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Der Plagegeist hat den Geist aufgegeben.

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Schädlingsbekämpfung in Berlin: Die Ratte als Opfer der Gentrifizierung

Ob auf Spielplätzen oder in Parks: Überall werden Ratten gesichtet – die Bezirke sind im Dauereinsatz. Und das Lageso hat eine These: Die Nager werden durch die vielen Baustellen quasi heimatlos.

Am Steinplatz in Charlottenburg lassen sich die Ratten sogar zählen. 15 Exemplare seien ihr aufgefallen, schrieb eine Leserin des Tagesspiegel-Newsletters Checkpoint. Ein Bewohner der Körnerstraße in Kreuzberg macht ähnliche Beobachtungen: „Der Kinderspielplatz vor meinem Haus ist rattenverseucht. Selbst am Tag laufen die Ratten über den Sandkasten zwischen den Kindern herum. Die gesamte Umgebung hier ist rattenverseucht.“

Das klingt nach einer veritablen Rattenplage.

Berlin ist zweifellos Deutschlands Rattenhauptstadt. Das liegt an der Vermüllung von Grünanlagen und einer populären Mengenrelation: Ein Mensch ernährt zwei Ratten. Wären wir bei rund sieben Millionen Nagern. Stephan Natz von den Wasserbetrieben hält solche Zahlen für völlig aus der Luft gegriffen.

Mario Heising von der Berliner Sektion des Schädlingsbekämpferverbandes pflichtet ihm bei. Berlin biete zwar „viele Verstecke und Entwicklungsmöglichkeiten“ für Ratten, aber von einer Plage könne keine Rede sein. Im Übrigen seien die Bezirke eifrig bemüht, die Ratten zu dezimieren. Die Zahl der Bekämpfungsaktionen ist 2014 auf einen neuen Rekordwert gestiegen: 7470 mal wurden Köder ausgelegt oder Fallen gestellt. 2009 gab es nur 4462 Einsätze gegen Ratten. Friedrichshain-Kreuzberg liegt im Bezirksvergleich mit 1270 Einsätzen an der Spitze, gefolgt von Mitte, in Steglitz-Zehlendorf rückten die Schädlingsbekämpfer nur 212mal aus.

Rattenfallen werden am besten von Fachfirmen ausgelegt.

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Der Anstieg der Zahlen liegt vor allem an einer Meldepflicht, die 2011 eingeführt wurde. Jede Ratte, die gesichtet wird, muss den Gesundheitsämtern angezeigt werden. Wenn sich solche Beobachtungen in einer Gegend häufen, machen die Beamten eine Ortsbegehung. Wenn sie Zeit dafür haben.

Das Gesundheitsamt Mitte teilt auf Anfrage mit: Im vergangenen Dreivierteljahr „konnten notwendige Rattenkontrollen oft nicht erfolgen, da die Bearbeitung von Meldungen im Rahmen des Masernausbruchs vorrangig zu bearbeiten waren“. Außerdem müssten die Grundstückseigentümer für die Bekämpfung der Ratten zahlen, bei öffentlichen Flächen also Tiefbau- und Grünflächenämter. Daher „steht die Veranlassung von Rattenbekämpfungen finanziell in Konkurrenz zu anderen Aufgaben...“

Dass Ratten viel häufiger in der Innenstadt bekämpft werden, führt das Landesamt für Gesundheit und Soziales auch auf „die Bautätigkeit in den zentralen Bezirken“ zurück. Wenn Häuser saniert, Leitungen ausgetauscht und brachliegende Grundstücke erschlossen werden, fühlen sich die Ratten gestört und irren heimatlos geworden durch die Stadt. Gentrifizierungsopfer gewissermaßen.

Rattenbefall konnte nicht nachgewiesen werden

Die Ratten vom Steinplatz sind in Charlottenburg-Wilmersdorf schon seit 2011 bekannt. Mitarbeiter vom Tiefbau- und Grünflächenamt hätten „immer mal wieder“ Ratten gesichtet, sagt Stadtrat Carsten Engelmann (CDU). Als die Experten vom Gesundheitsamt eine „Inaugenscheinnahme“ des Platzes vornahmen, ließen sich die Ratten aber nicht mehr blicken. Offenbar hatten sie auch alle verdächtigen Spuren beseitigt. „Hinweise wie Kot, Nagespuren oder Wanderwege wurden nicht entdeckt“, sagt Engelmann. Also blieben die Ratten unbehelligt.

Ohne den konkreten Fall in der Körnerstraße zu kennen, sagt Kreuzberg-Friedrichshains Bezirksamtssprecher Sascha Langenbach: „Wir nehmen das Problem sehr ernst.“ Am Landwehrkanal waren im Frühjahr Ratten gesichtet worden. Ein Spielplatz wurde abgezäunt und die Ratten bekämpft. Auch im Görlitzer Park waren Ratten in größeren Mengen unterwegs. An der Falckensteinstraße sackte der Zugang ab, weil die Nager ein Tunnelsystem gegraben hatten. Hauptursache war herumliegender Müll. Aber auch das übertriebene Füttern von Schwänen und Enten am Landwehrkanal.

"Ratten leben nicht in der Kanalisation"

Verbandschef Mario Heising freut sich jedenfalls, einen krisensicheren Beruf gewählt zu haben. Die Zahl der in Auftrag gegebenen Rattenbekämpfungen schätzt er jährlich auf 20 000, also weit mehr als offiziell registriert. Viele Hausbesitzer zeigen einen Rattenbefall nicht an oder erledigen die Sache gleich selbst. Heising rät natürlich zur professionellen Unterstützung. Seien die Ratten erst unterm Dach angekommen, werde es teuer.

Wasserbetriebe-Sprecher Natz legt Wert auf die Feststellung: „Ratten leben nicht in der Kanalisation.“ Sie würden dort nur Schutz vor Feinden suchen: Autos, Füchse und Krähen. In Bahnhöfen, Erdlöchern und Hauskellern hätten die Plagegeister es viel gemütlicher.

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