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Foto: Michael Kappeler/dpa

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Bürgerinitiative „Moabit hilft“: Zu Besuch bei den streitbaren Helfern vom Lageso

Als vor einem Jahr Not am Lageso herrscht, sind sie bis zum Umfallen im Einsatz: die Mitglieder der Bürgerinitiative „Moabit hilft“. Ihr Engagement wird gelobt, aber auch scharf kritisiert.

Wir haben die Hoffnung noch nicht aufgegeben,“ sagt Ronja Lange. Damit meint sie nichts Dramatisches: nur die Rasenaussat im Vorgarten ihres Vereinslokals an der Lehrter Straße und den Spatz, der die Samen wieder wegpickt. Der Vorgarten mit gemütlichen Bänken sah vor Kurzem noch wüst aus; Flüchtlinge, Kunden und Mitarbeiter von „Moabit hilft“ haben ihn gerade angelegt.

Im August 2015, während des Ansturms tausender Anreisender aufs Lageso an der Turmstraße, hatten sich die Aktivisten von „Moabit hilft“ bundesweit profiliert: Sie waren die Superhelden, die den Einsatz hunderter Freiwilliger koordinierten und verhinderten, dass alles noch schlimmer wurde. „Moabit hilft“ kritisierte selbstbewusst und scharf staatliches Versagen, aber auch karitative Institutionen – seitdem gelten sie vielen als hochnäsige Besserwisser, die zugunsten ihrer Flüchtlinge von „der Gesellschaft“ das unrealistische Maximum einfordern. Und wie hilft Moabit heute?

Das helle Erdgeschoss-Quartier in einem alten Backsteinbau nicht weit vom Hauptbahnhof hat die Bürgerinitiative nach ihrer Vereinswerdung, unterstützt durch anonym bleibende Stiftungen, bezogen und allmählich einrichten können. Am Eingang sitzt Ronja Lange, die ein paar Semester Traumapädagogik studiert hat und sich besonders für Hilfesuchende zuständig fühlt, denen Schreckenserlebnisse zu schaffen machen. Im fensterlosen Kabuff nebenan hockt Kurt Kettler, der mit zwei arabisch und zwei Farsi sprechenden Mitarbeitern an gespendeten Laptops ein Wohnungssuche-Programm entwickelt, mit dem Bedürftige lernen, über Copy & Paste bis zu 50 Bewerbungsbriefe zu schreiben; wobei im Schnitt „viereinhalb“ Besichtigungstermine herauskommen.

Der Bedarf an Kuscheltieren ist längst gedeckt

Gegenüber in dem großzügig verglasten Lernraum werden täglich von Studenten und Deutschlehrern zwei Unterrichtseinheiten für 16 bis 25 Schüler angeboten. Das Berliner Zimmer in der Tiefe der Wohnung ist die Sofa- und Spielzeugflucht zum Chillen, mit Flachbildschirm für Filmabende und einem Regal, das auf Buchspenden wartet – während der Bedarf an Kuscheltieren, warnt Ronja Lange, längst gedeckt sei. Ins Hinterhaus zieht sich der große Schulungsraum mit langer Esstafel und Küchenecke, eine Packstation der Aktion „Present for you“ und eine abgedunkelte Ausruh-Höhle für tagsüber. Ein Bilderbuch-Domizil! So macht Flüchtlingsarbeit Spaß.

Mit den anderen, spektakulären, bisweilen schillernden Auftritten von „Moabit hilft!“, die das Image der Initiative seit einem Jahr bestimmen, hat dieses ruhige Lokal der Hilfsbereitschaft scheinbar wenig zu tun. Aufgebrochen war die Bürgerinitiative vor drei Jahren: als in einer anderen Ecke des Stadtteils für Flüchtlinge aus Nordafrika und dem Balkan eine erbärmlich ausgestattete Notunterkunft des Arbeiter-Samariterbundes an der Straße Alt-Moabit eröffnet. Diana Henniges, Historikerin und Projektmanagerin, startete einen Facebook-Aufruf; das Gründungstreffen mit Nachbarn fand in der Kiezkneipe „Coffee Break“ statt, wo sich heute noch zweimal monatlich Engagierte versammeln. Die Henniges-Wohnung quoll über von Gaben für Habenichtse. Zwei Jahre lang florierte „Moabit hilft“ als Flüchtlings-Kiezprojekt wie viele andere in Berlin, mit Sommerfest, Deutschkursen, Kinderbetreuung.

Überzeugungstäter mit routiniertem Beschuldigungs- und Betroffenheitsreflex

Schon früh war den Vertretern von „Moabit hilft“ als eine ihrer politischen Positionen wichtig gewesen, dass Einsatz bezahlt werden müsse – damit der Staat sich nicht aus der Verantwortung mogelt. Ein halbes Jahr lang wurden fünf von ihnen durch die Caritas bezahlt. Im September 2015 kam es zur Vereinsgründung, im November verließ der Vorsitzende Lazlo Hubert mit seinen Getreuen den e.V.; seine Ko-Vorsitzende Diana Henniges setzte sich in der Zerreißprobe gegen die hierarchischen Vorstellungen ihres Vorgängers (so beschreibt sie das heute), aber auch gegen Kritik an finanzieller Intransparenz (darauf zielten dessen Vorwürfe damals) als Siegerin durch.

Und dann kam auch noch der 27. Januar 2016: als ein toter Lageso-Flüchtling von einem Helfer erfunden wurde und „Moabit hilft“ den „Skandal“ publizierte. Da hatten die Überzeugungstäter mit ihrem routinierten Beschuldigungs- und Betroffenheitsreflex sich als unglaubwürdig blamiert.

Verteilaktion: Zahlreiche Bürger engagierten sich am Lageso.
Verteilaktion: Zahlreiche Bürger engagierten sich am Lageso.

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Heute ist der im Januar 2016 mit neuer Satzung ausgestattete Verein so basisdemokratisch aufgestellt, dass angeblich der Vorstand nichts, die Mitgliederversammlung alles entscheidet. Von 30 Mitgliedern sind die Hälfte Flüchtlinge, aus den Stiftungsmitteln werden auch viereinhalb Stellen und 20 Minijobs finanziert. Eine kontinuierliche Truppe von weiteren 50 Helfern ist dabeigeblieben. Ex-Mitarbeiter attackierten das Kernteam von „Moabit hilft“ als geltungssüchtig, desorganisiert. Andere Aussteiger betonen die guten Seiten. Eine Freiwillige aus der harten Phase von August ’15 bis Januar ’16 lobt die dort erfahrene Fürsorge für Flüchtlinge wie auch für Mitarbeiter. „Man konnte hinkommen und helfen, ohne Umschweife, das hat geklappt.“ Allerdings stelle sich die Frage, was Kratzbürstigkeit im Außenauftritt bringe, wenn man auf ein politisches Netzwerk angewiesen ist – „oder wird man sonst nicht gehört?“

Im Haus D an der Turmstraße, auf dem Gelände des Alt-Lageso, bespielt „Moabit hilft“ (neben den Einsätzen der Aktivisten am neuen ICC-Lageso) seine operative Stadtteil-Zentrale. Familien-Atmo im Korridor. Umarmungen. Ein älterer Herr hebt einen Schnipsel auf, ein Mann und eine Frau moppen. Man kümmert sich. Ein Mädchen mit Panikattacke wird von Christine Beckmann, die als Unternehmerin und Vetriebsfrau vor einem Jahr hinzustieß, in hinteren Gemächern versorgt.

Sie sind politischer geworden

Neben zwei Räumen für Kleiderspenden liegt das vollgekramte Winz-Büro von Diana Henniges, in dem sie gerade mit Christine Beckmann aus ihrem Salat pickt, während alle drei Minuten an der abgeschlossenen Tür gerüttelt wird. Seit der Vereinsgründung seien sie politischer geworden, sagt Henniges. „Es gibt die Kuchenbäcker und die, die Humanität einfordern“, sagt Beckmann. Man brauche beide. „Moabit hilft“ sitze als einzige Initiative im Landeskoordinierungsrat. Mit ihren Forderungen erschienen sie „zickig nach außen, aber wir sehen das so: keine Dienstleistung ohne Entlohnung“. Vorher habe sie übrigens das Zweifache verdient, „wir machen das nicht für Geld!“

Henniges sagt: „Wir bemühen uns immer um den Dialog mit dem Unterkunftbetreiber und mit den Kunden - wenn das Essen schlecht ist, wenn immer noch auf Feldbetten geschlafen wird -, und wir finden einen Konsens.“ Manchmal seien die Behörden genervt, geben klein bei. Aber Kompromisse, fügt sie hinzu, mache sie ungern. Bei der Humanität schon gar nicht.

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Sie koordiniert den Einsatz der zahlreichen Helfer - Diana Henniges, Historikerin und Projektmanagerin.

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Aus der Panne mit dem erfundenen Toten im Februar hätten sie desillusioniert gelernt, „nicht jedem zu vertrauen“. Ehrenamt, sagt Beckmann, beruhe eigentlich auf Vertrauensvorschuss. Haben sie sich zu schnell auf die Todesmeldung draufgesetzt? Henniges sagt: „Wir hatten vorher erlebt, dass Schwangere ihre Kinder verloren, dass eine Frau sich drei Tage lang den Kopf blutig schlug, ohne dass jemand vom Lageso reagierte.“ Aber das Problem der fehlenden Distanz sei erkannt. Supervision für die Helfer biete man an.

„Die Arbeit ist ein Spiegelbild meines Gewissens,“ sagt Christine Beckmann. „Ich könnte nicht irgendwo nach Umsätzen gucken, wenn ich weiß, dass hier Leute in Hallen leben.“ Aber ihr Privatleben hätten sie sich zurückgeholt, man fahre jetzt sogar mal in Urlaub, sagt Diana Henniges. Und bemerkt selbstironisch. „Mit mir spricht sowieso keiner mehr.“ Die Abstempelung als „Oberzicke“ scheint sie wenig zu stören. Sie sei hier wirklich glücklich, „wir sind auf einem guten Weg und dabei, die Dinge zu verändern“: den Umgang der Politik mit den Flüchtlingen.

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