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HYGH-Hardware-Chef Antonius Link klebt einen Aufkleber mit Firmenlogo an ein Bürofenster.

© Doris Spiekermann-Klaas

Konkurrenz für Stöer und Wall: Das Berliner Start-up HYGH drängt auf jeden Schirm

Die drei Gründer von HYGH wollen den Markt für Außenwerbung auf den Kopf stellen - mit Bildschirmen beim Bäcker, im Hotel oder beim Spätkauf.

Selbst für so erfolgsverwöhnte junge Männer wie die drei Gründer des Start-ups HYGH (spricht sich wie „high“) muss auch mal ein Weg nach unten führen. Heute sind es die 13 Stockwerke von ihren Büros hinab ins Erdgeschoss des „Tour Total“ in der Europacity am Hauptbahnhof. „Irgendwo Frühstück holen“, murmelt einer. Ist natürlich kein Problem mitten in Berlin um kurz vor 12 Uhr mittags.

Beim ersten Meeting am Tag danach erklären die Gründer trotzdem konzentriert ihren Plan. „Wir wollen den Markt für Außenwerbung revolutionieren. Und zwar weltweit“, sagt Vincent Müller, der mit 24 Jahren der älteste in dieser Runde ist und sich CEO nennen darf. Er ist Verwaltungsmitglied einer Aktiengesellschaft mit Hauptsitz in der Schweiz, an deren so einiges revolutionär bis abenteuerlich scheint – darunter das Finanzierungsmodell. Das ergibt für Außenstehende mehr Sinn, wenn man etwas tiefer in die naturgemäß noch sehr kurze Firmengeschichte dieses Start-ups einsteigt.

Müller und seine Freunde, Partner und Mitgründer Antonius Link, Chef für die Hardware, und Fritz Frey, verantwortlich für die Investor-Relations, waren kräftig mitgeschwommen auf der Bitcoin-Welle. Sie handelten mit diversen Krypto-Währungen. Link berichtet – nur als ein Beispiel–, wie er einmal umgerechnet 2000 US-Dollar in eine dieser Währungen investiert hatte und der Wert dieser Anlage zwischenzeitlich auf virtuelle 480 000 Dollar angeschwollen war, bevor er das Geld wieder komplett verlor.

„Das waren Wildwestzeiten“, erklären die Drei mehrfach in dem Gespräch. Und sie klingen dabei, als würden sie von anno dazumal berichten. Dabei liegt das bisherige Rekordhoch des Bitcoins, der weltweit bekanntesten virtuellen Währung, nicht einmal zwei Jahre zurück.

Die Gründer des Berliner Startups HYGH in ihrem Büroräumen im Tower Total in der Europa-City (v.l.n.r.): Investor-Relations-Chef Fritz Frey (23), Hardware-Chef Antonius Link (23) und Vorstandschef Vincent Müller (24).

© Doris Spiekermann-Klaas/Tagesspiegel

Jedenfalls sammelten die drei so viel Kapital, dass sie auf die Idee kamen, eine Agentur für Kryptowährungen zu gründen. Ihre Firma sollte auch Kleinanleger beraten, damit sie erfolgreich mitspielen können. Um dieses Geschäftsmodell umzusetzen, hätte ihre Agentur aber buchstäblich den Leuten auf der Straße bekannt werden müssen. Also nahmen die drei Krypto-Cowboys Kontakt auf zu den beiden Unternehmen, die genau dafür sorgen können mit ihren Zehntausenden Werbeflächen an Häuserwänden, an Plakaten an Bus- und Toilettenhäuschen, auf Flachbildschirmen in Bahnhöfen und Einkaufszentren.

Wall und Ströer brachten die Gründer auf die Idee

Sie sprachen bei der Wall AG des mittlerweile verstorbenen Gründers Hans Wall (die heute dem weltweit tätigen französischen Konzern JCDecaux gehört) und der ebenfalls international aufgestellten Ströer Media mit Zentrale in Köln vor. Zunächst seien sie nach ihrem Werbebudget gefragt worden, berichten sie. Schnell sei ihnen klar geworden, dass die etablierten Platzhirsche auch gegen ein Honorar von 50.000 Euro keine derart große Kampagne auf die Straße bringen würden, die helfen würde, ihre junge Firma binnen kurzer Zeit berühmt zu machen. Also wurde der Plan geändert. Müller, Link und Frey gründeten ihre eigene Außenwerbefirma. Die heißt HYGH.

Das spreche man wie das englische „high“ aus, was ja „hoch“ bedeutet, wobei der ein oder andere Anrufer am Telefon auch schon mal fragen würde, ob er denn hier bei der Firma „Hügh“ gelandet sei. Schneller schließt sich die Aussprach beim Lesen der Internetadresse – die erfreulicherweise noch verfügbar gewesen sei. Sie lautet www.hygh.tech.

HYGH versteht sich als Tech-Firma. Man wollte der Airbnb unter den Außenwerbefirmen werden. Ähnlich wie der weltberühmt und berüchtigte Zimmervermittler – aber anders als Wall und Ströer – will man bei HYGH nicht ein paar ganz große Räder drehen, sondern lieber sehr viele kleine, mitunter winzige. Konkret will HYGH Werbung auf eigenen – aber auch zunehmend auf fremden Bildschirmen ausspielen. „Jedes Unternehmen kann irgendwo im Laden einen Bildschirm aufstellen und damit passives Einkommen erzielen, indem es Werbung in seinen Geschäftsräumlichkeiten schaltet“, erklärt Link. Das könne ein Hotel sein, ein Bäckerladen oder ein Restaurant, ein Spätkauf. Und Kunden könnten Werbeplatz auf diesen Bildschirmen buchen – und zwar viel zielgerichteter als bisher.

Werbung schalten nach Tageszeit und Wetterlage

So schaltet ein Bäcker vielleicht nur an einem Bahnhof zwei Stunden werktags am Morgen, ein Eisladen nur im Kiez und automatisch bei Sonnenschein – oder wahlweise bei Regen, da er bei gutem Wetter eh schon genügend Kunden hat. Bis Ende des Jahres will HYGH in Berlin 250 große Bildschirme des Herstellers Samsung installieren, um zu zeigen, wie es geht. Die Firma gab erst vergangene Woche die Einigung auf Lieferung von 5000 Bildschirmen der Koreaner bekannt.

Meeting einiger Mitarbeiter der HYGH-Zentrale im Total-Turm in der Europacity am Potsdamer Platz. Vor anderhalb Jahren waren die Gründer zu dritt, jetzt beschäftigt das junge Unternehmen rund 60 Mitarbeiter.

© Doris Spiekermann-Klaas/Tagesspiegel

Werbung soll mit HYGH flexibel, spontan, hyperlokal und zielgerichteter möglich sein – und vor allem erschwinglich für jedermann. Vielleicht sogar einem verliebten Privatmenschen, der seinem oder seiner Angebeteten auf dem Weg zur Arbeit eine öffentliche Botschaft am Wegesrand senden will? Auch mit dieser romantischen Vorstellung haben die Drei schon Investoren geworben.

Immerhin 2000 Individuen haben die Gründer von der Idee überzeugt. Und diese schieben ihr Geld über ein hierzulande noch nicht etabliertes Finanzierungsmodell in die Firma. Mit 500 Euro ist man dabei, es können mehrere Millionen sein. Investoren erwerben keine Aktien oder ähnliche stimmrechtsberechtigte Anteile an der Firma, sondern sogenannte Security Token Offerings (STOs), eine spezielle Anlageform, die – wie die Kryptowährungen – auf der Blockchain-Technologie basiert. Security Token Offerings (STOs) seien deutlich stärker reguliert als die umstrittenen Initial Coin Offerings (ICOs), erklärt der Finanzchef Frey. Neun Prozent ihres Umsatzes schüttet HYGH in den ersten Jahren aus.

Mehrere deutsche Börsen würden derzeit prüfen, wie sie dieses Finanzvehikel handeln können. In der Schweiz, genauer im für seine kreative Firmenregulierung bekannten Kanton Zug, der sich auch als „Kryptovalley“ etabliert hat, sei das kein Problem. Deshalb sei die Dachgesellschaft von HYGH auch ebenda registriert. „Steuern bezahlen wir aber ganz normal hier in Berlin. Und wir schließen mit Mitarbeitern deutsche Arbeitsverträge“, beeilt sich Müller zu erklären.

Frey verdiente sein erstes Geld mit dem Testen von Energy-Drinks

Alle drei Gründer sind Studienabbrecher: Antonius Link, der Fritz Frey seit frühen Jugendtagen in Köln gut kennt, hatte Maschinenbau in Aachen studiert und dann nur noch kurz Wirtschaftsingenieurwesen an der TU Berlin. Frey machte sein erstes Geld als Schüler mit einem Internetportal, auf dem er Energydrinks testete – was irgendwann viele Tausend Fans jeden Tag auf seine Seite lockte. Hersteller schickten ihm ihren süßen Klebstoff palettenweise ins Haus. Irgendwann hatte er die Nase voll und versuchte sich in BWL, bis der Erfolg mit den Kryptowährungen kam.

Vincent Müller, gebürtiger Charlottenburger, wuchs in Spanien, Deutschland und England auf, versuchte es mit Jura und Praktika – darunter auch bei der Wall AG. Auch er wollte nicht die klassische Karriere. Link nennt den Paypal- und Tesla-Milliardär Elon Musk als Vorbild, Kollege Frey den Amazon-Gründer Jeff Bezos, den zeitweilig reichsten Menschen der Welt. CEO Müller tut sich mit einer Wahl schwer: „Ich gehe meinen eigenen Weg.“

Die Gründer von HYGH sind junge Typen, denen man zweifellos die Freude darüber anmerkt, wie gut es sich für sie gefügt hat: 13. Stock mit Blick über Berlin („Wenn wir high heißen, können wir ja kaum im Keller sitzen“). Dazu fast 60 Mitarbeiter. Das alles macht schon was her – auch wenn die drei Gründer den Beweis noch schuldig sind, dass man diesen Milliardenmarkt, der von sehr finanzkräftigen Spielern kontrolliert wird, aufmischen kann. „Wir sind aber nicht angetreten, um ein Fun-Projekt zu machen“, stellt Müller klar.

Ob HYGH durchstartet, wird man sehen. Immerhin ging schon einmal, vor 165 Jahren, von Berlin aus ein Ruck durch die damalige Welt der Außenwerbung: Der Drucker Carl Litfaß installierte seine ersten „Annoncier-Säulen“, neun Jahre später erhielt er das Monopol dafür, und machte damit ein Vermögen. Seit 1990 hält die Wall AG den entsprechenden Betreibervertrag für die Litfaßsäulen mit dem Senat. Dieser läuft zum Jahresende aus.

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