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Rapperin Nura hat ihre Autobiographie „Weißt du, was ich meine?“ veröffentlicht.

© Doris Spiekermann-Klaas TSP

Rapperin Nura veröffentlicht ihre Autobiographie: Dem männerdominierten Deutsch-Rap den Spiegel vorhalten

„Vom Asylheim in die Charts“ – so beschreibt die Berliner Rapperin Nura ihr Leben. Jetzt hat die 31-Jährige ihre Autobiografie veröffentlicht. Ein Treffen.

Am Tag ihrer Buchveröffentlichung Anfang August sitzt Nura Habib Omer eine ganze Weile allein auf einer Parkbank und schaut ihrer Hündin Chili dabei zu, wie sie mit anderen Welpen spielt. Keine große Party, kein Radau, so wie sie noch vor einigen Jahren einen solchen Anlass begangen hätte. Bloß ein Glas Sekt in der Hand, ein Lächeln auf den Lippen und ganz viel Stolz in der Brust, beschreibt die 31-Jährige später den Moment.

Nura gehört zu den bekanntesten Rapperinnen in Deutschland – bis 2018 war sie Teil des gefeierten Berliner Rapduos SXTN, seit ihrer Trennung ist sie Solokünstlerin. Ende 2018 gewann sie den wichtigen Radio-Award „1Live Krone“ als beste Künstlerin, ihr Album „Habibi“ schaffte es 2019 auf Platz 14 der Charts. Und jetzt auch noch ein Buch.

In „Weißt du, was ich meine?“ erzählt die Sängerin von ihren Anfängen in der Musikbranche, aber auch von der Flucht als dreijähriges Mädchen aus Kuwait nach Deutschland und dem Leben mit der fünfköpfigen Familie in Wuppertaler Flüchtlingsunterkünften. Sie berichtet von ihrer muslimischen Erziehung, dem Bruch mit der eritreischen Mutter, der Zeit in einer Wohngruppe für Jugendliche und ihrem Drang nach Freiheit, die sie schließlich in Berlin findet.

Mit dem Buch will die 31-Jährige ihren Fans Mut machen. „Es ist wie mein Tagebuch, das nun alle lesen können, und ich hoffe, dass sich Menschen darin wiederfinden und im besten Fall aus meinen Erfahrungen Kraft ziehen“, sagt sie. Es sei eine Geschichte, in der nicht immer alles glattgelaufen ist, mit vielen Stolpersteinen, aber auch mit einem guten Ende.

Während Nura davon erzählt, liegt sie auf einem Sofa im Gebäude des Ullstein Verlags in der Friedrichstraße. „Es ist wieder Therapiestunde“, scherzt sie. In den vergangenen Tagen ist sie von Termin zu Termin gehetzt, um ihr Buch zu promoten – gleichzeitig nimmt sie ihr zweites Album auf, bald ist sie zum ersten Mal in einem Kinofilm zu sehen. Gestresst sei sie von der Mehrfachbelastung nicht: „Ich finde das geil. Das ist genau das, was ich immer wollte, und endlich darf ich meine Ideen umsetzen.“ Auf Lesereise geht Nura wegen der Coronakrise aber erst mal nicht.

Luxus ist, ein riesiges Bett für sich allein zu haben

Nuras frühe Kindheit Anfang der neunziger Jahre in Wuppertal ist geprägt von diversen Umzügen, dem Zusammenleben auf engstem Raum mit ihren Großeltern, etlichen Besuchen bei der Ausländerbehörde – aber auch von Herzlichkeit und dem Miteinander unterschiedlichster Kulturen, schreibt sie. „Luxus ist für mich, als 1,60 Meter große Person, ein riesiges Bett ganz für mich allein zu haben“, sagt sie.

Ihre 110 Quadratmeter große Wohnung teilt sie sich heute mit ihrem Bruder Ramadan, der auch ihr Manager ist. In ihrer Jugend habe die Familie zeitweise zu neunt auf etwa 75 Quadratmetern gelebt. „Natürlich ist es toll, sich mit dem musikalischen Erfolg vieles leisten zu können, aber mir ist es wichtig, bescheiden zu bleiben und mich weiterhin über kleine Dinge zu freuen“, sagt sie.

„Weißt du, was ich meine? Vom Aylheim in die Charts.“ Ullstein Paperback, Berlin, 208 Seiten, 15,99 Euro.
„Weißt du, was ich meine? Vom Aylheim in die Charts.“ Ullstein Paperback, Berlin, 208 Seiten, 15,99 Euro.

© Ullstein extra

Ihre Kindheit wird schwieriger, als Nura älter wird. Immer öfter hört sie, was sie nicht darf, schon gar nicht als muslimisches, dunkelhäutiges Mädchen. Einen Freund zu haben, laute Musik zu hören – vieles ist haram, nach islamischem Glauben also verboten. Sie beginnt zu rebellieren, das Verhältnis zu ihrer Mutter wird angespannter, bis sie auf eigenen Wunsch in eine betreute Wohneinrichtung für Jugendliche zieht. Sie kämpft mit Depressionen und Rassismuserfahrungen, singt kaum noch.

Von ihrem Umzug in die Hauptstadt verspricht sie sich mit 18 Jahren viel: „Berlin war der Ort für mich, an dem ich endlich frei sein konnte und mich keiner kennt“, sagt sie. Während sie vorher für ihre Nietengürtel, die bunten Strumpfhosen oder ihre Ratte argwöhnisch begutachtet wurde, schert das in Berlin niemanden. „Ich wollte einfach nur Party machen und mich ausprobieren. Ich hatte ständig Angst, etwas zu verpassen. Im Nachhinein weiß ich, dass ich mich damit bloß abgelenkt habe, weil ich nicht wusste, was ich vom Leben wollte.“

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Das ändert sich, als die Musik wieder stärker in ihr Leben tritt. Sie schließt sich erst der Punkband „The toten Crackhuren im Kofferraum“ an, später dann dem Berliner Kneipenchor. Ihren großen Erfolg feiert sie mit SXTN, das sie zusammen mit ihrer Freundin Judith Wessendorf, kurz Juju, bildet. Mit Songs wie „Fotzen im Club“ halten die zwei der männerdominierten Deutschrap-Szene den Spiegel vor und polarisieren.

Trennung von SXTN fiel mit dem Tod ihres Freundes zusammen

In ihrer Autobiografie äußert sich Nura nun erstmals zur Trennung des Duos und schildert ihre Version, in der es um die teils unterschiedlichen Meinungen der beiden geht und wie sich die einstigen Freundinnen auseinanderlebten. Juju war mit ihrer Sicht der Dinge schon deutlich früher an die Öffentlichkeit gegangen und hatte die Trennung auch damit begründet, dass die Frauen musikalisch eigene Wege gehen wollten.

Warum Nura erst jetzt Stellung bezieht? „Meine Gedanken waren zu dieser Zeit ganz woanders“, sagt sie. Gemeint ist damit vor allem der überraschende Tod ihres Freundes Samson Wieland, mit dem sie den Song „Babe Babe“ aufnahm. Die Trennung von SXTN und der Todesfall folgten kurz aufeinander. „Auf einmal hat mir die ganze Welt beim Trauern zugeschaut und auf eine Antwort gewartet. Dabei wollte ich bloß allein sein“, sagt sie.

Heute geht es Nura besser, sie fühlt sich gefestigt – musikalisch, aber auch privat. Das neue Album erscheint voraussichtlich Anfang kommenden Jahres, ab April will sie deutschlandweit auf Tour gehen. Auch auf dieser Platte bleibt sie beim Rap, schließt aber nicht aus, irgendwann auch mal Rock zu machen. In ihrer Jugend hat sie die härtere Gangart gehört, Bands wie Slipknot und Korn etwa.

Nura (l.) und Juju waren bis 2018 als Rap-Duo SXTN aktiv.
Nura (l.) und Juju waren bis 2018 als Rap-Duo SXTN aktiv.

© M. Kamps/Promo

Ihr neues Album werde inhaltlich definitiv politischer als ihr erstes, kündigt sie an. Nura engagiert sich bereits seit Jahren für Gleichberechtigung in der Rapszene, gegen Homophobie und Rassismus oder macht auf die prekäre Situation von Geflüchteten aufmerksam. Für sie tragen Musiker und Personen des öffentlichen Lebens eine Verantwortung, die jedoch zu wenige annehmen. „Es bringt nichts, an einem Tag eine schwarze Kachel gegen Rassismus auf Instagram zu posten und im nächsten Moment wieder irgendwelche Cremes anzupreisen und die Demoschilder in die Ecke zu werfen. Das ist mir zu wenig“, sagt sie. „Für viele ist Musik eben reines Business, mit dem man nicht anecken will.“

Mit der Familie hat sie Frieden geschlossen

Sie wolle ihren Fans da ein Vorbild sein. Dass es in ihren Songtexten etwa ums Kiffen, Sex und Alkohol geht, ist kein Widerspruch, findet Nura. „Meine Fans sind clever genug, zwischen Künstlerin und Privatmensch zu differenzieren.“ Trotzdem will sie Kritik ernst nehmen. „Zum Beispiel hat mich die Tante eines Fans einmal darum gebeten, auf Instagram nicht ständig meine Joints zu zeigen, und das lasse ich mittlerweile auch.“

Mit ihrer Familie hat Nura wieder Frieden geschlossen. Ihre Mutter und einer ihrer Brüder seien in den Entstehungsprozess des Buches einbezogen worden und auch wenn Nura einige Dinge zum ersten Mal thematisiert, etwa ihre Bisexualität, stünden ihre Angehörigen hinter ihr. „Ich wollte immer nur, dass meine Mama mich so akzeptiert, wie ich bin, und das habe ich erreicht. Alles, was jetzt noch kommt, mein musikalischer Erfolg oder andere Projekte, sind für mich ein Plus.“

Kristin Hermann

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