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Polizisten drängen bei einem Protest gegen die Corona-Maßnahmen an der Siegessäule Menschen in den Tiergarten ab.

© Christoph Soeder/dpa

Demo erlaubt, Camp verboten: Warum Gerichte so unterschiedlich zu den Corona-Protesten urteilten

Ein Tag Halligalli geht klar, zwei Wochen Belagerung gehen zu weit. So lassen sich zwei Gerichtsurteile zu den Coronademos in Berlin zusammenfassen.

Von Fatina Keilani

Das große Demo-Wochenende ist noch längst nicht aufgearbeitet. Eine häufig gestellte Frage: Warum wurde das Demoverbot aufgehoben, das Verbot des Camps jedoch aufrechterhalten?

Dafür gab es verschiedene Gründe. Kurz zusammengefasst: Ein Tag Halligalli geht klar, zwei Wochen Belagerung gehen zu weit.

Ein wesentlicher Faktor bei der Abwägung war der Infektionsschutz. Die Berliner Polizei hatte sogar die ganze Verbotsverfügung darauf gestützt. Hinsichtlich der Demonstration kam sie damit vor dem Verwaltungsgericht nicht durch, insbesondere weil die landeseigene Infektionsschutzverordnung das nicht hergibt.

Die Polizei wog Lebensschutz gegen Versammlungsfreiheit und entschied sich für den Lebensschutz. Das war zu kurz gegriffen, denn die Versammlungsbehörde ist verpflichtet, dazu beizutragen, dass eine Versammlung ermöglicht wird. In diesem Punkt hatte es sich die Polizei zu einfach gemacht.

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Anders liegt es bei dem zweiwöchigen Camp. Zum einen ist bis heute nicht geklärt, ob ein Camp überhaupt eine Versammlung sein kann.

Das Bundesverfassungsgericht hat dies in einem Eilverfahren zum G20-Protestcamp vorläufig unterstellt und tut dies auch in dem jüngsten Beschluss zum Camp der Corona-Kritiker. Die Hauptsacheentscheidung zu dieser Frage steht aus; die verfassungsrechtliche Bewertung des G20-Protestcamps könnte hier neue Maßstäbe setzen. Wann die Richter dazu kommen, ist jedoch ungewiss.

Camp wurde in einem ersten Urteil erlaubt

Bis dahin gilt „im Zweifel ist ein Camp eher eine Versammlung als keine Versammlung“. Das Verwaltungsgericht erlaubte auch das Camp.

Das jedoch sah das Oberverwaltungsgericht anders; es bestätigte zwar die Aufhebung des Demo-Verbots, gab der Polizei aber Recht bei ihrer Beschwerde zum Camp. Das Verbot des Camps wurde wieder hergestellt. Grund: Die Corona-Kritiker haben dazu nicht genug vorgetragen. Denn auch eine Versammlung muss bestimmten Kriterien genügen, insbesondere muss sie einen Zweck haben.

„Um dies feststellen zu können, bedarf es jedoch nachvollziehbarer konkreter Angaben des Anmeldenden, insbesondere ob und in welchem Umfang der beanspruchte Versammlungsort und die begehrte Infrastruktur (hier: Schilder, Plakate, Lautsprecheranlage, Bühne, Videoleinwände, zelte, Wohnwagen) zur Verwirklichung welcher Versammlungselemente wesensnotwendig sein soll“, schreibt das Oberverwaltungsgericht in seinem Beschluss und stellt fest, dass es daran mangele.

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Vielmehr dränge sich der Eindruck auf, dass „allein der Zweck verfolgt werden solle, die Straße des 17. Juni, eine der prominentesten und wichtigsten Hauptverkehrsstraßen Berlins, durchgehend zu belegen und für sich zu reservieren.“ Die Polizei hatte also mit ihrer Beschwerde Erfolg.

Zu schnell das Bundesverfassungsgericht angerufen

Die „Querdenker“ konnten nun nachlegen und die vermissten Aspekte liefern. Das haben sie auch getan, zugleich aber einen Eilantrag beim Bundesverfassungsgericht gestellt. Das ist jedoch unzulässig - mit dem neuen Vorbringen hätte sich der Anmelder erstmal wieder an das Fachgericht wenden müssen. Das Bundesverfassungsgericht nahm den Antrag daher nicht zur Entscheidung an, sagte aber wie meistens trotzdem etwas zur Begründetheit.

Aus dem Beschluss – er erging Sonntag – lässt sich herauslesen, dass Karlsruhe dem Infektionsschutz durchaus hohes Gewicht beimisst und bei der Abwägung Versammlungsrecht gegen Lebensschutz womöglich zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre als die Berliner Gerichte.

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„Es steht im Grundsatz außer Zweifel, dass ein Eingriff in die Versammlungsfreiheit des Art. 8 Abs. 1 GG zum Schutz des Grundrechts Dritter auf Leben und körperliche Unversehrtheit gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gerechtfertigt werden kann“, schreiben die Karlsruher Richter.

Eine  Abwägung gehe zu Lasten des Antragstellers aus. Die Abwägung: Verbietet man das Camp und stellt sich hinterher heraus, dass das Verbot rechtswidrig war, so ist die Versammlungsfreiheit verletzt. Genehmigt man hingegen das Camp und stellt sich dann heraus, dass es hätte verboten werden können, dann wären Grundrechte Dritter aus dem Recht auf körperliche Unversehrtheit in großer Zahl betroffen.

Infektionsschutz über 14 Tage? Eher schwierig

Es sei nichts dazu vorgetragen, wie bei dem Camp dem Infektionsschutz genügt werden könne. Ein wirksames Konzept traut man dem Veranstalter dabei eher nicht zu: „Mit Blick auf nach Durchführung der gestrigen Versammlung nunmehr vorliegende Erfahrungen musste sich der Antragsteller dazu veranlasst sehen, die praktische Eignung seines Konzepts zu bewerten und dieses erforderlichenfalls anzupassen. Dass dies geschehen ist, ist indes weder dargelegt noch sonst ersichtlich.“ Es sei auch nicht dargelegt, wie ein solches Konzept über einen Zeitraum von 14 Tagen funktionieren könne.

Interessant wird sein, wenn das Bundesverfassungsgericht die Frage, ob ein Camp dem Schutz des Versammlungsrechts unterliegt, entschieden hat. Bisher bleibt eine sehr bekannte Entscheidung grundlegend zum Thema Versammlungsrecht: der Brokdorf-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts. Damals wurde gegen den Bau des Kernkraftwerks Brokdorf demonstriert.

Der Beschluss stammt aus dem Jahr 1985 und enthält bis heute alles Wesentliche zum Versammlungsrecht, darunter – heute besonders passend – das Wort „ungebändigt“. Die Versammlungsfreiheit gewährleiste „ein Stück ursprünglicher ungebändigter unmittelbarer Demokratie“, heißt es in dem Beschluss. Das war am Wochenende gut zu erkennen. 

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