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Tatkräftiger Seelsorger. Seit 25 Jahren engagiert sich Dieter Puhl in der Obdachlosenhilfe der Bahnhofsmission am Zoo.

© Sören Stache/dpa

Berliner Obdachlosenhilfe: Der Mann vom Bahnhof Zoo

Glück und Leid liegen dicht beieinander in der Sozialarbeit für Wohnungslose. Dieter Puhl, Chef der Bahnhofsmission in Charlottenburg, hat darüber ein Buch geschrieben.

Kranke Kinder haben gesellschaftlichen Rückhalt, Obdachlose dagegen kaum – und wenn sie keine Deutschen sind, schwindet das Mitgefühl „fast gänzlich“. Das betont Dieter Puhl, der langjährige Leiter der evangelischen Bahnhofsmission am Zoo, schon im Vorwort seines soeben erschienenen Buches „Glück und Leid am Bahnhof Zoo“. Puhl schreibt, dass seine Tochter im Alter von fünf Jahren fast an einer schweren Krankheit gestorben wäre. „Hunderttausende D-Mark“ seien damals in ihre Rettung geflossen. Im Gegensatz dazu werde Wohnungslosen oft die Hilfe verweigert. Sie seien doch selbst schuld an ihrer Situation, heiße es oft – auch wenn das längst nicht immer stimme.

Mit unermüdlichem Engagement hat es der 61-Jährige dennoch geschafft, viel Geld für die Anlaufstelle an der Charlottenburger Jebensstraße zu akquirieren. In den 1990er Jahren konnte er gerade noch die Pleite abwenden. Später ging es bergauf. 2015 eröffnete ein „Hygienecenter“ mit Duschen, WCs, Friseursalon und einer Ausgabestelle für Hygieneartikel. Bald sollen neue Beratungs- und Veranstaltungsräume im Bahnhof entstehen. Alleine die Deutsche Bahn hat hunderttausende Euro zur Verfügung gestellt, weitere Mittel kommen vom Land Berlin und privaten Spendern. Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte, als er noch Außenminister war, 50 000 Euro aus einem Preisgeld gestiftet, und ist oft zu Gast in der Bahnhofsmission.

Im vorigen Jahr wurde Puhl mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Um die Ehrung mit seinen Mitarbeitern und den vielen ehrenamtlichen Helfern zu teilen, schrieb er bei Facebook: „Wir sind Bundesverdienstkreuz!“.

Zu Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (links) haben Puhl und das Team der Bahnhofsmission besonders engen Kontakt.
Zu Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (links) haben Puhl und das Team der Bahnhofsmission besonders engen Kontakt.

© Wolfgang Kumm/dpa

„Am Ende meiner Ausbildung war ich Atheist“

All das hätte sich Puhl nicht träumen lassen, als er vor 25 Jahren bei der Berliner Stadtmission anfing, zu der die Bahnhofsmissionen am Zoo und am Hauptbahnhof gehören. Es war „keine Liebesheirat“, erfährt man im Buch. Aufgewachsen ist Puhl in Schleswig-Holstein. Auf einem Knabengymnasium war er sitzengeblieben und als „Schulversager“ ausgeschieden. Er machte nur den Realschulabschluss und stellte sich darauf ein, „kleinere Brötchen zu backen“. Puhl lernte aber auch zwei Diakone aus der Jugendarbeit kennen, von denen sich einer um Rocker kümmerte. „Da habe ich zum ersten Mal die Arbeit mit sogenannten Randgruppen mitbekommen und langsam begriffen: Es lohnt, sich an ihnen zu reiben.“

1975 bewarb sich Puhl erfolgreich um die Diakonenausbildung am evangelischen Johannesstift in Spandau – und fiel dort vom Glauben ab. Politisch linksorientierte Dozenten sprachen lieber über weltliche Existenzialphilosophen als über Gott. „Meine Ausbildung habe ich als überzeugter Atheist beendet.“ Puhl erzählt von seiner „Bindungsangst“: Jesus „lief mir im Leben wirklich gelegentlich hinterher. Nur ich hatte ein Problem mit Nähe. Und je mehr er mir hinterherrannte, desto mehr bin ich gelaufen.“ Es dauerte lange, bis sich das änderte. Heute „spüre ich, wie gut sich Jesus anfühlt“.

Am Johannesstift holte Puhl ein Fachabitur nach, andernorts leistete er Sozialarbeit und wurde zum Erzieher ausgebildet. Mit Anfang 30 wollte er in die Werbe- und Kommunikationsbranche, „gönnte“ sich aber ein arbeitsfreies Jahr. Als das Geld knapp wurde, wandte sich Puhl an ein evangelisches Vermittlungsbüro. Den erhofften Job als Kitaleiter bekam er nicht. Ein Sachbearbeiter fand, Puhl passe viel besser zur Stadtmission, und stellte so die beruflichen Weichen.

Die Zahl der Wohnungslosen wächst weiter

Bis zu 700 Menschen versorge die Bahnhofsmission täglich mit Speisen, schreibt der Chef und zeigt sich besorgt über den Anstieg der Obdachlosenzahlen. Erklärt wird auch das ambivalente Verhältnis zu Nachbarn wie dem Museum für Fotografie, der Fotogalerie C/O Berlin oder dem Hotel Waldorf-Astoria. Manche Obdachlose verrichten ihre Notdurft an den Gebäuden. Und doch zählen dieselben Institutionen zu den wichtigsten Förderern der Sozialarbeit am Zoo.

Durch seinen Job ist Puhl kaum etwas Menschliches mehr fremd. So berichtet er von den schwierigen Bemühungen um eine Alkoholikerin, die er bei der ersten Begegnung im Rollator mit heraushängendem Urinkatheter sah. Erst nachdem die Frau eines Tages auf einer Parkbank gestorben war, erfuhr Puhl vom angereisten Vater, dass „Molly“ bis zu einer Geschlechtsumwandlung ein Mann gewesen war. Und ihre Behauptung, der Vater habe sie schon als Siebenjährige zum Biertrinken verleitet, war wohl nur erfunden.

Hilfe für Touristen gehört ebenfalls dazu

Bis heute kümmert sich die Bahnhofsmission auch um gestrandete Reisende. Anfangs hatte sich Puhl gefragt, warum ausländische Botschaften jedes Jahr Weihnachtskarten und Pralinen senden. Wie er bald merkte, danken Diplomaten damit für Hilfen, die sie ihren Landsleuten nicht gewähren. Verliere man etwa als Amerikaner seine Papiere, so Puhl, „stellt dir deine Botschaft kein Hotel und gibt dir keine zehn Euro für neue Ausweisbilder“. Stattdessen gebe es den Rat, sich bei den Helfern am Zoo zu melden.

In das Buch sind Facebook-Postings von Puhl eingestreut. Einmal schrieb er online: „Herzenswunsch: Sehr gerne würden wir in ein paar Jahren die Bahnhofsmission Zoo in dieser Form schließen, weil es einfach keine obdachlosen Menschen mehr gibt.“ Aber er weiß: „Das Thema ist ein Moloch, wir werden immer nur ein Stückchen abdecken.“ Eine ebenso Mut machende wie skurrile Anekdote schließt das Buch ab. Neulich war Puhl auf dem Weg zur U-Bahn, als ihm eine etwa 80-jährige Frau auf einer Parkbank hinterherrief. Sie hatte vom Aufruf gehört, Unterwäsche für das Hygienecenter zu spenden. „Meine Schlüpfer kriegen Sie“, versprach die Rentnerin. Wenn einem so etwas in Berlin passiere, findet Puhl, „dann haben wir es geschafft“.

Dieter Puhl: Glück und Leid am Bahnhof Zoo. Ein Leben für die Bahnhofsmission. Kreuz Verlag,
ISBN: 978-3-946905-29-5. 136 Seiten, Preis: 15 Euro (davon geht ein Euro direkt an die Bahnhofsmission).

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