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Berlin: Christina Heimlich (Geb. 1920)

„Det vasteh ick nich, dazu bin ick noch zu kleen“

Seit 1949 fuhr Christina Heimlich mit ihrem cremefarbenen Cadillac diese endlose Straße entlang, über flache bewaldete Hügel, vorbei an sich gleichenden Häusern aus Holz, an Eichen und Götterbäumen, auf die die Menschen von Falls Church, einem Vorort von Washington D.C., nur wenn es stürmt und die Stämme sich bedenklich biegen, mit bangen Blicken schauen.

Vor 1949 lief sie zu Fuß durch die verschütteten Berliner Straßen, vorbei an Ruinen, an Menschen, die ein Bündel Holz unter ihren Mänteln verbargen, zusammengeklaubt im Tiergarten, um sich ein wenig zu wärmen.

Den Theatern und Kabaretts, vor denen sich wenige Jahre zuvor noch die Menschen im Licht der Leuchtreklamen gedrängt hatten, fehlten die Dächer und Fenster, es zog, es regnete auf die zerschlissenen Sitze und in die Kulissen. Christina Heimlich, damals noch Christina Ohlsen, war dennoch fest entschlossen, selbst auf brüchigen Bühnenbrettern zu stehen, zu spielen und zu singen. Eigentlich wollte sie tanzen, Dornröschen sein oder der sterbende Schwan. Eine Gallensteinoperation aber beendete die Ballettlaufbahn, die vielversprechend begonnen hatte. Um Geld zu verdienen, trat sie im „Kabarett der Komiker“ auf. Günter Neumann, Leiter des Kabaretts „Die Insulaner“, schrieb ihr satirische Texte, Polemiken auf das Leben in der geteilten Stadt, zwischen amerikanischen und sowjetischen Agenten, bedrängt von westlicher und östlicher Propaganda.

Beim RIAS, dem Hörfunk mit klarem politischen Auftrag, wurde sie „die Stimme Berlins“, sang als „Tina, das Botenkind“ jeden Dienstag und jeden Donnerstag ein Lied mit wechselnden Strophen, dem aber immer gleichen Refrain, den die Kinder auf der Straße krähten: „Det vasteh ick nich, det vasteh ick nich, dazu bin ick noch zu kleen.“

Beim RIAS begegnete ihr auch Bill Heimlich, amerikanischer Geheimdienstoffizier und von 1948 bis 1949 Direktor des Senders, mit der Order, die Berliner Bevölkerung auf die richtige Seite zu ziehen.

Privat gelang ihm dies durchaus, auch wenn es Hindernisse zu überwinden galt. Nur im Verborgenen konnten sich die beiden anfangs treffen. Denn zum einen gab es den Befehl „no fraternisation“, der die Verbrüderung mit dem Feind streng untersagte. Zum anderen war Bill Heimlich verheiratet. Doch die Dinge fügten sich. Nach dem Ende der Blockade sollte der Tonfall des Kalten Krieges entschärft werden, Bill Heimlich wurde zurück in die USA berufen, trennte sich von seiner Frau und bat Christina, ihm zu folgen.

Sie bereute es nie, die Berliner Enge gegen die amerikanische Weite eingetauscht zu haben. Endlich konnte sie sich ganz und gar dem Tanz widmen. Sie brachte Kindern ihr Wissen von der Bewegung des Körpers bei. Es sollte nicht nur um Drill und Disziplin wie in ihren Mädchentagen bei rigorosen russischen Tanzlehrern gehen. „Ich wollte“, sagte sie, „dass die Kinder ihre Vorstellungskraft gebrauchen.“ Sie gründete die „International School of Dance“, choreografierte Bühnenstücke, die in einer nahegelegenen Kirche geprobt, in „Wolf Trap“, einer Art Washingtoner Waldbühne, im „Kennedy Center“ oder im Weißen Haus aufgeführt wurden. Sie erhielt Auszeichnungen und Ehrungen.

2001 schrieb sie an Freunde in Berlin: „Es ist nun fünf Jahre her, dass mein Bill von mir ging.“ Und weiter: „Meine Mutter hatte nichts weiter zu tun, als Klavier zu spielen, mit der Köchin das jeweilige Menü zu planen und sich den Kopf zu zerbrechen, welche Seidenbluse sie zum nächsten Kaffeeklatsch anziehen solle. Ich zerreiße mir den Kopf immer wieder, ein neues Programm auf die Beine zu stellen. Es hört nicht auf. Aber offensichtlich hält mich dieser Trubel aufrecht.“

Bis zum Schluss war Christina bei jeder Probe dabei. Und wenn ihr ein Schritt, eine Drehung, nicht vollendet genug erschien, stand sie auf und tanzte noch mal selbst. Tatjana Wulfert

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