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Nicht nur hoffen, sondern machen: Die "Church for Future" nimmt an Protestaktionen teil.

© promo

"Die Zone der Artigkeit muss verlassen werden": Veganer Pfarrer gründet "Church for Future"

In einer Gemeinde in Spandau wird Enthaltsamkeit gepredigt: Weniger Fleisch, weniger fliegen, bewusster Konsum. Sie unterstützen damit "Fridays for Future".

Die evangelische Dorfkirchengemeinde Gatow hat beschlossen, im Kampf gegen den Klimawandel und die zunehmende Verschmutzung der Erde nicht nur auf Gott zu vertrauen, sondern die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Darum hat die Spandauer Gemeinde die Initiative „Church for Future“ gegründet.

Es fing an im Frühjahr in Gatow mit einem offenen Brief an die Schülerinnen und Schüler von „Fridays for Future“. Längst ist die globale Bewegung, die sich für schnelle und effiziente Klimaschutz-Maßnahmen einsetzt, bekannt geworden, wird beachtet, auch auf dem internationalen Politikparkett. Auch in Berlin wird jeden Freitag demonstriert, zum Weltklimatag am 20. September gingen deutschlandweit 1,4 Millionen Menschen unter dem Banner der jungen Klimaschützer auf die Straßen. Zuletzt hatte auch die Gruppe Extinction Rebellion Aufsehen erregt. Sie kämpft mit Mitteln des zivilen Ungehorsams gegen das Massensterben von Tieren und Pflanzen und möchte die Vernichtung von Lebensraum auch durch illegale Aktionen erzwingen. In Berlin wurden vergangene Woche etwa Straßen und Brücken blockiert.

Die Gemeinde sieht auch das gelassen: „Offensichtlich muss die Zone der Artigkeit verlassen werden, um großflächig auf die verheerenden Folgen aufmerksam zu machen, wenn die Politik weiterhin die Zeit verschläft und keine starken Entscheidungen trifft, um die zerstörenden Klimaschäden aufzuhalten. Die Zeit eilt!“ So heißt es in dem offenen Brief der Kirchengemeinde vom März 2019 – noch bevor „Extinction Rebellion“ in Berlin bekannter wurde. Unterdessen haben zahlreiche Kirchengemeinden in ganz Deutschland Interesse bekundet, sich „Church for Future“ anzuschließen.

Gemeinde gründet "Klima-Akademie"

„Wir wollen groß sein“, sagt Sabine von Stackelberg, eine der Initiatorinnen aus Spandau. Gemeinsam mit Pfarrer Mathias Kaiser leitet sie die Klima-Akademie, die ebenfalls ins Leben gerufen wurde. Fragen des Klimaschutzes sollen in der christlichen Akademie sowohl aus theologischer Perspektive behandelt werden, also auch auf der Basis fundierter naturwissenschaftlicher Informationen.

Für Pfarrer Kaiser ist ganz klar: „Die Politik muss weitaus konsequentere Entscheidungen für weniger Klimabelastung treffen als bisher.“ Die „Klima-Akademie“ zieht eine Bilanz nach drei Legislaturperioden mit Großer Koalition: Es sei „nichts geschehen“, heißt es da, und die konfessionellen Klimaschützer fordern: „Die Kohleverstromung muss vor 2025 beendet werden und nicht erst 2038. Die ersten Braunkohlekraftwerke müssen 2020 vom Netz gehen.“ Außerdem: „Die Klima-Jugendbewegung „Fridays for Future“ muss von der Bundesregierung unterstützt werden.“ Man will sich dafür einsetzen, dass beispielsweise der Ausbau Erneuerbarer Energien nicht mehr verhindert, sondern gefördert wird.

"Die Schüler haben völlig recht, den Schulunterricht zu bestreiken"

Trotzdem liege es auch bei jedem Einzelnen, etwas für den Klimaschutz zu tun. „Wir wollen ermutigen und anregen, Impulse geben“, erzählt Stackelberg. „Die Schüler haben völlig recht, den Schulunterricht zu bestreiken, um zu demonstrieren“, findet sie. „Eltern und Großeltern sollten mitdemonstrieren. Weltweit. Und sehr laut sein. Hörbar sein. Streiken, trommeln, rufen, frech und mutig sein. Sich nicht beirren lassen.“

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Aber auch jeder einzelne könne etwas unternehmen und seine Verhaltensweise ändern: Es müsse einfach bewusster konsumiert werden. Pfarrer Kaiser lebt seit mehr als zehn Jahren vegan. „Wenn ich beginnen will, etwas mehr für den Klimaschutz zu tun, setzt das Freude frei, diese Erfahrung mache ich immer wieder.“
Weniger fliegen, weniger Fleisch essen, keine Produkte kaufen, die tausende von Kilometern um den Globus geschickt werden, mehr reparieren statt neu zu kaufen. Weniger Autofahren oder auf E-Autos umsteigen. Weniger Konsum im Allgemeinen sei notwendig, findet die Gemeinde.

In der "Klima-Akademie" werden auch Bilder gemacht.
In der "Klima-Akademie" werden auch Bilder gemacht.

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Die „Klima-Akademie“ bietet beispielsweise einen Workshop an, mit dem man lernen kann, „Schritt für Schritt müllfrei“ zu leben. „Ich glaube, dass das nicht mehr kostet, sondern, dass die Leute dabei noch Geld sparen“, meint Stackelberg. Bisher sei ihre Initiative bei den Gemeindemitgliedern positiv aufgenommen worden. Zweifel am menschengemachten Klimawandel begegneten ihnen eigentlich nicht, aber wohl einige, die den Klimawandel ignorieren. Die sollen nicht ausgegrenzt, sondern aufgeklärt werden.

Auch Jugendliche im Konfirmationsunterricht würden etwa fragen, warum Gott zulässt, dass die Menschen so unachtsam mit der Erde umgehen. Viele hätten auch Angst vor den Folgen der Erderwärmung, berichtet Sabine von Stackelberg. Aber das Thema gehe auch ältere Menschen etwas an, glauben die Leute hinter „Church for future“. Darum spricht Ludwig Brügmann, Gründer der „Deutschen Allianz für Klimawandel und Gesundheit“, am 30. Oktober um 19 Uhr im Rahmen der „Klima-Akademie“ über „Gesundheit und Krankheit in Zeiten der Klimakrise“. Damit sich auch wirklich alle angesprochen fühlen.

Die Veranstaltungen der „Klima-Akademie“ finden im Gemeindehaus, Plievierstraße 3, statt – ebenso wie die offenen Treffen von „Church for future“ an jedem zweiten Dienstag im Monat um 18 Uhr. Weitere Infos unter www.churchforfuture.com.

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