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Rot gesehen. Zuletzt wurden an der Onkel-Tom-Straße Schilder übermalt.

© Kitty Kleist-Heinrich

Diskussion über Umbenennung von „Onkel Toms Hütte“: „Jede Generation liest den Roman anders“

US-Historikerin Briann Greenfield spricht im Interview über die „Onkel Toms Hütte“-Diskussion in Berlin – und äußert Verständnis für die Umbenennungs-Petition.

Briann Greenfield ist Historikerin und Direktorin des Harriet Beecher Stowe Centers, das an Werke, Leben und Vermächtnis der Autorin von „Onkel Toms Hütte“ erinnert. Am kommenden Montag um 18.30 Uhr wird Moses Pölking mit Tagesspiegel-Lesern über seine Petition diskutieren, die die Umbenennung des Bahnhofs "Onkel Toms Hütte" und der Onkel-Tom-Straße fordert.

Moderiert wird die Veranstaltung von Chefredakteur Lorenz Maroldt. Aufgrund der Corona-Abstandsregeln – und damit jeder zu Wort kommen kann – wird es nur eine begrenzte Anzahl an Plätzen geben. Wenn Sie mitdiskutieren möchten, schreiben Sie uns bitte bis Freitag (Freitag, 31. Juli) um 15 Uhr in einer E-Mail an checkpoint@tagesspiegel.de, warum Sie sich für die Debatte interessieren und was Ihr Standpunkt ist.

Frau Greenfield, derzeit wird in Berlin viel über eine Petition diskutiert, den U-Bahnhof „Onkel Toms Hütte“ umzubenennen. Wussten Sie überhaupt, dass es eine Station dieses Namens gibt?
Ich war sogar schon mal da, im Jahr 2018! Ich hatte gerade meinen Posten als Direktorin des Harriet Beecher Stowe Center angetreten und besuchte Berlin für eine Konferenz. Ich war so überrascht über den Namen, dass ich extra hingefahren bin, um mir das anzuschauen.

Gibt es Straßen, Plätze oder Institutionen in den Vereinigten Staaten, die in ihren Namen eine Verbindung zu dem Begriff „Onkel Tom“ tragen?
Vielleicht eine Handvoll. Einige werden jetzt ebenfalls umbenannt.

Wie verläuft die Diskussion in den USA?
In den Vereinigten Staaten unterscheidet man klar zwischen dem Begriff „Onkel Tom“ als Bezeichnung für einen Verräter an seiner Rasse und dem Roman „Onkel Toms Hütte“ als literarisches Werk. Es wird allgemein gewürdigt, dass der Roman eine große Rolle dabei gespielt hat, schwarze Sklaven einem weißen Publikum als Menschen näherzubringen und die Anti-Sklaverei-Bewegung voranzutreiben. Präsident Abraham Lincoln soll ja sogar der Meinung gewesen sein, ohne den Roman hätte es keinen Bürgerkrieg gegeben. Als sie sich kennenlernten, hat er angeblich zu Harriet Beecher Stowe gesagt haben: „Sie sind also die kleine Frau, die diesen großen Krieg angefangen hat.“

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Gibt es denn Straßen in den USA, die nach Harriet Beecher Stowe benannt sind?
Nicht dass ich wüsste. Aber „Stowe Street“ hat eine schöne Alliteration. „Stowe-Straße“ übrigens auch.

Der Berliner Moses Pölking hat die Petition zur Umbenennung der U-Bahn-Haltestelle gestartet.
Der Berliner Moses Pölking hat die Petition zur Umbenennung der U-Bahn-Haltestelle gestartet.

© Kitty Kleist-Heinrich

Verstehen Sie, warum der Berliner Moses Pölking sich von dem Namen „Onkel Toms Hütte“ beleidigt fühlt? Würden Sie seine Petition unterschreiben?
Ich verstehe seine Perspektive, ohne Frage. Auf jeden Fall bin ich der Meinung, dass wir eine Chance für ein besseres Bewusstsein verpassen, wenn wir uns nicht die Zeit nehmen, die Geschichte zu untersuchen.

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Was heißt das für den Fall Onkel Tom?
Stowe hat Onkel Tom als Helden ersonnen. Sie porträtiert ihn als christlichen Märtyrer, der sich lieber totschlagen lässt, als zwei Sklavinnen zu verraten, die sich vor ihrem sexuell übergriffigen und gewalttätigen Besitzer verstecken. Wir haben uns aber weit von der religiösen Kultur des 19. Jahrhunderts entfernt, vor deren Hintergrund Stowes Christus-ähnliche Figuren entstanden sind. Jede Generation liest und interpretiert den Roman anders, beeinflusst durch eigene Erfahrungen, soziale Bewegungen, Anti-Rassismus-Proteste.

Briann Greenfield, Direktorin des Harriet Beecher Stowe Centers.
Briann Greenfield, Direktorin des Harriet Beecher Stowe Centers.

© promo

Ist die Figur des Onkel Tom also historisch komplett überholt?
Ich glaube nicht, dass Stowes Absichten mit dem Charakter Onkel Tom in der heutigen Zeit wiederbelebt werden können. Aber wir brauchen immer noch Beispiele dafür, dass Menschen sich gegen Ungerechtigkeit auflehnen und Mitgefühl zeigen, über Unterschiede hinweg. Stowe hat das getan, das hat auch heute noch eine Bedeutung.

Haben Sie eine Empfehlung für die Debatte, die derzeit in Berlin geführt wird?
Gehen Sie in die Tiefe! Lernen Sie mehr! Soweit ich das verstehe, befürchten Bewohner der Onkel-Tom-Siedlung, dass ihr Viertel einen Teil seiner Identität verliert, falls der Name geändert wird. Wie wäre es denn, wenn man den Gemeinsinn stärkt, mit einer großen Lesung von „Onkel Toms Hütte“ und einer anschließenden Diskussion? Wir vom Harriet Beecher Stowe Center in Hartford, Connecticut, wären gerne dabei behilflich.

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