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Pracht der Natur. Viele Aufnahmen des Fotografen Norbert Rosing sind in seinem nun erschienenen Bildband „Up here“ (Knesebeck Verlag) versammelt.

© Norbert Rosing

Eisbären-Fotograf Rosing: "Die Zootiere machen einen richtig guten Job"

Norbert Rosing fotografiert seit 30 Jahren wilde Eisbären. Ein Gespräch über die Faszination, die von den Tieren ausgeht, ihr Leben in Zoos und über Bilder, die niemand sehen will.

Herr Rosing, welches war Ihr schönstes und welches Ihr schlimmstes Erlebnis mit Eisbären?

Das schönste, als ich etwa acht Stunden bei minus 30 Grad vor einer Höhle gewartet hatte und dann tatsächlich ein kleines Eisbärjunges rauskam. Nicht schön war, als ich Zeuge wurde, wie ein Eisbär einen jüngeren tötete und ihn auffraß. Über diesen Kannibalismus wusste ich zu diesem Zeitpunkt nichts, er wird auch nicht oft thematisiert.

Ja, einige waren auch schockiert, als wir vermelden mussten, dass eines der beiden in Berlin geborenen Bärchen wahrscheinlich gestorben ist und von der Mutter gefressen wurde.
Das ist nun einmal die Natur. Ich finde es aber auch schade, dass es nicht mit der Aufzucht beider Tiere geklappt hat. Zwei Eisbärenjunge, die miteinander spielen, sind wirklich ein wundervoller Anblick. Naja, vielleicht beim nächsten Mal.

Sie haben damals die Patenschaft für einen der beiden Eisbären, die im Münchner Tierpark Hellabrunn geboren wurden, übernommen. Warum?
Der Tierpark suchte nach Paten, das hatte ich noch mitbekommen, bevor ich zu einer Reise nach Spitzbergen aufbrach, wo ich wilde Eisbären und auch Eisbärenjunge fotografierte. Als ich zurückkam, hatten die immer noch keinen Paten gefunden. Da hab’ ich mich kurzfristig entschlossen. Es passte einfach und ich durfte ja „meinem“ Bären sogar einen Namen geben.

Ihren Namen, oder?
Die einzige Bedingung war, dass er mit „N“ beginnen musste, wie bei allen anderen Tieren, die 2013 im Tierpark Hellabrunn geboren wurden. Da lag ja mein eigener Name nahe. Da Norbert aber irgendwie zu gewichtig klang, sollte der Kleine erst mal Nobby heißen. Natürlich ist es dabei bis heute geblieben.

Manche kritisieren, dass man Tieren Namen gibt. Man würde sie damit zu sehr vermenschlichen, heißt es.
Naja, man kann es auch übertreiben. Menschen haben Tieren schon immer Namen gegeben, vor allem ihren Haustieren. Soll man seinen Wellensittich statt „Hansi“ lieber „0042“ nennen? Aber auch bei Zoo- oder Zirkustieren finde ich das nicht schlimm. Ein Name gibt einem Tier doch auch eine Persönlichkeit.

Sie fotografieren seit 30 Jahren wilde Tiere, vor allem Eisbären. Warum?
Ich war mehrfach in Kanada und immer sagten die Einwohner: „Bleib’ doch hier, wenn die Eisbärensaison beginnt.“ Irgendwann hab’ ich das dann auch getan und als ich an einem grauen Tag im Oktober eine Schotterstraße lang fuhr, kam plötzlich ein riesiger Eisbär aus dem Gebüsch und stand vor meinem Auto. Das war schon Wahnsinn. Etwas später stand er auf einem leicht zugefrorenen See, tauchte unter den Eisschollen durch und schüttelte sich danach. Als die Wassertropfen um seinen Kopf flogen, fotografierte ich und es sah aus wie ein riesiger Sonnenkranz. Ich habe dann nachgeforscht, ob es ähnliche Eisbären-Fotos schon gab, aber es gab keine. Das war der Beginn meiner Leidenschaft.

Tut es nicht weh, wenn man Tiere in der Wildnis erlebt und sie dann in einem Zoo eingesperrt sieht?
Nur, wenn sie dort nicht genug Platz haben. Ich weiß nicht, wie es im Tierpark Berlin ist, aber in München haben die Eisbären ein großes Gehege mit riesigem Planschbecken. Das kann man nicht mit früheren Zeiten vergleichen, wo sie beispielsweise in meiner Heimatstadt Münster in den 60er Jahren in einem kleinen Käfig dahinvegetierten. Und nicht jeder Mensch ist in der Lage, wenigstens einmal im Leben einen wilden Eisbären zu sehen. Deshalb machen die Tiere im Zoo einen richtig guten Job: Sie wecken das Interesse, die Begeisterung oder sogar die Liebe zur Tierwelt. Wenn es das nicht gäbe, würden ihre wilden Brüder da draußen vielleicht gar nicht geschützt.

Die werden ja heute nicht mehr nur von Jägern, sondern vom Klimawandel bedroht – besonders die Eisbären, oder?
Einerseits erlebe ich tatsächlich den Rückgang des Eises. Vor Grönland gibt es heute Inseln, die auf den Seekarten von 1992 noch gar nicht eingezeichnet waren. 2003 habe ich auf Spitzbergen eine Gletscherfront fotografiert. Letztes Jahr war ich wieder dort und der Gletscher war komplett geschmolzen. Andererseits hat man schon vor 30 Jahren prophezeit, dass es in der Hudson Bay bald keine Eisbären mehr gibt. Aber dort leben auch heute noch etwa tausend Tiere. Es gibt aber noch eine andere Bedrohung.

Welche?
Was mich mindestens genauso wie der Klimawandel beunruhigt, ist die Vermüllung der Meere mit Plastik. Das kann man gerade auf Spitzbergen selbst an den abgelegensten Stränden beobachten: Unmengen von alten Fischernetzen, Butterdosen, Plastikflaschen. Das kommt zum Teil aus dem Golf von Mexiko, aber auch von den europäischen Stränden und wird alles im Norden angeschwemmt.

Fotografieren Sie nur Eisbären?
Oh nein, ich bin generell vom Hohen Norden fasziniert: von der Klarheit der Luft, der Weite, der Ursprünglichkeit und auch von Walrössern, Polarfüchsen, Vögeln, Walen oder den unterschiedlichen Wetter- und Lichtphänomenen.

Ihr neues Buch, ein großer liebevoll gestalteter Kunstbildband, zeigt alle Ihre fotografischen Abenteuer im Hohen Norden. Warum trägt er den Titel „Up here“?
So bezeichnen die Inuit ihr Land. Wenn man sie fragt, wo sie wohnen, antworten sie: „Up here“, also: „Hier oben“.

Norbert Rosing ist unterwegs, wo es kalt und eisig ist.

© Copyright Norbert Rosing

Wo haben Sie Bären überall fotografiert?
Ich war fast 50 Mal in Kanada und 25 Mal auf Spitzbergen. Aber auch oft in Grönland. Dort habe ich aber Eisbären nur als Fell auf der Leine hängen sehen.

Warum?
Sie werden von den Inuit gejagt.

Und was ist mit Alaska?
Dort habe ich auch einmal fotografiert, aber es ist speziell. Die Eisbären sind sehr wild und sehr schmutzig, sie kommen zu den großen Haufen, die aus den Überresten von gefangenen Grönlandwalen bestehen. Die Inuit jagen diese Wale und lagern Knochen und andere Reste dann möglichst weit von den menschlichen Siedlungen entfernt. Die Eisbären wühlen in den Knochenhaufen. Aber solche Bilder will keiner sehen.

Sondern?
Am besten eine Eisbärin mit zwei niedlichen Jungen auf einer Eisscholle. Viel Natur, aber nicht zu naturalistisch.

Was ist zu naturalistisch?
Wenn so eine Eisbärenmama eine kleine Robbe aus dem Wasser zieht, sie tötet und frisst und dann ein blutiges Maul hat – solche Bilder will niemand sehen. Nein, die Tiere sollen möglichst niedlich sein und sauber und ausdrucksstarke Augen haben. Das ist eines der Geheimnisse, warum Eisbärenjunge so geliebt werden.

Das Interview führte Sandra Dassler. Die Naturfotografie hat Norbert Rosing vor mehr als 20 Jahren zum Beruf gemacht und Bilder in vielen Magazinen publiziert. Er ist Botschafter der UN-Dekade „Biologische Vielfalt“.

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