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In neuem Licht: Völlig neu und in der Dimension der fünfziger Jahre präsentiert sich auch das Entree, das zwei stilvoll gestalteten Kassen und einem Shop Platz bietet.

© Mike Wolff

Dauerbaustelle in Berlin: Letzter Akt an der Staatsoper: Restarbeiten

Spielfreie Zeit, aber die Staatsoper-Baustelle ist aktiv – seit der Wiedereröffnung ein gut kaschiertes Problem. Nun warten alle auf den Schlussakkord.

Von Susanne Leimstoll

Der lästigste Nachzügler wird noch Monate bleiben. Er hängt in der Luft und setzt sich nur vorübergehend: auf den dunkelroten Samt des neobarocken Gestühls, auf frisch gewienerte Marmorböden im neuen Entree, auf schwarze Bühnenplanken, auf jeden kleinen Vorsprung. Die Klimaanlage wird ein, zwei Jahre brauchen, ehe sie den schwebenden Staub der acht Jahre währenden Baustelle Staatsoper Unter den Linden restlos verschlungen und verdaut hat.

Im großen Saal kann er an diesem Donnerstag in der spielfreien Zeit tanzen. Die Bühnenscheinwerfer an den Rängen sind zum Schutz in Folie gehüllt, aber vor und hinter und unter und über der Bühne arbeiten mehr als ein halbes Jahr nach der Wiedereröffnung des Hauses noch immer Handwerker, machen Wind, verschrauben Geländer, prüfen Haus- und Bühnentechnik, bringen Lichtschalter, Klinken, Schlösser an, befestigen Heizungsverblendungen. Restarbeiten. Mängelbeseitigung. Normal für jede Baustelle, aber anstrengend, wenn das, wie in den letzten Monaten, bei laufendem Betrieb passieren muss und das zahlende Publikum davon nichts mitbekommen soll.

Zu Beginn der neuen Spielzeit am 15. September wird der Große Saal von einem frisch geputzten und gewarteten Kronleuchter bestrahlt.
Zu Beginn der neuen Spielzeit am 15. September wird der Große Saal von einem frisch geputzten und gewarteten Kronleuchter bestrahlt.

© Mike Wolff

Zehn bis 15 Firmen sind es noch immer täglich, 50 bis 100 Arbeiter im Opernhaus, vor der Sommerpause waren es noch doppelt so viele. Wie Baustellen- und Theaterteam aneinander vorbeikommen, muss organisiert sein. Achim Sell, Baukoordinator der Technischen Direktion, erledigt das seit Januar und noch, bis der Letzte die Baustelle verlässt. Einmal pro Woche hat er sich mit der Bauleitung besprochen, den Spiel- und Probenplan aus der Dramaturgie unterm Arm, und danach tagtäglich geklärt, wann welcher Teil des Hauses geräumt und gereinigt sein musste, wo wie lange gelärmt werden durfte, wann das Lager frei zu sein hatte und, und, und. Theoretisch.

Die neue Bühnentechnik ist komplex

Aber dann ruft die Bühne an und sagt, hier läuft ein Bauarbeiter rum und Sell hastet hin, um den Mann wegzuholen. Oder es schneidet jemand draußen vorm Verwaltungsgebäude mit kreischender Kreissäge Steine, während drinnen die Geschäftsführung konzentriert Verträge besprechen soll. Oder in einer Garderobe wird ein Spiegelbord montiert, wo der Solist sich doch schon in Ruhe einsingen muss. „Das sind so die Kleinigkeiten“, sagt Achim Sell mit einem Schulterzucken.

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Und dann gibt es die größeren Kleinigkeiten. Das neue elektronische Schließsystem im Haus funktioniert irgendwie, aber eben doch nur gelegentlich zuverlässig. Die komplexe, für einen siebenstelligen Betrag angeschaffte Klimatechnik – diverse Anlagen, die im gesamten Opernhaus unterschiedliche Klimazonen regulieren sollen – fällt immer wieder aus. Mal sind etwa der Apollosaal oder der Regieraum gekühlt, mal bullenheiß. Eine Frage der korrekten Steuerung, die noch keiner recht im Griff hat.

Es bestehen Probleme mit der Telefonanlage, immer wieder Ausfälle. Vor Kurzem war nach Arbeiten an der Haustechnik, die Geschäftsführung stundenlang nicht erreichbar. Rufumleitungen leiten nicht um. Das W-Lan arbeitet nicht zuverlässig, weil es im Haus an manchen Stellen kein Netz gibt. Nun muss nachgerüstet werden.

Der letzte Rest: Das Gerüst an der Ostseite der Staatsoper soll im September verschwinden.
Der letzte Rest: Das Gerüst an der Ostseite der Staatsoper soll im September verschwinden.

© Mike Wolff

Weil die Anlage, mit der der Inspizient die Sänger auf die Bühne bittet, gelegentlich durchruft und dann wieder nicht, musste das „Schnittstellenproblem“ vorübergehend ganz altmodisch gelöst werden: mit „Läufern“, Mitarbeitern, die zu den Garderoben sausten. Wichtig nicht nur für den Chor, der aus dem vierten Stock zur Bühne muss. Ohnehin sind viele Wege im umgebauten Haus für Angestellte und Künstler ganz neu.

„Die Entscheidung, die Oper Anfang des Jahres in Betrieb zu nehmen, hat die Baustelle nicht gerade verkürzt“, sagt Ronny Unganz, Geschäftsführender Direktor der Staatsoper Unter den Linden. Dass vom 3. Oktober bis 15. Juli keine einzige Vorstellung abgesagt oder unterbrochen werden musste, rechnen er und Sell allein den Mitarbeitern, vor allem den Bühnentechnikern an. „Was sie alle geleistet haben, ist großartig. Da können wir nur sagen: danke, danke!“

Gerade die Maschinerie der neuen Bühnentechnik sei „hochkomplex“, sagt Sell. „Die Mitarbeiter, die bisher das Schillertheater gewohnt waren, mussten erst einmal lernen, wie das alles bedient wird.“ Die Hersteller wurden verpflichtet, an jedem Spieltag für den Fall eines Ausfalls Fachpersonal zur Verfügung zu stellen. Wichtig etwa für die Inszenierung des „Macbeth“. „Ein irres Bühnenbild“, sagt Sell. „Alles dreht und bewegt sich. Am Nachmittag hatten wir noch eine Havarie, aber am Abend bei der Vorstellung ging alles glatt.“

Neuer unterirdischer Transportweg

Auch in den Tiefen der Staatsoper hat sich alles verändert. Der neue, sieben Meter hohe Tunnel im dritten Untergeschoss, der aussieht wie ein Stück Autobahn, ist der neue Transportweg für Dekoration und Kulissen, für die Materialanlieferung und die Vormontage des Bühnenbildes – für vieles, was früher auf der Hinterbühne erledigt werden musste und Proben blockierte. Ein Bauwerk, das, genau genommen, im Berliner Grundwasser steht und dessen kostspielige Existenz dem Spielbetrieb nun mehr Proben und schnellere Wechsel, auf lange Sicht sogar mehr Vorstellungen ermöglichen soll. Ein neuer, oft hektischer Verkehrsraum, in dem alles garantiert ohne Zwischen- und Unfälle ablaufen muss.

Oben, auf der Haupt- und der linken und rechten Nebenbühne riecht es nach Chemikalien. Ein Maler streicht gelbe Warnfarbe auf schwarze Geländer. Die Wartungsfirmen für die Bühnentechnik sind da. Achim Sell weiß, wer was wo erledigt, den Antrieb der Bühnenelemente prüft, die Schwenk- und Rollensysteme der Drehbühne checkt, die fast lautlos laufen muss, die Funktion der sieben Meter hohen Doppelstockpodien inspiziert, die unterirdisch bestückt werden können.

Im Zuschauerraum, in der Mitte des Saals, liegen quer über zwei Stuhlreihen die Bretter für das Ablassen des mehr als eine Tonne schweren, fast vier Meter hohen Kronleuchters. Zur zweiten Spielzeit werden seine Kristalle und Opalkerzenhülsen gereinigt, seine 300 Birnen ausgetauscht sein. Drei Tage dauert das.

Kleine Montagen, etwa Schlösser an den Notausgängen, sind in Arbeit.
Kleine Montagen, etwa Schlösser an den Notausgängen, sind in Arbeit.

© Mike Wolff

Mitten im Saal steht Ronny Unganz, die Hände in den Hosentaschen, und sieht vergleichsweise entspannt aus. Der letzte Akt der Sanierungsoper nähert sich dem Ende, eine Wiederaufnahme ist nicht geplant. Dass auch in den Ferien Handwerker da sind, bedeutet, dass der Bauherr, das Land Berlin, die allzu lange und um die 440 Millionen teure Baugeschichte zügig zu Ende bringen will. „Wäre schlechter, wenn ich hier niemanden vorgefunden hätte“, sagt Unganz. Eben werden draußen die provisorischen Tickethäuschen, stählerne Container, per Tieflader abtransportiert. Ein Hindernis weniger Unter den Linden, der Bezirk Mitte ist zufrieden, das Opernpalais, das im September sein neues Café eröffnen will, hat schon drauf gewartet.

Unganz zeigt das neue Entree der Staatsoper: Der Raum ist nach Denkmalschutzgesichtspunkten vergrößert, die Kassenboxen wurden nach hinten versetzt. Allerdings: Es gibt nur noch zwei Kassen statt früher vier, gestaltet mit gehämmertem Messing und schwarzem Glas, an jedem Tresen Displays zur Besucherinformation. Der neue Theatershop kann bei großem Andrang zur dritten Kasse umfunktioniert werden, eine mobile Kasse am Übergang von der Tiefgarage zur Oper ist möglich. Doch Unganz hofft, dass sich das Ticketgeschäft weiter ins Internet verlagert. Neuerdings eröffnet sich online beim Anklicken jedes Platzes ein virtueller Blick auf die Bühne. Das erspart die Beratung, man sieht, was man kauft.

Die große, moderne Kantine öffnet sich zum Hof hin, einem neu gestalteten Atrium für Mitarbeiter; die Probebühne, die hier früher stand, befindet sich nun im umgebauten Magazingebäude neben der Intendanz. Der Hof, ein attraktiver, neuer Ort; die Geschäftsführung kann sich vorstellen, dort später Programm zu bieten, Kammermusikkonzerte etwa.

Nur noch zwei statt vier Kassen

Spätestens Anfang Oktober sollen auch die letzten Gerüste an der Staatsoper Unter den Linden verschwunden, die Dacharbeiten erledigt, die Ausbesserungen an den Fugen auf der Nordseite abgeschlossen, die Außentreppen an den Noteingängen perfekt sein. Man wird das Haus dann wieder umrunden können: Derzeit wird der lange Zeit von Containern der Bauleitung versperrte Weg auf der Ostseite gepflastert, die Verlängerung der Straße Hinter der katholischen Kirche wiederhergestellt, die Grünanlage aufgehübscht, eine neue Linde gepflanzt.

Vieles von dem, was Besucher seit der Wiedereröffnung geärgert hat, soll verbessert werden: Über ein praktikables Theatertarif-Ticket für die Tiefgarage wird mit dem Betreiber Q-Park verhandelt, es sollen außerdem Behinderten-Parkplätze direkt vor dem Zugang zur Oper angelegt werden. Und das Problem mit dem stillen Örtchen? Mitarbeiter des Abenddienstes spielen künftig stärker als sonst Wegweiser, damit in den Pausen jeder schnell zu den vier großen oder den etwas versteckten Einzeltoiletten auf den Umgängen findet.

Ronny Unganz, Geschäftsführender Direktor der Staatsoper, ist erleichtert, wenn die achtjährige Sanierungsgeschichte beendet ist.
Ronny Unganz, Geschäftsführender Direktor der Staatsoper, ist erleichtert, wenn die achtjährige Sanierungsgeschichte beendet ist.

© Mike Wolff

Allein die fehlende Beinfreiheit in den Rängen ist nicht mehr zu beseitigen: Die Stühle müssen bleiben wie sie sind. Menschen, die größer als einssiebzig sind, sollten lieber Plätze im Parkett nehmen, da ist jetzt mehr Raum.

Ehe die Spielzeit am 15. September beginnt, wird Ronny Unganz einen Rundgang machen, nachsehen, ob die Türen schließen und die neuen Samtvorhänge vor dem Saal das Licht aussperren, ob die Kassen funktionieren und der Caterer endlich ungehindert Getränke anliefern kann. „Das Ganze“, sagt er, „muss sein wie eine eingerichtete Wohnung“. Alles sauber, alles wie geplant. „Und die Bauarbeiter sind endlich aus dem Wohnzimmer raus.“

Lesen Sie hier mehr zur Dauerbaustelle: In unserem Staatsoper-Dossier

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