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Klimaschutz bewegt die Menschen und die Politik - das macht sich auch bei der Klimaschutzorganisation Atmosfair bemerkbar.

© Frank Rumpenhorst/dpa

CO2-Ausstoß: Immer mehr Menschen gleichen ihre Flüge aus

Flugreisen durch Klima-Spenden zu kompensieren wird zum Trend - die Branche boomt. Vorne mit dabei: Das Kreuzberger Unternehmen Atmosfair.

Die Sitzgurte sind angeschnallt, die Tische hochgeklappt, das Flugzeug rollt zur Startbahn. Grund zur Freude: der Urlaub beginnt! Und Grund für Sorgenfalten: Durch eine Flugreise, beispielsweise nach Australien, ist der CO2-Ausstoß jedes einzelnen Passagiers beinahe so hoch wie sonst die eigene Kohlendioxid-Emission als Person im ganzen Jahr – neun Tonnen. Und CO2 trägt wesentlich zum Klimawandel bei, weil es verhindert, dass Wärme ins Weltall entweichen kann. So heizt sich die Erde ständig weiter auf.

Es gibt die Möglichkeit, den CO2-Ausstoß für eine Flug- oder Kreuzfahrt zumindest auszugleichen, indem man einem Anbieter von CO2-Kompensationsprojekten Geld für ein entsprechendes Klimaschutzprojekt spendet. Und das machen immer mehr Flugreisende: Der führende Anbieter, die gemeinnützige Gesellschaft Atmosfair aus Berlin, hat im vergangenen Jahr fast die Hälfte mehr eingenommen als 2017. Bei diesen Kompensationszahlungen gewinnen alle Seiten, denn alle Einzahler, ob Urlauber oder Geschäftsreisende, können sie bei der Steuer geltend machen.

Immer größere Sensibilisierung für den CO2-Verbrauch

„Im vergangenen Hitzesommer hat eine deutliche Aufwärtsbewegung begonnen, weil der Klimawandel kein abstraktes Konstrukt mehr, sondern spürbar ist“, berichtet Julia Zhu, eine der Sprecherinnen der „atmosfair gGmbH“ in der Zossener Straße in Kreuzberg. Früher habe es nach dem Winter, wenn viele in die Sonne fliegen und dann fürs bessere Gewissen Geld für ein Klimaschutzprojekt überweisen, einen Peak gegeben, der dann im Frühjahr vorbei war. „Das Tal im Frühjahr gibt es aber nicht mehr, wir waren im ersten Quartal 2019 weiter konstant auf hohem Niveau.“ In Zahlen: Im vergangenen Jahr wurden rund 9, 5 Millionen Euro zugunsten von CO2-Vermeidungsprojekten eingezahlt, im Jahr 2017 waren es noch 6,8 Millionen Euro. Das ist ein Zuwachs von fast 45 Prozent. 2010 waren es noch 2,1 Millionen Euro.

„Insgesamt zahlt aber deutlich unter ein Prozent aller Privat- und Geschäftsreisenden, die fliegen, eine Kompensation, um den Ausstoß des Treibhausgases wenigstens an anderer Stelle zu vermeiden, insgesamt sind das etwa eine halbe Millionen Flugreisen jedes Jahr.“ Auf der Internetseite kann man jeweils seine Flugstrecke eintippen, dann wird berechnet, wie hoch die CO2-Belastung und damit die Summe der empfohlenen Kompensationszahlung ist. Man muss aber nicht alles zahlen, jeder Fluggast kann selbst entscheiden, wie viel er freiwillig gibt. Zugleich erhält man einen Spendenbeleg für die Steuererklärung. „Die Zahl der Anfragen aus dem privaten Bereich wächst kontinuierlich“, berichtet Zhu.

Auch die Bundesregierung kompensiert ihre Flugkilometer

Eines der Internet-Berechnungsbeispiele: Bei der Strecke Frankfurt am Main – New York und zurück liegt die Klimabelastung zwischen 2,3 und 3,8 Tonnen CO2, je nach Sitzreihen und Modell. Bei Atmosfair könnte man die Reise mit 71 Euro ausgleichen. „Über 9000 Meter Flughöhe sind die Klimawirkungen besonders belastend, nicht nur wegen des Kohlendioxids. Der Wasserdampf, die Kondensstreifen, die Stickoxide haben dort eine besonders aufheizende Wirkung“, sagt Zhu.

Die Überweisungen kommen hauptsächlich von Bundesbürgern, aber auch aus dem Ausland. „Wir haben zunehmend Anfragen von Firmen aus den Vereinigten Staaten und aus europäischen Ländern“, sagt Zhu. Natürlich spiele auch die gesellschaftliche Lage eine Rolle, die Fridays-for-Future-Proteste. Auch die Bundesregierung kompensiere ihre Flugkilometer. „Dabei geht es uns nicht nur darum, zu kompensieren, wir beraten Unternehmen auch generell zu Mobilität.“ So checken die Kreuzberger Atmosfair-Experten über ein Berechnungstool, für welche regelmäßigen Routen es welche nachhaltigeren Alternativen gibt, zum Beispiel Telekonferenzen.

Bei Atmosfair sind rund 25 Mitarbeiter tätig, zudem gibt es viele Beschäftigte in den Projektländern. Mit dem Geld stellt Atmosfair in Ländern, in denen die Menschen viele fossile Brennstoffe benutzen, erneuerbare und energieeffiziente Technologien zur Verfügung, zum Beispiel Biogasanlagen statt offenem Feuer, das das im Holz gespeicherte CO2 freisetzt. Solar-Home-Systeme ersetzen bei der Stromversorgung Kerosinlampen oder Dieselgeneratoren.

Kooperationen mit den großen Deutschen Firmen

In Ruanda etwa seien schon die Hälfte aller Bäume als CO2-Aufnehmer weg, 98 Prozent werden nicht nachgepflanzt. So hilft Atmosfair, damit die Menschen auch dort nicht mit Holz heizen und kochen, das dann wiederum das bei der Fotosynthese gespeicherte CO2 wieder freisetzt. Atmosfair bemüht sich zudem, den Verbrauch von Feuerholz zu reduzieren, auch um Atemwegserkrankungen bei den Menschen zu vermeiden. So sei Klimaschutz auch Armutsbekämpfung, heißt es bei Atmosfair. Zudem würden nachhaltige Arbeitsplätze geschaffen und auch Frauen gefördert.

Ab einer gewissen Spendensumme setzt Atmosfair mit Unternehmen auch gezielt eigene Projekte um. So gibt es mit der DHL und ihrem grünen Versand ein Projekt in Lesotho. Auch der Tagesspiegel-Fachdienst Mobilität und Transport berichtete jetzt, dass viele große Firmen ankündigen, ihren CO2-Fußabdruck reduzieren zu wollen. Der Technologiekonzern Bosch wolle ab 2020 alle dienstlichen Flüge der Mitarbeiter eigeninitiativ kompensieren.

Die Lufthansa will laut „Welt“ ab sofort Ausgleichszahlungen für Dienstreisen leisten. Allianz, Deutsche Bank, Deutsche Post und Commerzbank seien dem Bericht zufolge schon länger dabei. Und das, obwohl allein börsenorientierte Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten seit 2017 verpflichtet sind, im Rahmen der CSR-Richtlinie einen Einblick in verursachte Emissionen zu gewähren. Auch Städte kooperieren mit der Klimaschutzgesellschaft.

[Weitere Infos unter: atmosfair.de, primaklima.org, myclimate.org, climatecare.org, greenseat.com]

So setzt Atmosfair dank der Ausgleichzahlungen von Hamburg ein Projekt zur Kompostierung unvermeidbarer Restemissionen in Tansania um, organische Abfälle werden in Energie umgewandelt. Atmosfair unterhält auch in der Geflüchtetenhilfe Projekte, etwa im Irak, wo der Strom für die Versorgung teils aus Solaranlagen gewonnen wird. In einem Flüchtlingscamp des UNHCR in Ruanda sind dank der Spenden von Fluggästen effizientere Öfen angeschafft worden.

"Wir brauchen einen neuen Lifestyle-Code"

Atmosfair will auch innovative Wege beschreiten, hieß es auf Tagesspiegel-Nachfrage – es liege ja nahe, Firmen und Prominente der Musik- und Entertainmentindustrie zu motivieren. In ihren Youtube-Chillout-Filmen schlendern junge Leute dekorativ über Traumstrände auf jenen Inseln, die wegen des steigenden Meerespegels in wenigen Jahrzehnten vom Untergang betroffen sein werden, wenn nichts mehr geschieht.

„Wir müssen umdenken“, appelliert Julia Zhu, „und einen neuen Lifestyle-Code auch unter Jugendlichen anregen, bei dem es nicht mehr als hip und cool gilt, sich mit dem Cocktail in der Hand irgendwo weit weg auf dem Selfie zu posten.“ Wer Geld überweist, „erhält damit aber keinen Freifahrtschein fürs gute Gewissen. Damit kann nur angerichteter Schaden kompensiert werden.“ Richtig sei die Reihenfolge: „vermeiden vor reduzieren vor kompensieren“. Zunehmend verzichten Firmen ganz auf Dienstflugreisen, dem Klima und der Erhaltung der Erde zuliebe. Oder spendieren Mitarbeitern sogar zusätzliche freie Tage, wenn sie am Boden bleiben. Andere Anbieter kompensieren auch schon gefahrene Autokilometer.

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