keiner hat’s gemerkt?

Ich hatte früher gar keine Ziele, außer gut Fußball zu spielen und Respekt auf der Straße zu bekommen. Nicht nur Rangeleien – es ging darum, jemanden komareif zu schlagen. Meistens bin ich nicht erwischt worden, einmal musste ich Strafsozialarbeit machen. Ich hatte Potenzial, aber ich kannte damals niemanden, der an Abitur überhaupt gedacht hätte.

Was war der Knackpunkt für Ihre Lebenswende?

Als ich 16 war und mein Alltag aus Messerstechereien bestand, ist ein Freund an Leukämie gestorben. Das war der erste Anstoß für mich, nachzudenken. Durch die Gebete am Totenbett habe ich die Nähe zum Islam gefunden, auch mit meiner Mutter darüber reflektiert. Es war mir dann auch wichtig, ihr zu gefallen. Und in der 9. Klasse war ich dann schon Jahrgangsbester der Schule.

Jetzt geben Sie Ihrer Generation Ratschläge. Woher ist das Selbstbewusstsein gekommen?

Selbstbewusst war ich früher schon, habe mich auch für schlauer gehalten als andere. Aber jetzt rührt der Respekt, den ich mir verschaffe, daher, dass ich mit meiner Umgebung im Reinen bin. Ich gehe mit einem Lächeln durchs Leben, früher mit bösem Blick.

Dann ist aus Ihnen ein bürgerlicher Traumschwiegersohn geworden?

Auch damals fanden mich die Eltern meiner Freunde ziemlich gut, ich wusste mich zu verkaufen.

Ihre Mutter wollte, dass Sie Arzt werden, Sie studieren Wirtschaft.

Bei den Türken heißt es, Arzt oder Anwalt werden, dann hast du es geschafft. Bei der Unterschicht geht es dabei nur um den Zaster, doch mit dem Abi habe ich gemerkt: Es geht mir nicht ums Geld. Mir macht es riesige Freude, mich mit Wirtschaft zu befassen. Die ist unserem System so zentral, sie kann uns zum Abgrund führen oder zum Fortschritt. Ich bin im 5. Semester, am meisten Spaß macht mir Rechnungswesen. Aber ich weiß, dass es danach interessanter wird. Mich würde Strategieberatung interessieren, schließlich möchte ich ein Unternehmen mit sozialer Zielsetzung gründen.

Rümpfen Ihre ehemalige Kumpels über Sie die Nase?

Für die bin ich der Held, viele machen es mir nach. Manche sind richtige Spießbürger geworden, einige im Gefängnis. Früher habe ich mich durch Gewalt profiliert, jetzt durch Anerkennung.

Können Sie sich vorstellen, dass noch einmal so ein dramatischer biografischer Bruch für Sie kommt?

Davor ist man nie geschützt. Ein Todesfall im Familienkreis oder Alkohol ... Ich habe, seit ich 15 war und betrunken einen Mitschüler mit zwei fehlgebildeten Händen verprügelte, keinen Alkohol mehr getrunken, so sehr habe ich mich damals geschämt. Aber auch wenn man abstürzt: Es öffnen sich immer wieder Türen, das Vertrauen habe ich.

Ist Ihre Karriere ein Modell für all die Flüchtlinge, die jetzt bei uns durchstarten könnten?

Ich hoffe, sie nehmen mich als Bezugsperson, ich steckte ja in denselben Pantoffeln wie sie.

Was machen Sie in Ihrem Verein „Outreach“, der sich um Neuköllner Jugendliche kümmert?

Ich coache, ich bin Mentor, ich motiviere.

Wie würden Sie als Politiker an die riesige Integrationsaufgabe herangehen?

Nicht wie in den Sechzigerjahren! Nicht alle an einem Fleck, sondern auf viele Schulen und Bezirke verteilen: Das Lernen der Sprache ist der Schlüssel. Und: sich an Gesetze halten! Den american dream auf Deutschland übertragen: Du kannst etwas aus dir machen.

Was ist Ihr mittelfristiges Ziel, abgesehen vom Weltfrieden?

Dass dieses Buch viele erreicht.

Sehen Sie das als Ratgeberliteratur? Als Bildungsbiografie?

Es geht darum, wie ich wieder hochkommen kann, wenn ich mal abrutschen sollte.

„Muksmäuschenschlau. Wie ich als Hauptschulproll ein Abi mit 1+ hinlegte“ erscheint bei Bastei Lübbe, ist 252 Seiten dick und kostet 9,99 €.

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