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Jair Bolsonaro, Präsident von Brasilien, setzt auf Liberalisierung des Waffenrechts.

© Marcelo Camargo/Agencia Brazil/dpa/

Brasilien: Waffen für alle

Brasiliens Präsident Bolsonaro erleichtert den Waffenbesitz per Dekret. Experten befürchten eine Zunahme von Gewalt und Mord.

Die Frage ist einfach: Führen Schusswaffen in den Händen der Bürger zu mehr Sicherheit? Oder schaffen sie mehr Gewalt? Brasiliens neuer Präsident, Jair Bolsonaro, glaubt die Antwort zu haben. In dieser Woche unterzeichnete er ein Dekret, das den Erwerb von Schusswaffen in seinem von Gewalt geplagten Land erheblich erleichtert.

Er erfüllt damit ein zentrales Wahlversprechen: „Waffen für gute Brasilianer“. Bolsonaro, der aus dem Militär stammt und rechtsextreme Ansichten vertritt, argumentiert, dass rechtschaffene Bürger den Kriminellen nicht wehrlos gegenüberstehen dürften. Wenn man sich selbst verteidigen könne, wirke das abschreckend. Oder es ende im Idealfall mit dem Tod des Kriminellen. Bolsonaros Markenzeichen sind zwei zu Pistolen geformte Hände, einer seiner Wahlsprüche lautet: „Ein guter Bandit ist ein toter Bandit“.

Das Dekret Bolsonaros erlaubt es den Brasilianern nun, bis zu vier Waffen zu kaufen und sie im Haushalt oder am Arbeitsplatz aufzubewahren. Dazu müssen sie bestimmte Kriterien erfüllen. So muss der Käufer mindestens 25 Jahre alt sein, er muss einen Arbeitsplatz nachweisen, einen Waffenkurs machen und darf keine Vorstrafen haben. Er muss weiterhin angeben, warum die Waffe für ihn notwendig ist. Dazu genügt allerdings schon der Hinweis, in einem Bundesstaat zu leben, in dem die Mordrate über zehn pro 100000 Einwohnern liegt. Das betrifft zurzeit alle der 26 brasilianischen Gliedstaaten. Den niedrigsten Wert erreicht die Mordrate im reichen São Paulo (elf); den höchsten im armen Rio Grande do Norte (68). Zum Vergleich: In Deutschland beträgt die Mordrate etwa eins. Sind nun alle Bedingungen erfüllt, darf Brasiliens Bundespolizei dem Bürger den Waffenerwerb nicht mehr verweigern.

Öffnung des Waffenmarktes

In Brasilien wurden im Jahr 2017 fast 64000 Menschen ermordet, es war ein neuer Rekordwert. Nirgendwo sonst auf der Welt werden so viele Menschen umgebracht. Gleichzeitig stieg auch die Zahl der Raubüberfälle, Vergewaltigungen und Autodiebstähle. Diese Zunahme der Kriminalität und die Wut vieler Bürger über die Untätigkeit der Politik waren wichtige Gründe für den Wahlsieg Bolsonaros, der versprach, „kurzen Prozess“ mit Kriminellen zu machen. Allerdings weisen Sicherheitsexperten darauf hin, dass auch die Mehrzahl der Waffen, die von Verbrechern genutzt wird, einst legal erworben wurde, dann aber gestohlen wurde oder anderweitig abhandenkam.

Mit dem Dekret schöpfte Bolsonaro nun seine präsidialen Vollmachten aus, es bedarf keiner Zustimmung des Parlaments. Bei der Unterzeichnung berief er sich auf eine Volksbefragung von 2005, bei der 64 Prozent der Brasilianer gegen ein Waffenverbot gestimmt hatten. „Das Volk hat entschieden, dass es Waffen und Munition möchte“, sagte Bolsonaro, „und wir können nicht verweigern, was das Volk will.“

Fast parallel zur Unterzeichnung des Dekrets kündigte Bolsonaros Stabschef Onyx Lorenzoni die Öffnung des brasilianischen Waffenmarkts für ausländische Hersteller an. Daraufhin stürzte die Aktie des heimischen Waffenherstellers Taurus ab, die nach dem Amtsantritt Bolsonaros einen riesigen Kurssprung gemacht hatte.

Es gilt nun als sicher, dass im brasilianischen Parlament weitere Gesetze zur Liberalisierung des Waffenbesitzes eingebracht werden. So dürfte dort bald über die Erlaubnis zum öffentlichen Tragen von Waffen diskutiert werden. Sie wird ebenfalls von Bolsonaro gewünscht. Anständigen Bürgern werde damit ein demokratisches Recht verwehrt, wie es in den USA gelte, argumentiert der Präsident.

Bolsonaros Dekret wurde begeistert von Brasiliens Waffenindustrie sowie Sprechern der Militärpolizei und der Armee begrüßt. Sicherheitsexperten zweifeln hingegen stark an seiner beabsichtigten Wirkung. Das Brasilianische Forum für Öffentliche Sicherheit (FBSP) kritisierte die schwammigen Regeln des Dekrets. Es sei völlig unklar, wie die Angaben eines Bürgers überprüft werden sollten. Das Ganze sei eine riskante Wette darauf, dass private Selbstverteidigung das Problem der öffentlichen Sicherheit löse.

Anschlagswelle im Nordosten

Der Chef des brasilianischen Instituts für Kriminalistik, Thiago Bottino, verwies auf eine Studie, der zufolge ein Prozent mehr Waffen in der Gesellschaft zu zwei Prozent mehr Morden führen. Viele Kritiker äußerten zudem die Befürchtung, dass mehr Waffen in privater Hand zu mehr Unfällen, Selbstmorden und Tötungsdelikten aus banalsten Gründen führen könnten.

Auf eine erste Probe wird die brasilianische Sicherheitspolitik derzeit im nordöstlichen Ceará gestellt. Seit Jahresanfang terrorisieren kriminelle Banden den Bundesstaat. Sie stecken Busse, Müllwagen, Banken, Tankstellen sowie öffentliche Einrichtungen in Brand und verüben Sprengstoffanschläge auf Brücken und Aquädukte. Rund 250 solcher Attacken wurden bislang registriert. Die Polizei nahm rund 400 Verdächtige fest und stellte bei einem spektakulären Fund 600 Kilogramm Sprengstoff sicher. Die wütenden Angriffe sind eine Reaktion verschiedener krimineller Gruppen auf das Vorhaben der Regierung Cearás, die Gefängnisse nicht mehr nach Verbrecherorganisationen aufzuteilen. Außerdem sollen ihre inhaftierten Anführer strenger überwacht werden, damit sie keine Befehle mehr aus den Gefängnissen heraus erteilen.

Die Regierung reagierte auf die Anschlagswelle, in dem sie Hunderte Nationalgardisten entsandte. Bolsonaro sagte, dass man dem Bundesstaat helfen werde, obwohl dessen Regierung „radikal gegen uns“ sei. In Ceará regiert die linke Arbeiterpartei (PT).

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