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Jan Möllers auf dem Alten St.-Matthäus-Kirchhof in Schöneberg. Der Mitbegründer von memento Bestattungen veranstaltet Workshops zu Riten und einem neuen Umgang mit dem Tod.

© Kitty Kleist-Heinrich

Ein Berliner Bestatter über die Corona-Todesfälle: „Den Menschen haben Abschiedsgespräche gefehlt, das nochmal Beieinandersein“

Bestatter Jan Möllers über einsames Sterben in der Pandemie, Distanz, die bis ans Grab reicht – und wie sie überwunden werden kann.

Die Pandemie hat das Leben verändert, aber auch unseren Umgang mit dem Tod. Am Sonntag gedenkt Deutschland der Menschen, die an Covid-19 gestorben sind. Die zentrale Gedenkfeier an die Toten der Corona-Pandemie mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier findet am Sonntagmittag im Konzerthaus am Gendarmenmarkt statt, zuvor ist ein ökumenischer Gedenkgottesdienst in der Gedächtniskirche am Breitscheidplatz geplant.

79.914 Menschen sind inzwischen an den Folgen einer Coronavirus-Infektion gestorben, in vielen Fällen war es ein einsamer Tod. Bestatter Jan Möllers hat Trauernde in der Pandemie begleitet und ist dabei ungewohnte Wege gegangen. Denn die Infektionsschutzregeln reichen über den Tod hinaus.

Herr Möllers, heute gedenkt Deutschland den inzwischen rund 80.000 Corona-Toten im Land. Welches Schicksal hat Sie am meisten berührt?
Dieses Beispiel steht für viele: Eine Frau konnte ihre Mutter im Pflegeheim wegen des Lockdowns nur noch sehr eingeschränkt besuchen. Ihre Mutter lag im Sterben und dann durfte sie nochmal zu ihr. Aber sie wusste genau: Das ist jetzt das letzte Mal. Die Enkelkinder hatten alle überhaupt keine Chance mehr. Die kamen nicht mehr rechtzeitig zu ihrer Oma. Darunter haben sie sehr gelitten.

Warum ist Abschiednehmen so wichtig?
Es gab eine Lücke, einen Abbruch in der Beziehung zwischen den Menschen während des Sterbeprozesses. Das war sehr spürbar in der Trauerbegleitung. Den Menschen haben Abschiedsgespräche gefehlt, das noch einmal Beieinandersein. Man kennt das vielleicht von Verkehrsunfällen: Es gibt keine Vorbereitung auf den Tod.

Nicht nur der Kontakt zu den Toten ist seit Corona eingeschränkt, sondern auch zu anderen Trauernden. In Berlin dürfen im Freien nur noch bis zu 50 Personen an Beerdigungen teilnehmen. In geschlossenen Räumen sind bis zu 20 Personen erlaubt – alles mit 1,50 Meter Abstand. Was macht es mit den Menschen, wenn sie sich während einer Beerdigung oder einer Trauerfeier nicht in den Armen liegen können?
Körperliche Nähe kann man nicht ersetzen. Es ist eine einzigartige Form von Verbundenheit und Zuwendung. Da sind einmal Umarmungen, aber auch die Nähe, wenn man im Kreis um das Grab steht, während der Sarg oder die Urne in die Erde gebettet wird. Ein Tod ist schwerer zu ertragen, wenn andere Menschen, die wir lieben, nicht greifbar sind.

Verschieben viele Menschen die Trauerfeier, weil sie sich eine Veranstaltung in größerem Rahmen wünschen?
Man kann eine Trauerfeier nicht einfach verschieben. In einem Jahr ist sicher etwas anderes möglich, aber es ist dann nicht mehr die gleiche Trauerfeier.

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Sie haben auf der Webseite Ihres Bestattungsinstituts viele Ideen gelistet, wie Angehörige trotz Pandemie Abschied nehmen können. Welche sind das zum Beispiel?
Eine sehr bewegender Weg ist, zu gleicher Zeit an verschiedenen Orten die gleiche Musik zu hören. Viele Leute haben den Ablauf der Trauerfeier auch an die geschickt, die nicht kommen konnten und sich dann an einer Stelle dazu verabredet, das gleiche Lied zu singen oder zu hören.

Ich habe die Wirkung auch als Außenstehender bei den Trauerfeiern gespürt. In dem Moment passiert etwas: Plötzlich wird Verbundenheit über die räumliche Distanz hinweg möglich. Es gab auch mehrere kleine Trauerfeiern gleichzeitig, weil sich dann andere wieder in kleinen Gruppen zusammengefunden haben – an Orten, die sie mit dem Toten verbinden.

Ich kann mir vorstellen, dass die Menschen über Wege nachgedacht haben, die sie vorher nie in Erwägung gezogen hätten.
Ja, oder Dinge, die sie schon kannten, aber nicht von Bestattungen. Einige haben kleine Geschenktüten gebastelt, wie bei Hochzeiten oder Kindergeburtstagen und diese auch verschickt. Da war dann der Lieblingssekt oder Lieblingsschokolade des Verstorbenen drin mit der Aufforderung, das zu genießen und dabei daran zu denken, wie gerne der Verstorbene gelebt hat.

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Das ersetzt dann auch gleich den Leichenschmaus.
Der ist in der Tat völlig weggefallen. Dabei ist das ein wichtiger Teil, bei dem die Angehörigen sich beim Essen der eigenen Lebendigkeit bewusst werden. Stattdessen haben Leute Rezepte aus dem Leben des Verstorbenen genommen und nach der Beerdigung haben alle einzeln das gekocht und sich danach in einer Messenger-Gruppe darüber ausgetauscht.

Haben diese Erfahrungen Ihnen gezeigt, dass der Mensch anpassungsfähig ist, wenn es um Trauer geht?
Man kann all diese Rituale weder einfach verschieben, noch digitalisieren. Man muss wirklich etwas Neues entwickeln, wo materielle und digitale Dinge ineinander greifen. Es gab immer wieder Momente, wo ich sehr berührt war. Es ist sehr beeindruckend, wie wir unter widrigsten Bedingungen Wege finden, miteinander zu leben, zu sterben und zu trauern.

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Macht Ihnen das Mut?
Ja, für mich war diese Corona-Zeit geprägt von ganz vielen Erfahrungen, die gezeigt haben, dass zwischenmenschliche Nähe trotz räumlicher Distanz möglich ist. Aber natürlich gab es auch viel Unsicherheit und Angst.

Hatten Sie auch Angst, sich bei der Arbeit zu infizieren? Corona-Infizierte können ja auch nach ihrem Tod noch ansteckend sein.
Wir vermummeln uns komplett mit Schutzkleidung, wenn wir Corona-Infizierte versorgen. Das ist schon ein komisches Gefühl. Aber ich habe in diesen Momenten eigentlich nicht viel Angst, mich zu infizieren. Da gibt und gab es Situationen mit größerer Gefährdung: Die Wege in einem Pflegeheim mit vielen Corona- Erkrankten oder die vielen Begegnungen, die wir in unserer Arbeit haben. Trauernde sind oft in einem Zustand, in dem Abstand und Alltagsmasken zweitrangig werden.

Wie meinen Sie das?
Eine Situation war zum Beispiel als ein Vater mit seinem kleinen Sohn da war, um die Urne der Mutter nochmal in Ruhe anzusehen. Ich hatte die Urne in der Hand und das Kind rannte auf mich zu. Ich wusste natürlich, dass ich die Urne eigentlich hätte hinstellen müssen, um dann 1,50 Meter zur Seite zu gehen. Aber das konnte ich in dem Moment nicht. Die Angst, dass wir Bestatter uns und vor allem andere infizieren, begleitet uns seit Beginn der Pandemie. Ich bin natürlich froh, wenn Corona keine große Bedrohung mehr ist. Trotz allem haben wir viel gelernt. Ich werde an diesen Abschnitt auch als Zeit voller ermutigender Begegnungen zurückdenken.

Maike Verlaat-Violand

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