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Stempel und Akten sind Sinnbilder der Bürokratie.

© Patrick Pleul/dpa

Bürokratie in Berlin: Amt – aber doppelt

Wer in Berlin seinen Ausweis verliert, der kann was erleben – denn gerade, wenn man ihn wiederbekommt, gibt es einiges zu tun. Ein Erlebnisbericht

Oje, der Ausweis ist weg. Verloren, gestohlen? Keine Ahnung. Aber weg ist er. Und das mitten in der Stadt. Ehe irgendjemand sein Unwesen damit treiben kann, schnell zur Polizei.

Eine Wache ist rasch gefunden, der Beamte vergibt ein Aktenzeichen und sagt: Das Geld ist wohl weg, der Ausweis findet sich aber oft wieder. Auch nach Diebstählen. Also lautet der Rat: Nicht sofort zum Bürgeramt, zumal, wenn man einen Pass hat.

Richtig, die Bürgerämter haben eh viel zu tun: Erst in sechs Wochen gäbe es den nächsten freien Termin. Und der wäre natürlich am anderen Ende der Stadt, zeigt ein rascher Online-Check. Aber vorsorglich doch mal anmelden?

Der Polizist sagt noch: Taucht der Ausweis wieder auf, zurück zur Wache und das Dokument vorzeigen. Persönlich. Damit es wieder aus der Fahndung herausgenommen wird.

 Alles wieder da, wie toll!

 Ach, das tut man doch gern, als nach ein paar Tagen Ausweis und Geld (!) gefunden werden. Es wird sogar beides abgegeben. Welch ein Glück – und welch netter Finder. Der ist nur leider anonym geblieben; da kann man nicht mal danke sagen. (Darum hier auf diesem Weg.)

Die Polizistin auf der Wache sagt, der Ausweis werde sogleich aus der Fahndung genommen. Dass am nächsten Tag noch einmal einer ihrer Kollegen wegen der Verlustanzeige anruft – geschenkt. Nun ist der Ausweis aber wirklich wieder frei. Doppelt genäht hält bekanntlich besser.

Die Anzeige bei der Polizei reicht nicht

 Nur ganz so einfach ist es nicht. Vier Wochen später: Post vom Bezirksamt. Man habe bei der Polizei den Verlust des Ausweises angezeigt, heißt es in einem Zweiseiter mit allerlei Paragraphen. Nach § 27 Nr. 1 Satz 3 Personalausweisgesetz „sind Sie verpflichtet, den Verlust bei der zuständigen Personalausweisbehörde anzuzeigen“. Bei einem Bürgeramt. Persönlich. Die Anzeige bei der Polizei „ersetzt nicht die Verlustanzeige“.

Der erste Gedanke: Ein Versehen, das hat sich doch erledigt, der Ausweis ist ja wieder da.

Weit gefehlt! Auf Seite 2 steht, dieser Paragraph verpflichte auch, anzuzeigen, wenn der Ausweis zurück sei. Bei einem Bürgeramt. Persönlich. Mit dem Dokument.

Immerhin nennen sie auch gleich einen Link, um „einen Termin für Ihre persönliche Vorsprache“ zu buchen. Der allerdings überholt ist.

Wochen später rattern die Drucker im Bürgeramt 

Wochen später auf dem Bürgeramt. Vorsichtige Frage an die Dame: Sie wollen mich veräppeln, oder? Alle wissen um die überlasteten Bürgerämter, warum nehmen Sie das alles nochmal auf? Die Antwort, mit großem Ernst: Nein. Die sind die Polizei, wir die Pass- und Meldebehörde. Aber das Amt hat die Informationen doch längst von der Polizei bekommen! Es gibt kein Vertun: Der Ausweis wird auch hier angeschaut.

Dann rattert der Drucker. Erstmal die „Anzeige über den Verlust eines Personaldokuments“, anschließend die „Anzeige über das Wiederauffinden eines Personaldokuments“. Jeweils eine Seite mit Stempel und Unterschrift am Schalter für die „anzeigende Person“, danach landen auch Ausdrucke in je einem Körbchen fürs Amt und für die Polizei. So viel Trennung muss sein. Über einen neuen Ausweis kein Wort.

Frage an die Direktorin des Landesamtes für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (Labo), Kirsten Dreher, warum das so ist. Spontan entfährt ihr: „Na da müssen sie ja nicht auch zum Bürgeramt.“ Aber sie bittet darum, das bei der Senatsinnenverwaltung zu checken, die sei fürs Melderecht zuständig. Eigentlich habe immer alles „gute Gründe“.

Ist die Polizei nicht offiziell?

Welche Gründe das wohl sind? Auf dem Ausweisportal des Bundesinnenministeriums heißt es: Sollte man einen Ausweis wiederfinden, möge man das beim Bürgeramt melden. Natürlich persönlich. Denn erst wenn „Sie Ihren Personalausweis als ‚aufgefunden‘ offiziell gemeldet haben, wird ein entsprechender Eintrag bei der Polizei gelöscht“.  Dann kann man ihn weiter nutzen. Ja, was denn nun?

Offiziell war das bei der Polizei doch erledigt. Persönlich. Eintrag gelöscht, so die Polizisten. Vor Wochen. War das gar nicht offiziell?

Nach alter Berliner Schule?

Vielleicht hilft ein Blick in die Historie, mit Unterstützung der Mitarbeiter der Polizeihistorischen Sammlung: Früher war in der Stadt die Polizei auch fürs Meldewesen zuständig. 1986 wurde im Westteil der Stadt schließlich das Landeseinwohnermeldeamt (LEA) gegründet, um die Zuständigkeiten zu trennen. Eine ganze Zeit lang waren die Meldestellen noch in den Gebäuden der Polizeiwachen untergebracht.

Labo-Chefin Dreher zeichnet die weitere die Historie nach: Im Februar 2001 wechselte die Zuständigkeit in die Bezirke. Seit 2005 mit einer weiteren Neuordnung heißt das ehemalige LEA Labo, Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten.

Jeder hat seine Praxis

Kann die Innenverwaltung das doppelte Behörden-Lottchen in Sachen Ausweise aufklären?

Dort verweist ein Sprecher auf den nächsten Pararaphen: § 11 Abs. 5 Personalausweisgesetz regele den Informationsaustausch zwischen Polizei- und Personalausweisbehörde – unverzügliche gegenseitige Information. Was übrigens keine Berliner Besonderheit ist. Man muss aber auf jeden Fall auch zum Bürgeramt. Persönlich.

„In der Praxis“, sagt der Sprecher der Innenverwaltung, weise die Polizei darauf hin. Es sei denn, sie tut in der Praxis genau das Gegenteil, wie die eigene Erfahrung zeigt. Der Sprecher erklärt: Zuständig dafür, „den wiedergefundenen Personalausweis in Augenschein zu nehmen und über dessen weitere Verwendung oder Einbehalt zu entscheiden“, seien die Personalausweisbehörden. Denn sie müssten prüfen, ob der Ausweis verändert oder beschädigt sei. Das kann die Polizei nicht erkennen?

Der Sprecher betont, dass in den Bürgerämtern „grundsätzlich kein Termin“ für die Anzeige von Verlust und Wiederfinden nötig sei. Während das Bürgeramt in seinem Brief ausdrücklich auf die Buchung eines Termins hinweist.

Mehr als 22 000 Ausweise wurden allein 2018 gestohlen

22.310 Personalausweise und 3.869 Pässe wurden allein im Jahr 2018 gestohlen gemeldet, sagt die Innenverwaltung. Nach Angaben der Polizei tauchen ziemlich viele davon wieder auf. Und viele Besitzer dann wohl bei der Polizei wie auch auf den Ämtern.

Auf einen Punkt weist keiner der Gesprächspartner hin: Wie andere Länder ihre polizeilichen Informationssysteme nutzen, darauf haben die deutschen Behörden keinen Einfluss. Es könnte sein, dass ausländische Behörden einen wiedergefundenen Ausweis nicht anerkennen oder sogar einziehen. Wer dieses Risiko für den nächsten Urlaub oder auf einer Dienstreise im Ausland ausschließen will, sollte vorsichtshalber einen neuen Ausweis beantragen. Also nochmal zum Bürgeramt. Persönlich.

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