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Wunschsumme. Michael Müller will 12,63 Euro Mindestlohn.

© Kitty Kleist-Heinrich

Debatte um höheren Mindestlohn in Berlin: Opposition wirft Müller Populismus und Gefälligkeit vor

Berlins Regierender will den Mindestlohn erhöhen. CDU und FDP lehnen das ab. Sie wollen stattdessen die Vergabe öffentlicher Aufträge entbürokratisieren.

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Aus Sicht des Wirtschaftsexperten der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus Christian Gräff ist der Vorstoß von Berlins Regierendem Bürgermeister Michael Müller (SPD) für einen höheren Mindestlohn von 12,63 Euro „purer Populismus“. Und zwar, weil die meisten Branchen vor allem in der Bauwirtschaft, wie er sagt, „ohnehin schon höhere Tariflöhne zahlen“. Nur wenige Gewerke wie die Gebäudereiniger lägen darunter. Für seinen sozialdemokratischen Kollegen Frank Jahnke, wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD- Fraktion, ist es aber dennoch „ganz wichtig“ zu zeigen, „dass Berlin seine soziale Verantwortung ernst nimmt“. Alle Arbeitnehmer müssten später eine auskömmliche Rente haben. „Dafür setzen wir uns mit der Anhebung des Mindestlohns bei den Vergaberichtlinien ein.“

Der Regierende hat das Ausschreibungs- und Vergabegesetz im Blick

Wie berichtet, will der Regierende den so genannten Landesmindestlohn ab 2019 schrittweise auf auf 12,63 Euro pro Arbeitsstunde erhöhen. Das kündigte er in einem Gastbeitrag für den Tagesspiegel an. Dabei hat Müller in erster Linie Berlins Ausschreibungs- und Vergabegesetz im Blick. Das schreibt exakt vor, welche Bedingungen Firmen erfüllen müssen, um öffentliche Aufträge vom Land oder den Bezirken zu bekommen. Ein Kriterium ist hier der Landes- oder Vergabemindestlohn. Die Unternehmen müssen nachweisen, dass sie diesen auf jeden Fall zahlen. Der Landesmindestlohn gilt zwar auch für alle Beschäftigten Berlins, aber eher nur pro forma. Denn im öffentlichen Dienst werden in der Regel höhere Tarife gezahlt. Und mit dem seit 2015 garantierten Mindeststundenlohn, den Arbeitgeber bundesweit aufbringen müssen, hat Müllers Initiative nur im weiteren Sinne zu tun. Diesen generellen gesetzlichen Mindestlohn von derzeit 8,84 Euro will die Bundesregierung bis 2020 auf 9,35 erhöhen.

12,63 Euro braucht jeder Arbeitnehmer, um nicht in Armut abzurutschen

Allerdings hat das Bundesarbeitsministerium jüngst ausgerechnet, dass ein voll beschäftigter Arbeitnehmer, der 45 Jahre in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlt, mindestens 12,63 Euro pro Stunde erhalten muss, um später nicht auf Sozialleistungen zur Grundsicherung angewiesen zu sein. An diesem Wert hat sich Müller bei seinem Vorstoß für den Berliner Mindestlohn orientiert.

Erst im September hatte der rot-rot- grüne Senat eine Erhöhung auf 10,50 Euro beschlossen. Nun legt der Regierende noch 2,13 Euro drauf und geht damit noch etwas weiter als die grüne Wirtschaftssenatorin Ramona Pop. Für sie ist ein Landesmindestlohn von bis zu 11,30 Euro „eine gute Vereinbarung“, wie sie dem Tagesspiegel sagte. Welche Höhe letztlich alterssichernd sei, müsse auf Bundesebene diskutiert werden.

Doch verteuert Michael Müllers Vorstoß nicht unnötig die öffentlichen Investitionen in Berlin, weil erhöhte Lohnkosten in der Regel auf die Rechnungen draufgeschlagen werden? Und droht nicht auch die Gefahr, dass Handwerksbetriebe und Baufirmen wegen der erhöhten Lohnbedingungen des Landes noch schwerer zu bekommen sind als ohnehin schon?

"Investitionen werden teurer, aber das ist uns der soziale Zweck wert"

Etwas verteuerte Investitionen seien durchaus zu erwarten, sagt SPD-Wirtschaftsexperte Frank Jahnke. „Aber das ist uns der soziale Zweck wert.“ Eine verschärfte Suche nach Handwerkern befürchtet er hingegen nicht. Zum einen, weil der Landesmindestlohn ja für alle Anbieter gelte, die sich um eine Ausschreibung bemühen. Aber vor allem, weil die meisten Branchentarife „Gott sei Dank über 12,63 Euro liegen“. In diesem Punkt stimmt Jahnke durchaus mit seinem CDU-Kollegen Christian Gräff überein - zu fragen sei allerdings, ob die Tarife tatsächlich überall gezahlt werden. GräffsKritik, Müller betreibe Populismus, wehrt Jahnke dagegen klar ab.

FDP-Abgeordneter will den Mindestlohn am liebsten ganz abschaffen

Aus Sicht von Gräff muss Berlin bei der Novellierung des Vergabegesetzes „viel wichtigere Dinge korrigieren“ als den Mindestlohn. Die Ausschreibung von Aufträgen sei „extrem bürokratisch“, interessierte Firmen würden von den vielen Bedingungen abgeschreckt. Da müsse man ansetzen, um Handwerker zu gewinnen. So sieht es auch die FDP, deren Wirtschaftsfachmann im Parlament Florian Swyter aber am liebsten den Landesmindestlohn gleich ganz abschaffen würde und Müller vorwirft, seine Initiative sei nur „eine Gefälligkeit für die Genossen“.

Dass die „Entbürokratisierung“ des Gesetzes vorankommt, steht allerdings außer Zweifel. Auch die rot-rot-grüne Koalition will dies entschieden angehen. Zum Beispiel mit einem so genannten "Präqualifizierungsverfahren". Unternehmen müssen nach diesem Vorschlag der Linken nur noch einmal im Jahr bei der jeweiligen Vergabestelle ihre Mindestentlohnung erklären - und nicht erneut bei jeder Ausschreibung.

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