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Gemeinwohlorientierte Lösungen für die öffentliche Verwaltung stehen beim Creative Bureaucracy Festival im Fokus.

© Getty Images

Creative Bureaucracy Festival: Gemeinwohl als Gesamtziel

Beim Creative Bureaucracy Festival dreht sich ab Freitag alles um Innovationen im Öffentlichen Sektor. Im Fokus steht dabei das Thema Gemeinwohl.

Gemeinwohl als Beruf – wer dazu etwas wissen will, etwas Grundlegendes, der soll wo suchen? In der Bibel. Ja doch, die ist mehr als ein Geschichtsbuch. Sie ist ein Lehr- und Lernbuch für alle, die sich ums Gemeinwohl sorgen; sorgen im Sinne von die Sorge tragen, sich kümmern. Und der zentrale Begriff dafür ist: „der Nächste“.

So wird es beschrieben von den Fachleuten, die sich mit dem Ursprung und der Entwicklung des Themas befassen: Der Nächste ist der, der mich braucht. Sobald ich jemanden leiden sehe und ich seine Not lindern oder abstellen kann, ist er mein Nächster. Die Not dieses Nächsten ist meine Pflicht, ich kann mich ihr nicht entziehen, ohne mich an der Gesellschaft zu versündigen. Denn die Gesellschaft war und ist auf diesem Prinzip der Nächstenliebe aufgebaut.

So entsteht Sozialität – und ein Recht auf Hilfe in der Not. Soziale Hilfe war früher im Wesentlichen Nachbarschaftshilfe. Sie konnte von Gemeinden übernommen werden, war nicht notwendigerweise Sache des Staates. Heute, in unseren westlichen Gesellschaften, in Europa, ist das Sozialsystem nach dem Subsidiaritätsprinzip aufgebaut. In dem hilft die Gemeinschaft, wenn es der Einzelne nicht kann. Das Prinzip, von christlichen Denkern mitentwickelt und formuliert, bedeutet in der heutigen Politik: Der Bund sucht zunächst Helfer, „Träger“, auf Landes- oder Städte-Ebene, sucht, bevor er selbst soziale Verantwortung wahrnimmt.

300 Speaker kommen zum diesjährigen Creative Bureaucracy Festival 2018 in der Humboldt-Uni in Berlin-Mitte.
300 Speaker kommen zum diesjährigen Creative Bureaucracy Festival 2018 in der Humboldt-Uni in Berlin-Mitte.

© Thilo Rückeis

Womit wir an einem schwierigen Punkt wären. Gerne wird die Verantwortung delegiert, an Zuständige, Beamte. Ja, und wir, die wir die Gesellschaft bilden, vom Gemeinwohl profitieren, helfen vornehmlich durch: Steuern. Wir zahlen, damit der Staat dem sozialen Auftrag nachkommt. Zum Beispiel Geld für Arbeitslose bereithält.

Träger der sozialen Verantwortung

Der Nächste kann also der „Träger“ sein, der Beamte, der Politiker. Sich gegenseitig zu verstehen, die Herausforderungen, die Probleme – dem diente unlängst das Zukunftsforum Soziale Arbeit im Tagesspiegel, gemeinsam mit der Senatsverwaltung für Finanzen. Denn alle Sozialität erfährt eine praktische Ausprägung. In diesem Fall die Sozialarbeit, das Rückgrat unserer Gesellschaft, um auch diejenigen aufzurichten, die es weniger glücklich getroffen hat.

Gesellschaftliche Anerkennung, Entlohnung, die Überlastung, dazu die finanzielle Ausstattung überhaupt: Das Thema wird insofern größer, komplexer, als die Gesellschaft sich wandelt, Nachwuchskräftemangel auf Rentenabgänge trifft, offene Stellen unbesetzt bleiben. Da geht es um Tarifeingruppierungen ebenso wie um die individuelle Wertschätzung; und um Gestaltungsmöglichkeiten – über den Staat hinaus –, um Menschen zur Gemeinwohlarbeit zu aktivieren.

Vor dem Hintergrund beantwortet sich die Frage, ob es reicht, das Soziale besonders durch Steuern zu steuern? Dem Gemeinwohl geht es umso besser, je mehr sich finden, die sich engagieren, die darein investieren. Indem wir einander helfen und und uns eben auch ehrenamtlich engagieren. Ganze Stadtteile profitieren davon, wenn beispielsweise Bibliotheken erhalten werden oder Kontaktcafés.

Hilfe durch den Staat

Wer wem hilft oder nicht – bei der Antwort auf diese Frage hilft der Staat. Über die Steuern wird Menschen geholfen, die man nie gesehen hat. Das ist gut – könnte, sollte aber zugleich auch ein Anreiz für den Einzelnen sein. Auch wieder als ein Beispiel: Anstelle des bedingungslosen Grundeinkommens, über das gerade viel geredet wird, könnte der Einzelne auch soziale Arbeit anbieten und dafür entlohnt werden. Gemeinwohl als Beruf? Gemeinwohl als Berufung. Nach dem Grundsatz: Diene dem Gemeinwohl, und das Gemeinwohl dient dir.

Es geht um die besten Ideen für eine moderne Verwaltung: von Freitag bis Sonntag auf dem Creative Bureaucracy Festival 2019.
Es geht um die besten Ideen für eine moderne Verwaltung: von Freitag bis Sonntag auf dem Creative Bureaucracy Festival 2019.

© Kai-Uwe Heinrich

Das Sozialstaatsprinzip verlangt ja – dies nur zur Erinnerung – eine ausreichende Ausrichtung darauf hin, um erhalten zu werden. Und das Subsidiaritätsprinzip greift, wo private Träger überlastet sind. Trotzdem ist der Einzelne nicht aus der Verantwortung entlassen.

Womit wir wieder bei dem wären, was aus der Bibel und den Kirchen kommt, in diesem Fall der katholischen mit ihrer Soziallehre. Deren vier Prinzipien – Personalität, Solidarität, Subsidiarität, Gemeinwohlprinzip – helfen auch der Moderne auf.

Neuer Aspekt Nachhaltigkeit

Ende des 20. Jahrhunderts ist nämlich zusätzlich noch das Prinzip der Nachhaltigkeit hinzugekommen. Was bedeutet: Die Sozialprinzipien sind bis heute aktuelle Grundlage für die Gestaltung einer Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung.

Schlag nach bei Experten: Die Personalität des Menschen ist das grundlegende Prinzip. Die unbedingte menschliche Würde, unabhängig von Geschlecht oder sozialer Herkunft, dazu die Erkenntnis, dass der Mensch zum Dialog und zur Begegnung mit einem „Du“, einem Gegenüber, befähigt und geradezu verpflichtet ist; dass er und sie einmalig und frei und sich selbst bewusst ist, mit Vernunft begabt – das alles steckt den Rahmen ab für den Umgang mit „dem Nächsten“. Schon gar, wenn einer, eine Gemeinwohl als Beruf nimmt, im Sinne von Bewahren und Hüten wählt und wahrnimmt.

Das Ego hintanstellen

Die katholische Soziallehre hilft hier, die Grenze zu ziehen und zu verstehen: kein übertriebener Individualismus, nichts nur aufs Ego reduziert. Wirtschaftssystematisch bedeutet das: kein rigoroser Liberalismus. Aber andererseits auch kein Diktat des Kollektivismus, kein Kommunismus. Hier öffnet sich ein „dritter Weg“, wie er in der Politik oft gesucht worden ist. „Alles, was in der Gesellschaft (und Wirtschaft) geschieht, muss nach dem Personalitätsprinzip an der Würde, den Rechten, der Freiheit und den Bedürfnissen des Menschen orientiert werden.

So haben alle gesellschaftlichen Einrichtungen den Menschen als Ziel und müssen darauf bedacht sein, dass er seine Personalität auch leben kann, das heißt, dass die Menschen mit einem Minimum an materieller Sicherheit und Besitz ausgestattet sind, um nicht vollkommen von anderen abhängig zu sein.“

Wohl des Einzelnen immer im Kontext

Auf andere verwiesen zu sein, gehört zum Wesen des Menschen. Das Wohl des Einzelnen ist immer mit dem Wohl der Gemeinschaft verbunden, Menschen sind auf Gemeinschaft ausgerichtet. Aber es geht um ein solidarisches Verständnis von Gesellschaft. Heißt: Der Einzelne hat auch seinen Auftrag für die Gemeinschaft, hat Verantwortung für andere, nicht nur die Gemeinschaft oder Gesellschaft hat Verantwortung. Der Einzelne muss sich, damit das Prinzip funktioniert, in der Gesellschaft und für sie einsetzen. Sein und Sollen, gewissermaßen.

Das „Creative Bureaucracy Festival“ versammelt einmal im Jahr die Innovatoren des öffentlichen Sektors auf allen Ebenen.
Das „Creative Bureaucracy Festival“ versammelt einmal im Jahr die Innovatoren des öffentlichen Sektors auf allen Ebenen.

© Kai-Uwe Heinrich

Ja, die Bibel: Eine biblische Begründung des Solidaritätsprinzips wird in den Schöpfungsberichten gegeben. Und Gott, der mit den Menschen solidarisch ist, fordert ihre Solidarität untereinander. Die Bergpredigt als Aufruf zur Nächstenliebe, die Berufung der zwölf Apostel, das Gleichnis vom barmherzigen Samariter (wo konkrete Solidarität zum entscheidenden Kriterium für das menschliche Leben überhaupt wird), die Forderung nach tätiger Solidarität in dem Satz: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“. Das ist alles ganz praktisch.

Gerechtigkeit als Berufung

Dafür Menschen zu gewinnen, gehört dann geradezu zwingend zu diesem Ziel: Menschen, die nach Gerechtigkeit streben und darin eine Berufung sehen. Die bei den gesellschaftlichen Entwicklungen das Ganze mitdenken und die Einzelinteressen auswiegen. Wie heißt es in diesem Lehr- und Lernbuch: „Alles, was ihr also von anderen erwartet, das tut auch ihnen.“ Das ist die Goldene Regel. Sie verlangt, den anderen dieselben Rechte zuzugestehen, die wir für uns selbst in Anspruch nehmen, und uns für diese Rechte einzusetzen.

Gut so, nicht? Soll aber keiner die Subsidiarität vergessen. Wer es nicht mehr aus eigener Kraft schafft, erhält Hilfe. Am besten zur Selbsthilfe. Was der Einzelne leisten kann, sollte er nicht der größeren Gemeinschaft überhelfen wollen. Was aber eben dieser Einzelne selbst leisten kann und wo er und sie genau auf die Unterstützung der Gesellschaft, des Staates angewiesen ist – die Diskussionen darüber werden weitergehen, müssen auch weitergehen. Weil zum Beispiel Wachstum nicht immer garantiert ist.

Wobei klar wird: Gemeinwohl als Prinzip bedeutet, dass Gemeinwohl das Gesamtziel der Gesellschaft sein muss. Und dem dient das Creative Bureaucracy Festival 2019.

Creative Bureaucracy Festival 2019

Das Festival findet am 20. und 21. September in der Humboldt-Universtität zu Berlin in Mitte statt. Weitere Informationen gibt es hier: www.creativebureaucracy.net.

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