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Berlin: Bitte nicht ausrasten

Der frühere Kopf der Band Muff Potter ist auch Autor Sonntag liest Thorsten Nagelschmidt im Kaffee Burger.

Ein trüber Dezembervormittag in Kreuzberg, müde Menschen schieben sich über die Kottbusser Brücke und Thorsten Nagelschmidt betritt das Café „Fuchsbau“. Er trägt einen schwarzen Mantel, die Mütze in die Stirn gezogen, über der Schulter eine schwere Trainingstasche. Am Abend soll er im Salon zur Wilden Renate in Friedrichshain aus seinem zweiten Buch lesen. Um sich die Zeit bis dahin zu verkürzen, will er später noch ins Fitnesscenter. Jetzt aber erst mal einen Milchkaffee zum Wachwerden. Und eine Zigarette. Aber auf die muss Nagelschmidt nach dem freundlichen Hinweis der Bedienung verzichten: Rauchen darf man im „Fuchsbau“ nur abends.

Meise, der Protagonist aus Nagelschmidts aktuellem Roman „Was kostet die Welt“, aus dem der Autor am Sonntag als Gast der Reformbühne Heim & Welt im „Kaffee Burger“ liest, würde in dieser Situation vermutlich in Gedanken Amok laufen. Der 35-Jährige aber schiebt die Zigarette gelassen zurück in die Schachtel. Gibt es also keine Gemeinsamkeiten zwischen ihm und seinem Helden? Doch, schon einige, sagt Nagelschmidt, der vor fünf Jahren von Münster nach Berlin zog und seither in Neukölln wohnt. „Aber ich glaube, ich bin nicht so kommunikationsgestört wie er. Ich habe Ventile für meine Probleme.“

Eines dieser Ventile war lange Zeit die Musik. 16 Jahre war Nagelschmidt Sänger, Gitarrist und kreativer Kopf der Punkrock-Band Muff Potter, benannt nach einer Figur aus Mark Twains „Die Abenteuer des Tom Sawyer“. Neun Alben veröffentlichte das Quartett, trat im Vorprogramm der Ärzte auf. Doch vor zwei Jahren löste sich die Gruppe auf. Zwischenmenschliche Probleme, künstlerische Differenzen? Nein, sagt Nagelschmidt, man sei einfach erschöpft gewesen, zu seinen ehemaligen Bandkollegen habe er regelmäßig Kontakt. Dann zieht er ein Hosenbein hoch. Zum Vorschein kommt das Konterfei des Schlagzeugers als Tattoo auf dem Schienbein. Und noch was erinnert an Muff Potter: der Künstlername Nagel, unter dem er als Autor auftritt.

Gänzlich verabschiedet hat sich Thorsten Nagelschmidt nicht von der Musik. Mit Nikolai Potthoff, dem langjährigen Produzenten von Muff Potter und Bassisten von Tomte, hat er einige Passagen aus „Was kostet die Welt“ vertont und als EP veröffentlicht. Das Ganze sei ein Experiment gewesen, das Spaß gemacht habe, sagt Nagelschmidt. Womit er allerdings nicht gerechnet hätte: dass die Besucher seiner Lesungen nun bei den betreffenden Passagen mitunter mitsingen. „Das ist manchmal ein bisschen irritierend, vor allem für die anderen Leute im Publikum. Aber natürlich auch toll.“

Einer, der den literarischen Sprechgesang ebenfalls mag, ist Oliver Koletzki. Der Elektro-DJ und -produzent hörte eines der Stücke im Radio, besorgte sich die Telefonnummer und rief an. „Ich hatte den Namen schon gehört, wusste aber in dem Moment nicht, wer das ist.“ Trotzdem trafen sie sich und nahmen im Studio eine weitere Passage des Buches auf. „The Power of Rausch“ heißt das Stück, das auf Koletzkis im kommenden Jahr erscheinendem Album zu hören sein wird.

Was demnächst für neue Projekte anstehen? Nagelschmidt sagt, es gebe „ein paar Ideen“, vielleicht ein weiteres Buch. Eine neue Band will er nicht gründen. „Das wäre ja so, als hätte die erste WG nicht funktioniert und man zieht wieder zurück zu Mama.“ Dann doch lieber was Neues. Wie die Linoldrucke, die der Musiker und Autor für sich entdeckte. Anlass war die Gestaltung seines Buchcovers, die er selbst übernahm. „Das hat so Spaß gemacht, dass ich einfach weitergemacht habe“, sagt Nagelschmidt. Auf den Bildern, die vor kurzem in der RMCM Gallery in Mitte gezeigt wurden, sind rauchende Frauen und Männer in Denkerposen zu sehen. Nana Heymann

Sonntag, Kaffee Burger, Torstraße 58/60 in Mitte, Beginn: 20.15 Uhr, Eintritt: 5 Euro. Details im Netz: www.kaffeeburger.de

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