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Blicke hinter die Kulissen in den Werkstätten von Bühnenservice Berlin, Deutschlands größtem Theaterausrüster.

© Amélie Baasner

Hinter Berliner Theaterkulissen: Bühne frei für die Selbstausbeutung

Sie verzichten auf gute Gehälter und Freizeit – und bewahren Handwerksberufe: Junge Leute entbehren viel, um Teil des Berliner Kulturbetriebes zu werden.

Kai Bosse stammt aus Stuttgart. Seine Berufung, Schauspieler zu werden, hatte er mit 18 Jahren in Chicago entdeckt. Sein Handwerkszeug lernte er in Köln – und ergatterte dann erste Filmrollen. Doch Bosse will ein Star werden. Also kam der heute 23-Jährige vor einem Jahr nach Berlin.

Der Berliner Schauspieler Kai Bosse.

© privat

Hier will er durchstarten, wohl wissend, dass man gerade in der Hauptstadt nicht auf ihn gewartet hat. Die Konkurrenz ist groß. Aber Kai Bosse ist augenscheinlich sehr gut in dem, was er tut, und er hat Mut. Das muss reichen. Denn mit den rund 800 Euro, die ihm pro Monat zur Verfügung stehen, kann er sich keine großen Sprünge erlauben.

Jeder Cent, den er übrig hat, investiert er in sich selbst: In Workshops, in Sport, in Castings. Clubs besucht er so gut wie nie.

Ende Oktober steht Bosse in einer Abschlussinszenierung eines Absolventen der Universität der Künste, Europas größter Kunsthochschule, auf der Bühne. Es ist eine Neuinszenierung des Stücks „Ein Kind unserer Zeit“, auch wenn Bosse eigentlich zum Film möchte. Später will er Regie führen, beim Gedanken an Kameraeinstellungen leuchtet sein Gesicht.

Zur Karriere als Filmschauspieler fehlt ihm noch die passende Schauspielagentur, und für die Schauspielagentur fehlt ihm die fast obligatorische Rolle im „Tatort“. „Ein Gespräch unter vier Augen mit einem Agenten, dann habe ich gewonnen, das weiß ich. Aber dazu kommt es nicht so einfach“. Kai will gesehen werden.

Mehr als 50 Berufe allein rund ums Theater

Fast niemals gesehen sind die zahllosen anderen jungen Menschen hinter den Bühnen und hinter der Kamera am Set. Mehr als 50 verschiedene Berufe gibt es allein rund um das Theater, dazu kommen noch die zahlreichen Quereinsteigern ohne Berufsausbildung.

Blick in die Schusterei des Unternehmens Bühnenservice der Stiftung Oper in Friedrichshain.

© Amélie Baasner

Der Bühnenservice Berlin unter dem Dach der Opernstiftung ist europaweit einer der größten Theater-Dienstleister. Dort werden unter anderem die Kulissen, Kostüme, Schuhe, Kleider und Requisiten für das Deutsche Theater, das Staatsballett, die Deutsche Oper und die Komische Oper hergestellt.

Geschäftsführer Rolf D. Suhl erklärt, dass sein Team Lieferungen für Produktionen in wenigen Wochen auf den Punkt herstellen und liefern kann. Nicht selten gehören dazu über 300 Kostüme, die den Darstellern auf den Leib geschneidert werden müssen.

Bühnenservice Berlin ist zugleich der größte Ausbilder der Stadt im Bereich Theater. Aktuell lernen dort 30 Azubis in drei Jahrgängen, unter dem Dach der Stiftung Oper sind es weitere 30. Insgesamt gibt es in den institutionell geförderten Einrichtungen Berlins rund 200 Azubis. Auf jede Ausbildungsstelle kommen jährlich mehrere hundert Bewerber.

Bühnenservice ist auch der größte Ausbildungsbetrieb der Berliner Theaterlandschaft.

© Amélie Baasner

Der Standort ist aufgrund seiner vielfältigen Kulturszene besonders interessant und die Ausbildungsplätze sind dementsprechend begehrt. „Unsere Ausbildung ist hochwertig, jedes Jahr haben wir unter den Ausgelernten Preisträgerinnen und Preisträger im deutschlandweiten Wettbewerb“, sagt Suhl.

„Unsere Ausbildung ist hochwertig“

Hauptsorge aller Beteiligten ist der Wegfall von Zuschüssen von Seiten des Landes für die 2019 neu eingestellten Auszubildendenverhältnisse. Suhl warnt: Wenn die Ausbildung ab 2020 nicht weiter gefördert wird, drohe seinem Ausbildungsbetrieb das Aus. Und damit auch einem Stück Kultur, jahrhundertealtem Handwerk und Tradition. „Nicht mehr auszubilden, das wäre eine Katastrophe“, ruft eine resolute Meisterin durch die Werkstatt und schwenkt zur Bekräftigung ihrer Worte ein langes Papprohr, welches sie probeweise auf eine Kopfbedeckung montiert.

Die Auszubildende Theresa Krauss.

© Amélie Baasner

Theresa Krauss hatte noch Glück und hier einen Ausbildungsplatz als Schuhmacherin ergattert. Wegen der Personalnot wird sie direkt an einer Produktion beteiligt. Ihr Händedruck ist fest, ihr Gesicht fröhlich. „Ich habe erst studiert und dann gemerkt, das ist wirklich nicht meins. Irgendwann war dann mein Schuh kaputt und ich wollte ihn selbst reparieren. Und jetzt bin ich hier“, grinst sie.

Hinter der Nähmaschine in der Schneiderei sitzt der Schülerpraktikant Ben, noch müht er sich ab. Später will er Modedesign studieren, an welcher Hochschule weiß er noch nicht. Beim Bühnenservice macht er zunächst sein Fachabitur.

Über zwei Stunden dauert die Führung durch riesige Hallen, gefüllt mit überdimensionalen Barbie-Puppen, Silikon-Fischen, glitzernden Kleidchen und abgehackten Gummihänden. Über zwei Stunden spricht Geschäftsführer Suhl ununterbrochen von seinen Azubis, die alle irgendwann zurückkommen, manche nach einer Weltreise, andere erst nach Jahrzehnten. „Wir übernehmen unsere Azubis, so oft wir können.“

„Es ist schön, dass wir alle brennen, ja! Davon lebt Theater, davon lebt Schauspiel“

Auch an kleineren Standorten ist man mächtig stolz auf die Azubis. Nina lernt am Wintergarten-Varieté Veranstaltungskauffrau und kennt das Haus bereits seit mehreren Jahren. „Ich habe als Minijobber angefangen, war dann aber jeden Abend da. Der Wintergarten ist mein Zuhause, ich möchte hier erstmal nicht weg.“

Auch Hüte und Hauben machen sie bei der Bühnenservice Berlin.

© Amélie Baasner

Die energische junge Frau kennt die Geschichte des Theaters auswendig, rezitiert den Spielplan der letzten Jahre und weiß genau, mit welchen Schwierigkeiten die Kellner im Halbdunkel zu kämpfen haben. Kaum betritt sie für ein kurzes Foto die Bühne, flammen sämtliche Scheinwerfer auf, ein Spot verfolgt sie und die Technik brüllt von hinten: „HOLLYWOOD!“

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Auf die Frage nach Überstunden lächelt sie nur mild. „Im Winter spielen wir jeden Tag, da geht man schon ab und zu um 4 Uhr früh nach Hause. Manche Kollegen schlafen dann einfach in einer Loge. Das gleicht sich aber alles wieder aus, im Sommer kann ich die Überstunden problemlos abbummeln.“ Man lasse nicht einfach den Löffel fallen, man brennt für das, was man tut.

Azubi Alexander Stucke.

© Amélie Baasner

„Es ist schön, dass wir alle brennen, ja! Davon lebt Theater, davon lebt Schauspiel“, sagt Luisa-Céline Gaffron, erst kürzlich nominiert für den Deutschen Schauspielpreis in der Kategorie Nachwuchs. Auch müsse man Kosten-Nutzen anders rechnen. „Manche Produktionen, die ich umsonst gemacht habe, waren für meine Karriere bedeutender als ein gut bezahlter Job“, berichtet sie. „Aber Fragen wie Mindestlohn, Equal pay und korrekte Arbeitsverhältnisse sind auch in diesem Berufsfeld absolut relevant. Man darf die Leidenschaft der Menschen nicht ausnutzen“, fordert sie.

Die Schauspielerin Luisa-Céline Gaffron.

© Amélie Baasner

Gaffron spricht leidenschaftlich über Feminismus, den Klimawandel, Rassismus und die gesellschaftliche Relevanz der Theater. „Wenn man fragt, braucht Berlin wirklich so viele Theater, dann lautet die Frage eigentlich: Welche Gesellschaft wollen wir sein? Wollen wir eine Gesellschaft sein, in der Raum für Kreativität ist, Raum für Austausch und gemeinsame Prozesse?“

Die Arbeit an einem Theaterstück sei demokratisch, alle Beteiligten setzten sich hin und fragen sich, was könne jede und jeder dazu beitragen, was könne man anders machen. „Und gleichzeitig gibt es die Möglichkeit zu scheitern, manchmal kann man ein Stück einfach nicht umsetzen. Und dann ist die Frage: Wo gibt es in unserer Gesellschaft heute überhaupt noch die Möglichkeit zu scheitern?“

Jeden Tag stoßen junge Leute mit ihrer Arbeit den Zuschauern in Theatersälen und vor dem Bildschirm Türen in andere Welten auf. Zugleich haben Talente wie Kai Bosse, der angehende TV-Star, oder Theresa Krauss, die angehenden Schumacherin selbst gerade einmal einen Fuß in der Tür zu ihrer Arbeitswelt.

Amélie Baasner

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