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Fraktionsklausur der Berliner SPD: Die SPD will lieber später über die S-Bahn streiten

Erst drei Wochen ist der Tag nach der Verschiebung der BER-Eröffnung her, der Tag an dem die Berliner SPD im Chaos zu versinken drohte. Bei der Fraktionsklausur in Polen sollte wieder Geschlossenheit demonstriert werden - so wurden die schwierigen Themen lieber gleich vertagt.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Der Streit um die Berliner S-Bahn hätte die SPD-Fraktionsklausur in Polen aus den Angeln heben können. Hätte man die Frage nach der juristisch zweifelhaften Teilausschreibung des Ringverkehrs am Sonntag auf die Tagesordnung gesetzt, wären zwei Züge aufeinander zugerast: Stadtentwicklungssenator Michael Müller, der das vom Kammergericht monierte Vergabeverfahren korrigieren und somit retten will. Und die Mehrheit der Fraktion, unterstützt von der SPD-Führung um den Landeschef Jan Stöß, die jetzt den Zeitpunkt gekommen sieht, doch noch eine Direktvergabe an einen freien Träger durchzusetzen.

Aber Fraktionschef Raed Saleh bewies mal wieder sein seltenes Talent, alles von sich fern zu halten, was ihm schaden könnte. Und, auch das gehört zur Wahrheit, er hält seit der Wahl zum Fraktionschef vor einem Jahr seinen Laden gut zusammen.

Und deshalb wurde das schwierige Thema auf die Fraktionssitzung in Berlin am Dienstag vertagt. Im polnischen Kolberg, am Samstagabend in der Hotelbar, übte sich Saleh in diplomatischen Floskeln. In einem vertraulichen Gespräch mit Müller, Stöß und dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit habe das politische Quartett „verschiedene Wege diskutiert“, aber keine Lösung gefunden. Den besten Überblick habe natürlich der Stadtentwicklungssenator, der wohl am Dienstag den Genossen in der SPD-Fraktion „einen Vorschlag unterbreiten“ werde. Ohnehin sei die Teilvergabe des S-Bahnrings eine „Angelegenheit exekutiven Handelns“, also eine Angelegenheit des Senats und der Verwaltung.

So schob Saleh das Problem geschickt zur Seite. Geht die Sache schief, hat er damit nichts zu tun. Findet sich eine brauchbare Lösung, hat er sie organisiert. Allerdings lösten sich zu später Stunde, nach einem Festbankett mit reichlich Wodka, bei manchen Abgeordneten doch die Zungen. Es wurde klar, dass die Fraktion mehrheitlich eine rechtlich unproblematische, wenn auch finanziell und organisatorisch schwer zu stemmende Direktvergabe der S-Bahn an einen landeseigenen Betrieb, vorzugsweise die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) fordern wird. Und es gibt erste Signale, dass Müller nach einem solchen „politischen Impuls“ seinen Widerstand aufgeben könnte. Auch wenn er während der Klausur sagte: „Wir prüfen alle Varianten, damit wir rechtssicher im Ausschreibungsverfahren bleiben können.“

Aber wer sollte Müller unterstützen? Wowereit folgt, das zeigte sich auch an diesem Wochenende, immer öfter dem neuen Führungs-Duo Saleh und Stöß. „Ich bin flexibel“, hatte er schon im vergangenen Sommer gesagt, als sein Ex-Freund Müller als SPD-Landesvorsitzender abgewählt wurde. Dieser Spruch wurde seitdem von vielen Abgeordneten immer wieder genüsslich zitiert, auch in Polen. Dem parteilosen Finanzsenator Ulrich Nussbaum fehlt in der SPD-Fraktion jeder Einfluss, außerdem tut er nichts, was Müller helfen könnte. Und die Senatorinnen Dilek Kolat und Sandra Scheeres halten sich lieber schweigend aus dem Konflikt um die S-Bahn heraus. Müller kann nur noch hoffen, dass ihm letztendlich der Koalitionspartner CDU, der eine Direktvergabe an die BVG bisher strikt ablehnte, zur Seite springt.

Trotz alledem übte sich die SPD-Abgeordnetenhausfraktion während ihrer Klausurtagung in heiterer Gelassenheit, fast schon routiniert geführt von Raed Saleh, der ohne jeden Selbstzweifel und mit spitzbübischer Fröhlichkeit durchs Programm führte. Hier ein Schwätzchen, dort ein Schulterklopfen, an persönlicher Ansprache durch den Fraktionschef mangelte es nicht. Saleh ist ein Kommunikationstalent erster Güte, dicht vernetzt und sehr diszipliniert: der Mann raucht nicht und trinkt keinen Tropfen Alkohol. Stattdessen steht bei ihm meistens eine Cola light auf dem Tisch.

Gute Taten verkünden gehörte auch in Kolberg zu seinem Lieblingsgeschäft: Entwicklung des öffentlichen Dienstes, mehr Geld für mindestens 120 Brennpunktschulen. Zwei neue Themen, die Saleh äußerst beharrlich, gnadenlos pragmatisch und stets machtbewusst verfolgen wird. Dabei hilft ihm sein Credo: Für alles, was man will, muss man sich erst eine Mehrheit organisieren. Egal woher.

Allerdings muss sich Saleh, der unbedingt Regierender Bürgermeister werden will, vorerst in Geduld üben, nach dem Flughafen-Debakel, das Wowereit fast zum Verhängnis geworden wäre. „Wir haben vor drei Wochen, an jenem schwarzen Montag, alle in den Abgrund geschaut“, erzählte ein einflussreicher Genosse, das Glas polnischen Bieres in der Hand sinnend betrachtend. „Dann haben wir entschieden, uns nicht hineinzustürzen“, sprich: Wowereit fallen zu lassen. Seitdem befinden sich die Berliner Sozialdemokraten im Wartestand. Rätselnd, was über sie kommen wird. Und wann.

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