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Das Haus in der Liebigstraße 34 ist ein Symbol der linken Szene.

© imago/Schöning

Interview mit „Liebig 34“-Besetzerin: „Die Frage ist, wie man Gewalt definiert“

Die Liebigstraße 34 ist eines der letzten besetzten Häuser Berlins. Nun soll es geräumt werden. Besetzerin Mira über den Protest und das Verhältnis zur Polizei.

Mira, 32, wohnt seit rund zwei Jahren im Haus in der Liebigstraße 34. Ihren vollständigen Namen möchte sie nicht nennen und sich auch nicht fotografieren lassen.

In den nächsten Wochen wird zum zweiten Mal über die Räumungsklage gegen Ihr Hausprojekt in der Liebigstraße 34 verhandelt. Der Prozess wurde zuletzt mehrfach verschoben, der erste Termin im November wegen massiver Protestaktionen von der Richterin abgebrochen. Wie gehen Sie in den nächsten Termin hinein?
Unsere Strategie ist, wenigstens nicht sang- und klanglos unterzugehen. Was wir schon länger machen, ist Druck auf unseren Vermieter, also den Eigentümer, auszuüben. Uns zu wehren und ihn auch einfach zu nerven, ihn damit zu konfrontieren, dass er uns wohnungslos macht. Und den Kiez und viele Menschen um dieses Haus beraubt, also auch um den politischen Raum. Außerdem wollen wir weiter Druck auf die Politik aufbauen. Wir wollen mehr Menschen dazu bringen, das auch als ihren Kampf zu sehen. Also zeigen, dass es hier nicht nur um uns persönlich geht. Sondern dass es wichtig ist, dass es solche Wohn- und Organisierungsräume gibt. Gerade eben auch hier im Kiez, der historisch bedingt ja auch ein sehr widerständiger Kiez ist.

Warum glauben Sie, muss es Häuser wie Ihres in Berlin geben?
Wir führen den Kampf ja in einem Kontext. Es ist gruselig, dass gerade in einer Zeit, in der Gentrifizierung so viele Menschen betrifft, Häuser wie unseres nicht nur weggentrifiziert werden, sondern dass teilweise über sie gehetzt wird. Gerade bei einem Hausprojekt wie unserem, das versucht, relativ unkommerziell zu sein. Das unkommerzielle Räume zur Verfügung stellt und auch versucht, vielen Menschen, die betroffen sind von verschiedenen Unterdrückungsmechanismen, eine Herberge zu bieten. Und dann reden dieselben Politiker, die sich nicht für uns einsetzen, darüber, dass es mehr Frauenhäuser geben muss, weil es wieder vermehrte Gewalt an Frauen, vermehrte sexistische, rassistische Übergriffe gibt. Und da denkt man: Dann setzt euch doch mal für Projekte ein, die es schon gibt.

Florian Schmidt, grüner Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg, hatte im vergangenen Frühjahr angekündigt, dass der Bezirk versuchen will, Ihr Haus zu kaufen. Was ist daraus geworden?
Florian Schmidt war der Einzige, der auf uns zugekommen ist und öffentlich Partei für uns ergriffen hat. Er hat uns gesagt, er findet eine Lösung. Im Endeffekt glauben wir aber, dass das eine Hinhaltetaktik war. Er hat uns gegenüber kommuniziert, dass er den Eigentümer Padovicz dazu bewegen wolle, das Haus gegen ein anderes Grundstück zu tauschen. Der wollte aber nicht. Trotzdem hat Schmidt immer wieder gesagt, er sei kurz vor einer Einigung: „Wir kriegen das hin.“ Irgendwann hat er sich einfach nicht mehr bei uns gemeldet. Mittlerweile reagiert Schmidt auch nicht mehr auf Nachrichten und Anrufe.

Sie sind in den vergangenen Monaten häufiger wegen gewalttätiger Angriffe auf Polizisten und auch Journalisten aufgefallen. Wie verträgt sich das mit dem Konzept eines Raumes gegen Unterdrückung?
Die Frage ist, wie man Gewalt definiert. Wir sehen erstmal, dass der Staat Gewalt auf uns ausübt. Zum Beispiel, in dem er das Eigentumsrecht von Immobilienspekulanten schützt und auf Kosten des Rechtes von Menschen auf Wohnen und Selbstorganisierung durchsetzt. Wir denken, dass es wichtig ist, dass es dieses Haus gibt, und wissen, dass es da nicht nur uns so geht. Deswegen denken wir, dass es ein legitimes Recht gibt, uns selbst zu verteidigen, wenn wir geräumt werden sollen.

Und das rechtfertigt Gewalt?
Wenn die Polizei die ganze Zeit vor unserer Tür steht, uns kontrolliert, uns schikaniert, uns sexistisch beleidigt, denken wir, dass es durchaus auch okay ist, wenn man mal eine Farbbombe auf sie wirft. Ich weiß, dass Leute das total schlimm finden. Ich denke mir: In welchem Verhältnis steht das zueinander? Das beurteilt halt jeder für sich selbst. Ich persönlich würde das so beantworten, dass ich das in Ordnung finde.

Wie schätzen Sie Ihre Chancen ein, die Räumung noch abwenden zu können?
Juristisch haben wir keine Chance, und das wissen wir auch. Die Verhandlung wird wohl nur fünf Minuten dauern. Wir werden versuchen, ein politisches Statement vorzulesen. Das wird sich im Endeffekt auf die Gentrifizierung in Berlin beziehen und darauf, dass Padovicz ein Multimilliardär ist, der nichts mit dem Kiez zu tun hat und dass es ein Unding ist, dass er durch die Justiz geschützt wird. Dann wird wahrscheinlich nach zwei Minuten abgebrochen und gesagt: Die Sachlage ist eindeutig. Und trotzdem ist es natürlich auch sinnvoll, juristische Prozesse zu führen, um den Diskurs ein bisschen zu verschieben, auch im Gericht. Gesetze können sich auch ändern.

Und was machen Sie, wenn der Räumungsbescheid dann tatsächlich da ist?
Dann werden wir versuchen, es ähnlich wie bei der Liebig 14 zu machen. Uns verbarrikadieren und versuchen, die Räumung so lange es geht herauszuzögern. Natürlich wissen wir, dass wir unterlegen sind, was die Möglichkeiten angeht. Wir werden eher versuchen, zu dezentralen Aktionen aufzurufen, damit die Verantwortlichen zur Verantwortung gezogen werden, in welcher Form auch immer.

Die lange Geschichte der Liebigstraße 34

Das Haus in der Liebigstraße 34 wurde 1990 besetzt und kurz darauf legalisiert. Seit etwa 1999 leben ausschließlich Frauen, Trans- und Intersexuelle Menschen in dem Haus, die Bewohnerinnenschaft bezeichnet sich selbst als „anarcha-queer-feministisches Hausprojekt“.

2008 wurde das zu diesem Zeitpunkt stark verschuldete Haus – nach einem Streit innerhalb der Erbengemeinschaft, der die Liebigstraße 34 bis dahin gehörte – zwangsversteigert. Auch die Bewohnerinnen selbst versuchten, das Haus über eine Genossenschaft zu erwerben.

Das Gebäude wurde allerdings für rund 600.000 Euro an den Immobilieninvestor Gijora Padovicz verkauft. Padovicz und der Bewohnerinnen-Verein vereinbarten einen Pachtvertrag für das gesamte Haus, der nach zehn Jahren am 31. Dezember 2018 ablief. Da der Vertrag juristisch analog zum Gewerbemietrecht behandelt wird, sind die Bewohnerinnen nicht durch das übliche Wohnmietrecht geschützt.

Sie verweigerten den Auszug und geben an, die Pachtzahlungen im Sommer 2019 nach mehreren gescheiterten Kontaktversuchen und einem Treffen mit Padovicz eingestellt zu haben.

Politische Unterstützung

Im Frühjahr 2019 verkündete der zuständige Friedrichshain-Kreuzberger Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne), das Haus über eine städtische Wohnungsgesellschaft kaufen und dem Eigentümer Padovicz im Gegenzug ein Ersatzgrundstück anbieten zu wollen.

Aus diesem Vorstoß wurde nichts. „Tatsächlich hat sich mein Verhältnis zu den Menschen aus der Liebig 34 verändert“, sagte Schmidt auf Anfrage. „Es gab unschöne Vorfälle. Meine Bemühungen für eine Lösung hatte ich aber trotzdem nicht eingestellt. Diese sind an Herrn Padovicz gescheitert.“

Der Prozess

Hausbesitzer Padovicz versucht derzeit, vor Gericht einen Räumungsbescheid zu erwirken. Ein erster Prozesstermin musste im November abgebrochen werden, nachdem es im Gerichtssaal zu tumultartigen Szenen gekommen war. Zwei Bewohnerinnen rissen sich die Kleidung vom Oberkörper, Stühle flogen durch den Saal.

Die Richterin erteilte den meisten der Besetzerinnen anschließend Hausverbot für das Gerichtsgebäude. Der zweite Prozesstag wurde auf den Januar verschoben, das genaue Datum steht noch nicht fest.

Symbol der linken Szene

„Liebig 34“ gilt aktuell als einer der letzten Symbolorte der linken und linksradikalen Szene in der Stadt. Nebenan wurde im Februar 2011 das besetzte Haus in der Liebigstraße 14 geräumt. Rund um die Räumung kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den Besetzern, Unterstützern und der Polizei.

Wenige hundert Meter entfernt befindet sich auch das Hausprojekt Rigaer Straße 94, das vom Verfassungsschutz als „zentrale Institution der gewaltbereiten autonomen Szene Berlins“ eingeschätzt wird.

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