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Berlin: „Da ich Regierender Bürgermeister werde …“

Streitgespräch, Teil 1: Der Amtsinhaber und sein Herausforderer von der CDU über gebührenfreie Kindertagesstätten und Unterrichtsausfall.

Lorenz Maroldt: Herr Wowereit, Sie haben gesagt, Sie würden sich gern mehr in die Bundespolitik einmischen. Was versprechen Sie sich davon?

Klaus Wowereit: Bundespolitik ist für alle entscheidend wichtig, viele Dinge wie die Gesundheitspolitik oder das Steuerrecht wirken direkt auf die Bürgerinnen und Bürger hier in Berlin. Deswegen ist es wichtig, dass wir über die Funktion im Bundesrat oder als Mitglied im SPD-Präsidium Einfluss nehmen. Da gibt es in der zweiten Legislaturperiode sicherlich die eine oder andere stärkere Akzentuierung. Berlin hat sich schon jetzt bundespolitisch eingemischt, und wir werden das in Zukunft auch tun.

Maroldt: Können Sie hier und heute sagen, dass Sie die nächsten fünf Jahre, sollten Sie denn gewählt werden, Regierender Bürgermeister bleiben, oder werden Sie vielleicht demnächst Bundeskanzler werden?

Wowereit: Wollen Sie mich los werden, Herr Maroldt?

Maroldt: Sie haben ja so ein schönes linkes Bündnis in Berlin geschmiedet, und für viele sind Sie da ja ein Hoffnungsträger.

Wowereit: Ich bin nicht auf Jobsuche, sondern ich habe eine interessanten Job. Ich will in der kommenden Legislaturperiode Regierender Bürgermeister von Berlin sein.

Maroldt: Herr Pflüger, Sie haben jetzt gesagt, egal, wie die Wahl ausgeht, ich bleibe auf jeden Fall in Berlin in der Landespolitik. Wenn Sie die Wahl verlieren, werden Sie Fraktionsvorsitzender, geben Ihr Bundestagesmandat auf und auch Ihren Posten als Parlamentarischer Staatssekretär. Ist das jetzt eine Last-Minute-Entscheidung, um doch noch mal zu dokumentieren, ich meine es ernst, um noch irgendwas vorbringen zu können von Ihrem Stand von 21 oder 22 Prozent, gegenüber den 32 ungefähr, die die SPD zur Zeit hat?

Friedbert Pflüger: Eine solche Entscheidung trifft man nicht vor dem Hintergrund von Umfragen. Das sind gewachsene Lebensentscheidungen. Ich will Regierender Bürgermeister werden. All jenen, die wie Herr Wowereit behaupten, ich sei nur auf der Durchreise, sage ich, ich bleibe in jedem Fall in der Landespolitik — auch im Fall einer Niederlage, weil mir Berlin absolut ans Herz gewachsen ist, weil meine Familie und ich hier gerne leben und weil wir finden, dass das eine so großartige Stadt ist, die besser regiert werden muss. Ich werde mich mit ganzem Einsatz, mit Haut und Haaren dieser großartigen Stadt verschreiben. Und ich finde, wir sollten uns freuen über jeden, der nach Berlin kommt und sich voll und ganz für unsere Stadt einsetzt.

Wowereit: Kürzlich haben Sie mit guten Argumenten begründet, warum Sie das gerade nicht tun wollen. Es ist doch schön, wenn Sie nun sagen, das war ein Fehler. Nur: Ein bisschen Beständigkeit kann nicht schaden. Noch am vergangenen Sonnabend haben Sie in der Hannoveraner Neuen Presse im Interview gesagt: Meine Heimat ist Hannover, das halte ich hoch und heilig.

Pflüger: Ich bin in Hannover geboren und da aufgewachsen, meine Mutter lebt dort. Ich finde, dass Hannover meine Heimatstadt ist, das ist doch das Natürlichste von der Welt. Die vielen Berliner, die in Schlesien, in Pommern und sonst wo geboren sind, die wollen doch ihre Heimat auch erhalten. Und ich habe in diesem Interview ganz klipp und klar gesagt, ich bin nicht mehr Bundestagsabgeordneter nach dem 17. September, ich werde mich ganz auf Berlin konzentrieren. Aber meine Heimatstadt halte ich in meinem Herzen auch heilig. Das steht überhaupt nicht im Widerspruch zu meinem Berlin-Bekenntnis.

Maroldt: Herr Wowereit, Bildungspolitik ist eines der wichtigsten Zukunftsthemen Berlins. Mit welchem Koalitionspartner können Sie Ihre Vorstellungen von Schulpolitik am besten umsetzen? Sie haben in den letzten Tagen eindeutig gesagt, Einheitsschule wollen Sie nicht und keinen Kulturkampf gegen das Gymnasium. Die PDS sagt ganz klipp und klar, dies ist unser Projekt für die nächste Legislaturperiode.

Wowereit: Die SPD hat sehr gerne auf Parteitagen den Gedanken der Gesamtschule immer wieder beschlossen. Das ist ja auch bildungstheoretisch richtig. In anderen westeuropäischen Ländern ist die Gesamtschule, Einheitsschule oder wie Sie das auch nennen wollen, ja traditionell. In Deutschland haben wir das gegliederte Schulsystem, das ist historisch gewachsen. Es macht keinen Sinn, gegen eine breite Mehrheit, die Gymnasien will, hier einen anderen Schultyp durchzusetzen. Einen Kulturkampf können wir in dieser Stadt nicht gebrauchen. Es wird mit mir auch keine Koalitionsvereinbarung geben, dass wir in der nächsten Legislaturperiode die Gymnasien abschaffen und durch Gesamtschulen ersetzen sollen. Ich habe allerdings sehr viel Sympathie dafür, dass Schulkonferenzen und Schulgemeinschaften über ihre eigene Zukunft diskutieren, und habe nichts dagegen, wenn einzelne Schulen sich umwandeln wollen in Gesamtschulen.

Maroldt: Stichwort Privatschulen. Die Zahl der Schüler an Privatschulen ist auf 26 000 gestiegen in den letzten Jahren. Schulsenator Böger könnte sich eine Verdoppelung vorstellen. Ist das für Sie auch ein positiver Trend?

Wowereit: Ob das ein positiver Trend ist, will ich nicht abschließend beurteilen. Wir haben anerkannte Privatschulen, die können jederzeit auch tatsächlich neue Schulen aufmachen, wie die Evangelische Kirche oder die Katholische Kirche als Träger. Wenn es mehr Schülerinnen und Schüler gibt, dann werden diese Klassen selbstverständlich finanziert im Rahmen der Beschlussfassung. Wenn Eltern entscheiden, mein Kind soll auf eine Privatschule, dann ist das das legitime Recht. Die Eltern versuchen, für ihr Kind das Beste zu erreichen.

Maroldt: Sie sehen darin nicht ein Zeichen besonders großer Unzufriedenheit vieler Eltern mit dem Schulsystem?

Wowereit: Das ist eine Entscheidung der Familien. Warum auch nicht. Damit ist teilweise die Hoffnung verbunden, vielleicht mit einer besseren sozialen Mischung, mit Eltern, die engagierter sind als andere Eltern, bessere Bedingungen für das Kind zu haben. Darauf muss die öffentliche Schule eine Antwort finden. Es darf nicht zu einer Situation kommen, dass die öffentliche Schule aus Sicht der Eltern so schlecht ist, dass man sagt, man muss den Weg in die Privatschule gehen, damit man eine adäquate Ausbildung für sein Kind findet.

Maroldt: Herr Pflüger, was hat der Senat in der Schulpolitik falsch gemacht? Und was würden Sie anders machen, wenn Sie denn könnten?

Pflüger: Unterrichtsausfall ist in Berlin ein enormes Problem, auch in diesem Jahr sprechen Experten von 600 000 Stunden Unterrichtsausfall. Ich setze dagegen, was Hessen und Niedersachsen gemacht haben: Unterrichtsgarantie. Herr Wowereit sagt zum Thema Einheitsschule, er will keinen Kulturkampf gegen die Gymnasien führen. Ihr Koalitionspartner PDS erklärt dagegen, ab dem Schuljahr 2011 gibt es nur noch Gemeinschaftsschulen. Dies ist im Falle einer Regierungsbeteiligung der PDS nicht verhandelbar.

Wir wollen die Einheitsschule nicht, wir wollen schulische Vielfalt in Berlin, wir wollen die Durchlässigkeit, und wir wollen Gymnasien erhalten, weil wir so glauben, dass leistungsfähige Schüler am besten gestärkt werden und auch diejenigen Schüler, die nicht so leistungsfähig sind, es in anderen Schulformen besser haben, zu einem vernünftigen Abschuss zu kommen. Und die Privatschulen haben weniger Förderung durch Rot-Rot bekommen.

Besonders kritisiere ich die „flexible Eingangsphase“. Wir werden drei Jahrgänge, manchmal sogar vier Jahrgänge in ein und derselben Klasse haben. Das ist schlecht für die Schüler. Gerade am Anfang brauchen sie Berechenbarkeit, brauchen sie ein klares System und Klassenkameraden und nicht dieses ideologische Experiment gegen den Wunsch vieler Eltern und Lehrer in Berlin.

Maroldt: Im Wahlkampf spielt eines der heißen Berliner Themen der letzten Jahre, nämlich die Finanzpolitik, überhaupt keine Rolle. Ist die CDU mit dem, was in den Jahren da passiert ist, so zufrieden?

Pflüger: Die Konsolidierungspolitik ist zu spät, aber sie ist begonnen worden, und sie ist absolut notwendig. Wir müssen den Haushalt konsolidieren, wir brauchen spätestens im Jahr 2010 wieder einen verfassungsgemäßen Haushalt, und wir müssen alles tun, um das auch zu erreichen. Aber die enorme Belastung Berlins ist in den letzten fünf Jahren nicht gesunken, sondern gestiegen. Wir haben 20 Milliarden zusätzlicher Schulden zwischen 2001 und 2005 gemacht. Berlin hat heute 60 Milliarden Schulden. Das ist nun wahrlich nicht alles Wowereit und Sarrazin zuzuschreiben, das hat langfristige strukturelle Gründe.

Der Hauptgrund ist die viel zu schnelle Rückführung und Streichung der Berlin-Förderung und der Berlin-Hilfe durch den Bund. Also, es gibt tiefgreifende strukturelle Ursachen, aber die müssen wir angehen. Wir können nicht nur eine Klage in Karlsruhe machen, sondern müssen Bund und Länder überzeugen, das ist eure Hauptstadt, die ihr nicht kaputtgehen lassen dürft. Ganz unabhängig davon, wie Karlsruhe ausgeht, müssen wir einen Hauptstadtpakt verhandeln zur Entschuldung und zur Wiedererlangung der Finanzspielräume von Berlin.

Und dann müssen wir eine ganze Menge im eigenen Haushalt machen. Ich schlage zum Beispiel mehr Private Public Partnerships vor, um neues Geld zu generieren, oder zwei zusätzliche Spruchkammern im Bereich Asyl, das würde uns allein 50 Millionen Euro im Jahr sparen, indem wir eben schneller und klarere Entscheidungen bekommen. Mit 50 Millionen mehr könnten wir dann unsere Schulen wieder in Ordnung bringen. Wir müssen neue Wege gehen. Wir haben die Länder und den Bund nicht mitgenommen, deswegen sind die jetzt stinksauer, dass Herr Wowereit sagt, wir machen die drei Kita-Jahre umsonst.

Maroldt: Sie sind also nicht einverstanden mit der Beitragsfreiheit bei den Kitas?

Pflüger: Die Beitragsfreiheit ist ja ein guter Gedanke. Unglaubwürdig ist sie, weil in den letzten fünf Jahren die Kitagebühren immer weiter angehoben wurden, und jetzt heißt es plötzlich, es soll alles umsonst sein. Das glaubt doch kein Mensch. Und die anderen Länder stoßen Sie vor den Kopf. Bevor man einen solchen Vorstoß macht, müsste man doch mit den anderen Länderchefkollegen reden und Akzeptanz für einen solchen Schritt bekommen. So ist das ein lächerlicher Wahlkampfgimmick geworden.

Wowereit: Natürlich haben wir einen solchen Hauptstadtpakt probiert. Wir haben es schriftlich von der Bundesregierung bekommen, dass sie nicht daran denkt, uns auch nur einen Cent über Bundesergänzungszuweisungen zu geben. Nur dadurch konnten wir die Klage in Karlsruhe erst erheben. Die Vertreterin der Bundesregierung, der Sie angehören, hat dort gegen Berlin argumentiert, Berlin gehe es so gut, dass Berlin gar keinen Anspruch hat. Das ist die Gefechtslage. Aber wir wären nicht nach Karlsruhe gegangen, wenn wir nicht tatsächlich selber unsere Hausaufgaben gemacht hätten, sonst hätte die Klage von vornherein keine Aussicht auf Erfolg gehabt.

Wir müssen unsere Hausaufgaben selber machen, wir müssen uns messen lassen. Wir haben in Karlsruhe bewiesen, dass wir uns den Ausgabeniveaus der anderen Länder angepasst haben, bis auf wenige Bereiche. Das ist Bildung beispielsweise, Kita, da haben wir Ausstattungsvorsprünge, und die wollen wir auch behalten. Wir haben ja mit Mühe die Hauptstadtklausel durchbekommen, wonach der Bund für die Repräsentanz der Republik in der Hauptstadt auch die Kosten zu tragen hat. Das heißt noch nicht, dass wir direkt Geld bekommen. Wir haben den Menschen vieles zugemutet in dieser Stadt, weil wir in vielen Bereichen umstrukturieren mussten. Es war nicht immer zum Nachteil, auch weniger Geld hat manchmal Strukturen verändert, die verkrustet waren, und hat neue Kräfte freigesetzt.

Zur Frage Kitagebühren: Wir haben bereits beschlossen, dass das dritte Kitajahr kostenfrei sein sollte. Das hat Rheinland-Pfalz auch beschlossen, Saarland möchte es tun, Ihr Kollege Rüttgers in Nordrhein-Westfalen diskutiert das auch, es ist also eine bundespolitische Debatte. Wenn wir das dritte Kitajahr freistellen, muss das auch für das zweite und erste gelten. Das muss in der nächsten Legislaturperiode passieren. Das sind 38 Millionen Euro, die da zusätzlich erforderlich sind, und das werden wir durch die Haushaltsplanaufstellung auch sicherstellen. Das ist wichtig für die Familien. Die sind bereits stark belastet und brauchen dringend die finanzielle Entlastung zusätzlich zum Elterngeld.

Pflüger: Dass es grundsätzlich gut ist, weiß ja jeder. Aber wenn das alles wahr ist, was Sie eben über die Notwendigkeit sagen, warum haben Sie dann in den letzten fünf Jahren die Kitagebühren ständig erhöht und erklären jetzt, kurz vor den Wahlen, wir wollen sie gänzlich abschaffen?

Wowereit: Wir haben sie nicht ständig erhöht, wir haben sie in dieser Legislaturperiode einmalig erhöht und dabei für weit über 50 Prozent der Kinder und Eltern gar keine Erhöhung gemacht, sondern für die höheren Einkommensgruppierungen. Und da sage ich auch klipp und klar: Aus der damaligen Sicht war das richtig. Heute haben wir eine andere, bundespolitische Debatte. Berlin ist im Kitabereich immer Vorreiter gewesen. Ich glaube auch, dass das gut ist und eine Diskussion hervorruft in der ganzen Republik.

Pflüger: Es sind ja fast alle Bundesländer, die Sie dafür kritisiert haben.

Wowereit: Nein, das ist falsch.

Pflüger: Es sind mindestens fünf, die sich geäußert haben.

Wowereit: Wir haben noch 15 weitere…

Pflüger: Niedersachsen hat sich geäußert, Sachsen hat sich geäußert, Schleswig-Holstein hat sich geäußert, NRW hat sich geäußert…

Wowereit: Nein, NRW führt ja die Debatte über die Einführung.

Pflüger: Was wird Karlsruhe sagen? Die werden nicht sagen, du Niedersachsen zahlst das, du Bund zahlst das. Sondern die werden einen allgemeinen Grundsatzbeschluss treffen nach dem Motto: Berlin muss jetzt stärker geholfen werden. Dann gehen die Verhandlungen los, und dann wäre es doch eigentlich klug, die anderen Bundesländer und die Bundesregierung als Verbündete zu gewinnen, anstatt sie vor den Kopf zu stoßen. Die haben Sie in helle Aufregung versetzt. Aber Sie als Regierungschef, Sie sind eben nicht nur Wahlkampfpopulist, sondern Sie haben eine Verantwortung für das ganze Berlin, und da müssen Sie, finde ich, bei allem was Sie tun, Rücksicht nehmen auf die Wirkung in anderen Ländern.

Wowereit: Also Herr Pflüger, wenn wir im Abgeordnetenhaus in der nächsten Legislaturperiode den Vorschlag machen, stimmen Sie dem Vorschlag der Regierung als Oppositionsführer zu, das erste und zweite Kitajahr kostenfrei zu stellen?

Pflüger: Da ich Regierender Bürgermeister werde, stellt sich diese Frage nicht.

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